Dresden 1836–1847

[322] Auf Oehmes und seiner Frau Vorschlag bezogen wir zu gleicher Zeit ein neues, vor dem Löbtauer Schlage gelegenes Haus. Wir nahmen die erste, sie die zweite Etage.

Die Frauen, welche ebenso freundschaftlich zueinander standen, wie wir Männer, waren voller Freuden über dieses von dem[322] Stadtlärmen entfernte, halb ländliche Zusammenleben. Selbst unter den Kindern fand nach Alter, Zahl und Geschlecht ein gleiches Verhältnis statt, da zu meinen schon genannten drei Kindern noch ein viertes, eine kleine Helene, sich eingestellt hatte, bei welcher die mit uns befreundete und verehrte Mutter Kügelgens die Patenstelle übernommen hatte. Unter solchen auch räumlich nahen Verhältnissen zwischen Oehme und mir wurde der gegenseitige Anteil und künstlerische Austausch bei unseren Arbeiten nur gesteigert. Kam einer bei seinem Bilde an eine zweifelhafte Stelle, sogleich wurde der Nachbar herbeigerufen und die Sache beraten und womöglich ins klare gebracht.

Im Sommer spazierten wir, das Skizzenbuch in der Tasche, nach dem ganz nahen Plauenschen Grunde, der zu jener Zeit sehr malerisch und reizvoll war, oder wir stiegen auf seine Höhen, und immer trug man eine kleine Beute im Buche nach Hause.

Bei der Art zu arbeiten fiel mir eine große Verschiedenheit auf. Mochte ich mich an manchen Sachen auch noch so sehr den Tag über abgemüht haben, so war mir die Arbeit aus dem Sinn, sobald ich sie beiseite gestellt und Feierabend gemacht hatte. Andere Dinge nahmen mich dann ebenso voll oder leicht in Anspruch, wie es vorher mit voller Hingabe an dieselbe die Arbeit getan hatte. Ganz anders war es bei Oehme. Bei ihm hing alles von der Stimmung ab; denn wenn er an irgendeine Stelle in seinem Bilde gekommen war, die ihm nicht klar herausgekommen war, so beunruhigte ihn dies fortwährend und ließ ihn nicht los, so daß er dann, wenn er auch längst Pinsel und Palette zur Seite gelegt hatte, doch immer zerstreut, geistig abwesend blieb, so daß er zum großen Leidwesen seiner Frau aß und nicht wußte was, hörte und nicht wußte, was zu ihm gesprochen wurde. Ja in solchen kritischen Momenten ließ es ihn auch bei Nacht nicht ruhen; er stand aus dem Bette auf, zündete die Lampe an und wanderte in sein Atelier, wo er dann die verzweifelt schlimme Stelle ansah, zu Pinsel und Farben griff und gewöhnlich so lange malte, bis er glaubte, das Richtige getroffen zu haben, oder bis er es – und dies war meistens der Fall – so gründlich verdorben und versalbt hatte, daß er die ganze Stelle wegwischte, und die Seele nun Ruhe hatte.[323]

Bei Oehme ging alles aus der Stimmung, bei mir aus einer inneren Anschauung hervor.

Um diese Zeit arbeitete ich an einem größeren Bilde, welches Baron v. Schweizer bei mir gesehen und für sich bestellt hatte. Das Motiv hatte ich in Mariaschein in Böhmen gefunden und in einer kleinen Bleistiftskizze entworfen. Von alten Linden umgeben, lag ein Brunnen und ein Heiligenbild dabei. Von diesem schattigen Platze aus sah man in die von der Mittagssonne beleuchteten Kornfelder hinaus. Es lag nahe, diese Landschaft mit einer kleinen Schafherde und ihren Hütern zu beleben und eine Schar Wallfahrer trinkend und ruhend um den Brunnentrog zu versammeln. Der Blick aus der schattigen Kühle in die Mittagshitze hinaus machte eine malerische Wirkung und die ganze Situation der Staffage einen poetischen Eindruck. Das Gemälde kam später auf die Kunstausstellung und gefiel.

Dies war eine der wenigen Bestellungen, die mir überhaupt geworden sind; meistens mußten ich wie Oehme unsere Hoffnung nach wie vor auf den Kunstverein setzen, und schlug diese fehl, d.h. wurde das Bild nicht gekauft, so war das eine große Kalamität für das Hauswesen, und eine lange Zeit mußte vergehen, ehe wieder alles ins Gleiche gebracht war.

Es hatte etwas Tragikkomisches, wenn wir beiden Hausväter zu gleicher Zeit unsere vollendeten Bilder ausgestellt hatten und einige Wochen in gespanntester Erwartung einer Entscheidung entgegensahen. Es waren widerwärtige, ja zuweilen qualvolle Tage, welche einer jeden Arbeit als pikantes Finale nachfolgen mußten. Das in idealer Begeisterung begonnene und ausgebildete Werk mußte diese via dolorosa passieren, um in die rauhe Wirklichkeit zu gelangen, welches nun einmal ihre Bestimmung war.

War der Tag endlich herbeigekommen, wo das Komitee des Kunstvereins über die Ankäufe der Bilder zu entscheiden hatte, und die Nachricht von dem Ergebnis der Abstimmung bis zu uns gekommen, dann fiel entweder ein schwerer Sorgenstein vom Herzen, oder es legte sich ein solcher doppelt schwer darauf. Da ich aber nun einmal mit meinen Arbeiten auf den Markt des Kunstvereins verwiesen war, so war es immerhin ein Glück für mich, daß ich von[324] jetzt an die Bilder auch jedesmal an denselben verkaufte. Daß aber der Verkauf derselben von einer wechselnden, zufälligen Majorität abhing, und [das Bild] ebenso zufällig – durch das Los – seinen Besitzer erhielt, der es vielleicht sich gar nicht gewünscht hatte, und nur den relativen Geldwert desselben ästimierte, dies alles wirkte nicht anregend und erhebend. Ja der Verein nahm oft den Charakter einer Unterstützungs anstalt an, und ich sah darin ein unrichtiges, ungesundes Verhältnis. Als ich daher späterhin, zuerst durch G. Wigand, bestimmte Aufträge erhielt, zur Ausführung wenn auch nur kleiner Kompositionen, welche er wünschte und brauchte, sie mit freudigem Interesse empfing, dankte und bezahlte, so erschien mir in solchem Verkehr ein natürliches, gesundes Verhältnis zu liegen. Der lebhafte Begehr der Arbeit, Zufriedenheit und Freude mit und an derselben, Dank und Lohn von der einen Seite: liebevolles Eingehen und Sichversenken in die Aufgabe, Geschick und Gewandtheit in der Ausführung derselben meinerseits – dies, ich gestehe es, versetzte mich sogleich in ein viel frischeres Element, ich atmete freier auf und fühlte mich nicht mehr abhängig von Gunst und Laune des Zufalls.

Aber ich bin der Zeit etwas vorausgeeilt und kehre zu den ersten Jahren zurück, da ich mit Oehme vor dem Löbtauer Schlage wohnte.


Die Aufhebung der Meißner Zeichenschule war nur der Vorbote einer noch weitergehenden Umgestaltung der Akademie gewesen. Der Minister von Lindenau, welcher nach v. Einsiedels Abgang an die Spitze des Ministeriums gekommen war, erkannte bald, daß die Kunstakademie zuviel veraltete Elemente enthalte, welche den neueren Anschauungen hemmend entgegentraten, und dadurch ein Erlahmen ihrer Wirksamkeit herbeigeführt werden mußte. Der Minister, welcher mit Herrn v. Quandt befreundet war und in dessen an der Elbe schön gelegenem Hause wohnte, konnte sich mit diesem ausführlich über die obwaltenden Verhältnisse besprechen, welche v. Quandt auf das genaueste kannte...

Akademie. Als ich den Unterricht im Landschaftszeichnen übernommen hatte, war es mein erstes, bei den vorgefundenen Schülern den unglaublich manierierten Zopf der sogenannten[325] Zinggschen Verunstaltung aller Naturformen auszumerzen. Dies war keine leichte Sache, und vor allem mußte ich die Vorlagen welche zum Kopieren vorhanden waren, ganz beseitigen und anderes Material herbeizuschaffen suchen. Da aber brauchbare Studien neuerer guter Landschafter nicht leicht zu erlangen und zu teuer waren, so mußte ich mich mit dem Ankauf der lithographischen Hefte von Wagenbauer und einigem anderen dieser Art begnügen und gab das meiste von meinen eigenen Studien einstweilen zur Benutzung. So verging das akademische Wintersemester unter fleißigem Kopieren. Als aber jetzt der Sommer nahte, draußen alles in Laub und Blüte stand, da kam ich zu dem Entschluß, einen Versuch zu wagen, die Schüler unmittelbar nach der Natur zeichnen zu lassen, was bis dahin an der Akademie nicht gebräuchlich gewesen war. Es konnte dies um so leichter ausgeführt werden, als im Sommerhalbjahr die Zahl der Schüler nicht acht bis zwölf überstieg, weil da meist nur solche am Unterrichte teilnahmen, die sich ganz dem Landschaftsfache widmeten. Es zeigte sich diese Einrichtung auch so erfolgreich und anregend, daß sie bis heute (1881) in Anwendung geblieben ist. Die Abwechslung zwischen Kopieren und Zeichnen nach der Natur brachte mehr Frische und Lebendigkeit unter die Schüler. Wenn die Schüler beim Zeichnen im Freien in der Wahl der Gegenstände und deren Behandlung zu größerer Selbsttätigkeit genötigt waren und hierbei ihrer Mängel sich mehr bewußt wurden, so entstand daraus der Vorteil, daß sie im folgenden Wintersemester mit größerem Verständnis und lebendigerem Interesse ihre Originale nachzeichneten.[326]

Quelle:
Richter, Ludwig: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Berlin [1923], S. 322-327.
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