|
Sindelsdorf, 20.2.11
... Ich bin sehr fleißig und ringe auch nach Form und Ausdruck. Es gibt keine ›Gegenstände‹ und keine ›Farbe‹ in der Kunst, sondern nur ›Ausdruck‹! Der Begriff ›Kolorist‹ und koloristisch ist so wie er gewöhnlich gebraucht wird, ein Unsinn. Ob es ›klingt‹, nach Buchner, ist ganz belanglos. Diese Überlegung klingt recht selbstverständlich und ist doch für uns alle neu, sobald man ihre Konsequenzen bis ans Ende denkt. Daß es im letzten Grunde auf den ›Ausdruck‹ ankommt, hab ich früher auch schon gewußt. Aber beim Arbeiten kannte ich ›Nebengründe‹, z.B. die ›Wahrscheinlichkeit‹, den schönen Klang der Farbe, die sogenannte Harmonie etc. Aber wir sollen nichts suchen als den Ausdruck im Bilde; das Bild ist ein Kosmos, der ganz anderen Gesetzen unterliegt als die Natur; die Natur ist gesetzlos, weil unendlich, ein unendliches Neben- und Nacheinander. Unser Geist schafft sich selbst enge, straffe Gesetze, die ihm die Wiedergabe der unendlichen Natur möglich machen. Je strenger die Gesetze sind, desto mehr werden sie die ›Mittel‹ der Natur, die mit Kunst nichts zu tun haben, beiseite lassen; wie disziplin- und gesetzlos wirkt ein Zügel, weil seine Gesetze (die er doch auch und sogar in starkem Maße hat) sich an die kunstlosen ›Mittel der Natur‹ anlehnen. Wie gesetzmäßig eine ägyptische Kuh! Der Verfall jeder Kunst begann mit dem Aufgeben der strengen Gesetze, mit der ›Naturalisierung‹ der Kunst. Ich schreibe, wie wenn ich die ehernen Gesetze, von denen ich träume, schon kennte! Aber ich suche mit der ganzen Sehnsucht meiner Seele und mit allen meinen Kräften nach ihnen, und eine leichte Ahnung davon steckt schon in meinen Bildern. Jawlensky ist konsequenter in seiner Methode des Suchens. Bei mir geht alles langsamer, in Evolutionen, Schritt für Schritt, oder vielmehr: 3 Schritte vor und zwei zurück; ich kann nicht anders; sonst verlöre ich den Boden. Die Russen sind fanatischer und daher viel geeigneter für den Fortschritt. Die Franzosen sind nicht fanatisch, dafür allesamt berechnend und schlau und gewandt, aber viel genügsamer als ein Deutscher. Die Lebensqual eines Marées ist in Frankreich undenkbar. Van Gogh ist Holländer und außerdem ein Phänomen außer der Reihe. Gauguin ist der einzige ganz Große, und der hatte Tropenblut in den Adern. Matisse mag ein großer Neuerer sein, aber ganz ist ihm nicht zu trauen. Lache nur über meine Schreiberei, – ich werde ein gewisses Mißtrauen gegen die ›Tiefe‹ der Franzosen von heute nicht los oder vielmehr: dieses Mißtrauen regt sich immer mehr; sie sind etwas zu sehr Artisten und jonglieren. Laut darf man das heute nicht sagen! Es klingt auch so bärbeißig, während wir ihnen doch fast alles verdanken; und das letzte ist gewiß am wahrsten ...