Franz Marc 25.11.1911

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[Aufgeklebter Zeitungsausschnitt:]

5 Uhr 35 Min. beginnend, wurde auf der

Münchner Erdbebenstation ein heftiges

Beben, anscheinend asiatischen Ursprungs registriert.


Erstes Anzeichen des

›Blauen Reiters‹!


Sindelsdorf, 25. XI. 11


L. August,


Flechtheim garantiert 500 und scheint wohl auch noch andere Leute des Sonderbundes ranzuholen. An Koehler schrieb ich auch. Ich finde, man darf ihn nicht ignorieren; er schnappt uns schließlich ein, und das wäre nicht der Zweck des Schweigens. Subskriptionsausgabe wird auch in irgend einer Form gemacht.[81]

Flechtheim schrieb ganz begeistert über die Ideen des Blauen Reiters! Weniger über Campendonk. Dieser verfluchte Trottel von einem Nauen! Ich schreib Dir die Stelle ab:

»Nun zu Campendonk. Ich hab ihm über meinen Eindruck betreffs seiner letzten drei Temperabilder noch nicht geschrieben, möchte es auch nicht tun, da ich von diesen Arbeiten alles andere als entzückt bin. Während seine früheren Ölbilder ein starkes und frei es Temperament zeigen, finde ich, daß diese drei Arbeiten durch die zu starke Luft, die von Ihnen und Kandinsky ausgeht, zu stark beeinflußt sind, so dass Campendonk viel von seiner Ursprünglichkeit verloren hat. Nauen teilt meine Meinung, auch Dücker, der sich Campendonks Selbstporträt gekauft hat. Halten Sie es nicht für richtiger, Campendonk arbeitet wieder allein? Ich sprach mit Nauen, der ihn eventuell nach Brüggen nähme. Ich befürchte wirklich, dass die Münchner Luft zu stark ist. Was meinen Sie?«

Den Salat hat Nauen angerührt, respektive nicht verhindert. Nauen hat eine nicht gelinde Wut auf uns Münchner; aber statt sich an die direkte Adresse zu wenden, lässt er seinen Unmut über uns an jemandem wie Campendonk aus, dessen ohnehin prekäre Lage er völlig erschüttert hat, statt, wie er es mit einem entschlossenen Wort gekonnt hätte, zu festigen. Warum haben wir erst kommen müssen, um seinem früheren Schüler, für den er nichts getan hat, aus der Patsche zu helfen? Und jetzt kommt er und pfuscht noch mit seiner Eifersucht herein. Dieses großartige »eventuell nach Brüggen nehmen«!

Ich schreibe Dir dies, damit Du unterrichtet bist und eventuell auch gelegentlich für Campendonk eintreten kannst. Er hat jetzt ein paar Ölbilder (allerdings genau so ›scharf‹ wie seine Temperasachen), die famos sind. Ich schreibe natürlich Flechtheim; ob's was hilft, bezweifle ich fast. Sonst müsst ich mich an andre Leute zu wenden suchen, aber wo? Ich weiss noch nicht. Hols der Satan? – Die Heissluft ist grossartig, – das Bild der Fuji Yama fertig. Du solltest das Gebäude sehen!

Tschudi ist tot! Ich mag gar nicht darüber schreiben, so hat es mich erschüttert. Mein Herz hing wirklich an diesem melancholischen grossen Mann.

Einliegend ein Stimmungsbild von dem Erdbeben, das ich Euch nicht vorenthalten konnte. Ferner ein Beitrag zu Deinem Vortrag in Köln. Grüsse an Lisbeth und Dich,


Euer Fz.[82]

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 81-84.
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