Berlin nach dem Krieg

Berlin nach dem Krieg

[91] Wie ist die Stadt so wüste, die voll Volkes war? Alle, die vorübergehen, klappen mit Händen, pfeifen dich an und schütteln den Kopf über die Tochter Jerusalems: Ist das die Stadt, von der man sagt, sie sei die allerschönste, der sich das ganze Land freuet? Alle deine Feinde sperren ihr Maul auf wider dich, pfeifen dich an, blecken die Zähne und sprechen: He! wir haben sie vertilget; das ist der Tag, des wir haben begehret, wir haben es verlanget, wir haben es erlebet. (Klagelied des Jeremias.)

So und nicht anders wird unser Berlin über kurz oder lang darniederliegen, denn die Herrlichkeit des Deutschen Reiches ist dahin! Für unsere arme Haupt- und Residenzstadt habe ich natürlich als gebürtiger Ostpreuße die ausgesprochensten Sympathien. Die fleißigen regen Menschen gefallen mir, sie sind empfänglich für Kunst. Straßen und Häuser schienen für die Ewigkeit gemacht. Auch mit Kunst war Berlin reichlich bedacht. Aus der großen Vergangenheit führt zu uns die Schlütersche Zeit mit dem Denkmal des Großen Kurfürsten herüber, mit dem Zeughaus und dem herrlichen Königlichen Schloß. In nächster Nähe sind die schönen Architekturen des genialen Schinkel: das Alte Museum, die Prachtstraße »Unter den Linden« bis zu dem herrlichen Brandenburger Tor, zwischenein kleinere architektonische Kunstwerke. Auf dem Wilhelmsplatz stehen die Generäle Friedrichs des Großen. Diese Monumente sind die einzigen Arbeiten, welche Gottfried Schadow, der größte Künstler Berlins seit Schlüter, für die Stadt gearbeitet hat. Über Schadow könnte ein ganzes Buch geschrieben werden: weit genialer und wuchtiger als der elegante Rauch, blieb er dem preußischen Hof schon zu jener Zeit schwer verständlich. Daher hat auch der höfischere Rauch den größeren Teil der Aufträge eingeheimst. Daß die Arbeiten Rauchs weit künstlerischer und besser sind als die Arbeiten seines geistigen Doppelgängers Begas, liegt lediglich an dem kunstsinnigen König Friedrich Wilhelm III. Man werfe nur einen schnellen Blick auf den Kaiser Wilhelm I. und auf den Friedrich den Großen und man wird sehen, um wieviel edler und einfacher Friedrich der Große ist gegen das bombastische, eitle Denkmal Baiser Wilhelms I. resp. »des Großen«. Ich glaube bestimmt, daß dieser Ausdruck auf die persönlichen Charaktereigenschaften der Auftraggeber zurückzubeziehen ist.

Das schönste Kunstwerk ist ohne Frage nächst dem Großen Kurfürsten das Brandenburger Tor. Ich kann es nicht einmal sagen, ob es von Schinkel erbaut ist, und ebenso weiß ich nicht, wer die Quadriga modelliert hat. Beide sind im edelsten Stil geschaffen. Man muß schon bis Rom gehen, um ähnliche Triumphtore zu sehen. Schreitet man durch die schlanken Säulen, so strahlen einem die schrecklichsten Balustraden und das Elternpaar des früheren Kaisers entgegen. Aus dem Tiergarten hebt sich aber die hohe Siegessäule, mit vergoldeten Mitrailleusen bespickt, empor.

Dieses Denkmal ist zwar im Feldwebelstil, aber ich würde sehr bedauern, wenn es nicht existierte. Immerhin ist es eine Erinnerung an unser kriegerisches Preußen und an unsere Siege gegen Frankreich. Es wäre nur zu wünschen, daß jener Geist auch in unsern Enkeln wieder aufleben möchte.[92]

Aber zu den Füßen der Viktoria dehnt sich die lange Siegesallee aus, voll von marmornen Machwer ken, die jeder Kunstverständige eine Schmach deutscher Kunst nennen muß. Einst werden diese Denkmäler von der Erde verschwinden und all die marmornen Reichtümer einem spekulativen Kirchhofsindustriellen in die Hände fallen. All diese Werke aus der Wilhelminischen Epoche sehen aus, als wenn sie ein und derselbe Geist geschaffen hat; ob es der Dom am Lustgarten oder die Balustrade am Brandenburger Tor oder gar ein »Sang an Ägir« ist – eine vaterländische Oper, ein Gedicht von Lauff – immer finden wir dieselbe barbarische Überhebung und dasselbe Signum unseres gewesenen Kaisers Wilhelm »des Allergrößten«. Daß der Kunst diese dilettantischen Experimente nicht förderlich gewesen sein können, sollte man denken. Die Kunst empfindet auch die »gepanzerte Faust« eines Fürsten als Vergewaltigung. Nach des Kaisers Idee hätten diejenigen Künstler, welche nicht in seinem Sinne arbeiten wollten, verhungern dürfen. Trotzdem unter den widerstrebenden Künstlern so manche tüchtige Steuerzahler waren, so verfolgte er sie dennoch mit allen Machtmitteln eines Fürsten, und seine Untergebenen stießen sogar viel mehr denn Wilhelm II. in dieselbe Trompete. Eine Märtyrerkrone umstrahlte bald die Revolutionäre, und die Stadt Berlin protegierte sie mit all den Reichtümern, welche eine junge zentrale Stadt in kurzer Zeit erworben hat. Ich habe bereits vorher hervorgehoben, daß die Ein wohner Berlins ein fleißiges und für Kunst sehr empfängliches Volk waren.

Was der Kaiser nicht erreichen konnte: den Untergang der Kunst, wird leider mit unserer schrecklichen politischen Lage eintreten. Für Berlin und für die Kunst, die doch enger miteinander zusammenhängen, befürchte ich das Allerschlimmste. Es ist kein Zufall, daß die Kunst gerade in Preußen unter allen deutschen Ländern die höchste Stufe eingenommen hat. Der Aufstieg Preußens unter Friedrich dem Großen kam auch der deutschen Kunst zugute, nebst der deutschen Literatur. Auch für die Architektur hatte Friedrich der Große viel Sympathie. Im Gegensatz z.B. zu München waren die bedeutendsten Künstler Berlins aus dem Königreich Preußen hervorgegangen: von dem Danziger Chodowiecky zieht sich ununterbrochen eine Reihe bekannter Maler bis zu dem Schlesier Menzel, von Gottfried Schadow bis zu dem Berliner Max Liebermann entlang.

Dieser reichen Fruchtbarkeit an Talenten soll Berlin nun verlustig gehen. Das Herz tut einem weh, wenn man den Untergang Berlins vor Augen sieht: armes Berlin – ärmeres Preußen! Der deutsche Michel kümmert sich den Deuwel um Preußen. Alles, was nur die Feinde wünschen, sieht er als gehorsamer Diener an den Augen ab, und kaum gedacht, ist es bereits getan.

Einstweilen wollen wir Berlin sehen, wie es sich noch bis heute im ganzen intakt und unberührt von allen kommenden Zerstörungen befindet. Zwar der Schlütersche Prachtbau, das Königliche Schloß, hat seit den Weihnachtsfeiertagen bereits schwere Verwüstungen durch den Matrosenputsch erfahren. Das große Hauptportal gegenüber dem Denkmal Wilhelms I. ist Gott sei Dank noch unberührt geblieben. Leider ist aber sonst in großem Maßstabe der Prachtbau zerstört worden. Wie ich bereits früher sagte, ist die Architektur Berlins im architektonischen Sinne aus den vierziger Jahren erschöpft. In der modernen Zeit hat Berlin keine künstlerisch angestrebten Bauwerke. Aber einen lobenswerten Anlauf hat die Stadt ausgeführt, durch Gebäude für den Verkehr einer Millionenstadt. Bahnhöfe, Untergrundbahnen, Hotels, die Riesendome des Handels alias die Warenhäuser von Wertheim und Tietz. Gerade Wertheim ist durch[94] den talentvollen Architekten Messe! ein wirklich künstlerisches Bauwerk und eine Zierde Berlins geworden. Für die anderen Architekturen, modernsten Stils geht der Baumeister mit dem Ingenieur zusammen, Steine mit Eisenkonstruktion. Ein Werk majestätischen Charakters ist der Anhalter Bahnhof geworden. Schon von dem Schöneberger Ufer aus wirken die gewaltigen Bogenspannungen geradezu überwältigend.

Es ist nun eine müßige Frage auszusprechen: »Wenn das und das nicht eingetreten wäre, so hätte usw.« Tatsache ist, daß Maschinengewehre heute auf meinem geliebten Brandenburger Tor aufgestellt sind, und daß derartige Folgerungen nicht zur Erhaltung der Kunstwerke beitragen.


  • Abbildung Seite 92
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  • Abbildung Seite 93
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  • Abbildung Seite 95
    Abbildung Seite 95

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 91-95.
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