Museum für ältere deutsche Kunst

[242] Die Gemälde und Bildwerke der deutschen Schule sind zurzeit im Kaiser-Friedrich-Museum aufgestellt. Es waren dafür größere Räume an der Spitze des Gebäudes vorgesehen; aber infolge der überaus ungünstigen Gestalt des Bauplatzes sind diese Räume schließlich weggefallen, so daß die deutschen Gemälde jetzt teils oben in drei kleinen Zimmern zwischen die niederländischen Bilder eingekeilt sind, teils mit den deutschen Skulpturen in drei unteren Hofräumen eng zusammengedrängt und hier so schlecht beleuchtet sind, daß Luxferglas zur Aufhellung angebracht werden mußte. Die Skulpturen des Barock und Rokoko konnten sogar nur als Dekoration im Bau verteilt werden, weil die dafür bestimmten Säle zur Aufstellung der Schausammlung des Münz- und Medaillenkabinetts benutzt worden sind. Die Abgüsse der deutschen Skulpturen haben, wie die der italienischen, aus Raummangel magaziniert werden müssen. Wenn, wie es notwendig erscheint, die M'schattafassade und die islamische Sammlung sowie, dem ursprünglichen Plane gemäß, das Münzkabinett wieder aus dem Kaiser-Friedrich-Museum ausgeschieden werden, so würde der Platz hier doch nur gerade für die geräumige Aufstellung der Kunstwerke der romanischen Völ ker: Gemälde, Originalbildwerke und Abgüsse, sowie für die Gemälde der vlämischen Schule und der holländischen Schulen ausreichen. Für die ältere deutsche Kunst ist daher der Bau eines besonderen Museums erwünscht. Ein solches Museum fehlt aber nicht nur bei uns. In ganz Deutschland besitzen wir kein eigentliches Museum der älteren deutschen Kunst. Denn das Germanische Museum in Nürnberg ist mehr eine kunstgewerbliche und kulturhistorische Sammlung. Das Römisch-Germanische Zentral-Museum in Mainz umfaßt neben den auf deutschem Boden gefundenen Resten römischer Kunst nur die Anfänge der deutschen Kunst und ist auch für diese einseitig und unvollständig. Das Münchener Museum endlich, das am ersten Anspruch darauf erheben könnte, will schon seinem Namen nach nur ein »Bayerisches Nationalmuseum« sein. Ein Museum der älteren deutschen Kunst ist daher eine Notwendigkeit für die Reichshauptstadt, und um ein solches noch zu wirklicher Bedeutung zu bringen, müssen die Vorbereitungen dafür sofort in Angriff genommen werden.

In Berlin ist bei Begründung der Königlichen Museen und seither bis zum Jahre 1871 der deutschen Kunst so gut wie gar keine Aufmerksamkeit erwiesen worden. In der Gemäldegalerie war die deutsche[242] Schule bis vor etwa 30 Jahren am schwächsten vertreten: nur ein Gemälde von Holbein und kein Dürer! An Werken der Plastik besaß die Kunstkammer nur wenige gute kleine Stücke; die deutsche Kunst der älteren und ältesten Zeit wie die der letzten Periode im 18. Jahrhundert waren überhaupt nicht vertreten. Erst in neuer Zeit ist, wenigstens in einigen Abteilungen der Königlichen Museen, eine Vermehrung der Sammlungen gerade nach der Seite der deutschen Kunst ernstlich angestrebt worden: mit Erfolg namentlich für die Malerei, für die graphischen Künste und für die Plastik, zum Teil auch für die Anfänge unserer Kunst, namentlich für die dekorative Plastik der Longobarden. Diese Erwerbungen, die zumeist mit dem älteren Bestande im Kaiser-Friedrich-Museum vereinigt worden sind, lassen sich aber nur als der Anfang eines Deutschen Museums bezeichnen. Ein solches soll durch seinen Inhalt und seine Aufstellung den Grundcharakter der deutschen Kunst und den Zusammenhang ihrer verschiedenen Entwicklungsstadien klarlegen, soll den Genuß daran und das Verständnis dafür fördern, und zwar in ganz anderer Weise, als es bisher möglich war. Es soll dadurch zugleich die Erforschung der deutschen Kunstgeschichte unterstützen und der bisher nur kümmerlich bedachten Publikation ihrer Monumente, die mit der Bildung des Museums Hand in Hand gehen muß, zu Hilfe kommen.

In einem solchen Museum hat die primitive Kunst der deutschen Stämme in den Jahrhunderten während und nach der Völkerwanderung ihren Platz zu finden. Von der deutschen Kunst des früheren Mittelalters wird, soweit Originale nicht zu beschaffen sind, namentlich durch Abgüsse der wenigen hervorragenden Werke der sächsischen und fränkischen Plastik ein Bild zu geben sein. Die bürgerliche Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts: die zu reicher Blüte gelangte Malerei in Süddeutschland und in den Niederlanden, wie die Holzplastik und die köstliche Kleinkunst, wird sich durch geschmackvolle Zusammenstellung der zahlreichen Originale in unserem Besitz und durch richtige Vervollständigung derselben zusammen mit einer kleinen Zahl wirkungsvoller Ausstattungsstücke in verschiedenen Räumen von intimer Wirkung ebensogut zur Geltung bringen lassen, wie die Kunst der deutschen Spätrenaissance mit ihrem eigentümlichen Ornamentstil und der wirkungsvolle deutsche Barock in ein paar stattlichen Sälen mit dem Monument des Großen Kurfürsten als Mittelpunkt, endlich die köstliche dekorative Kleinplastik in Porzellan, wie sie sich an den verschiedensten Stellen Deutschlands zwar im Anschluß an die monumentalere Plastik Frankreichs, aber durchaus eigenartig national entfaltet hat, in ein paar galerieartigen Räumen. Ein solches Deutsches Museum wird eine Fülle von einzelnen Schönheiten darbieten und in der Gesamterscheinung von der deutschen Art in der Kunst erst ein anschauliches,[243] richtiges Bild zu geben imstande sein. Es wird durch die Erkenntnis der deutschen Eigenart zugleich zur Läuterung und Förderung unserer modernen Kunst beitragen, sie anregen und veredeln helfen.

Man wird suchen müssen, diesen Neubau, der bei einer Grundfläche von 70 x 40 Meter dauernd genügend Platz für die ältere deutsche Kunst bieten wird, möglichst in unmittelbare Verbindung mit dem Kaiser-Friedrich-Museum zu bringen, da ein Museum für ältere deutsche Kunst nicht zu denken ist ohne die deutschen und wohl auch die altniederländischen Gemälde, und da diese andererseits räumlich nicht von dem übrigen Teile der Gemäldegalerie getrennt werden dürften.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 242-244.
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