5. Litterarische Anfänge.

[59] Jaroslavs neue Laufbahn übte Einfluß auch auf meinen eigenen Studiengang. Ich wohnte häufig den Unterrichtsstunden bei, saß oder stand Modell, wenn es an andern brauchbaren Modellen gebrach und wurde auf diese Art mit der Kunstpraxis vertrauter. Auch der kritische Sinn wurde geweckt. Um so deutlicher aber merkte ich, daß ein sicheres Kunsturteil ausgedehnte Kunstkenntnisse, Anschauungen der Kunstwerke voraussetze. An letzteren fehlte es mir in hohem Maße und so faßte ich im Herbst 1845 den Entschluß, die deutschen Kunststädte, München, Dresden und Berlin, zu besuchen, nicht nur die ältere Kunst zu studieren, sondern auch über die modernen Kunstleistungen mich genauer zu unterrichten. Zum erstenmale fuhr ich allein in die weite, fremde Welt. Die beiden Jahre vorher hatte ich bereits kleinere Reisen unternommen, aber diese in Begleitung von Hans, halb als Mentor, halb als Kamerad. Mama, auch darin von den gewöhnlichen Angstmüttern sich unterscheidend, hielt es für gut, daß wir recht früh auf eigenen Füßen stehen lernten und unsere Flugkraft versuchten. Wir machten auf dem Elbdampfschiffe einen Ausflug nach Dresden,[59] von wo wir auf der gebührend angestaunten Eisenbahn nach Leipzig fuhren. Auf dem Rückwege machte ich die Bekanntschaft eines überaus liebenswürdigen englischen Gentleman, Mr. Ralph Noël. Er und seine Frau, aus einem altadeligen böhmischen Geschlechte, standen schon längere Zeit zum Czermakschen Hause in freundschaftlichen Beziehungen und hatten Hans eingeladen, bei ihnen mehrere Tage zu verweilen. Auch ich erfuhr ihre Gastfreundschaft für eine kurze Frist. Mr. Noël, gewöhnlich Kapitän Noël genannt, weil er diesen Rang in einem englischen Milizenregimente, dem Yorkshirer, bekleidete, gehörte zu den interessantesten Typen des englischen Gentleman auf dem Kontinente. Auf einer Reise durch Italien hatte er die beiden Söhne des reichen böhmischen Magnaten, Graf Franz und Leo Thun, kennen gelernt. Die jungen Leute fanden ein so großes Gefallen aneinander, daß Noël gern ihrer Einladung folgte, sie in Prag zu besuchen. Hier fand er in den adeligen Kreisen eine so freundliche Aufnahme, daß er den Aufenthalt immer wieder verlängerte, schließlich in Böhmen ganz heimisch wurde. Der hohe böhmische Adel schwärmte damals für englische Sitten und Einrichtungen, so daß jeder Engländer, wenn seine äußere Erscheinung »gentlemanlike« war, als ebenbürtiger Genosse angesehen wurde. Übrigens durfte sich Noël einer vornehmen Verwandtschaft rühmen. Seine Tante war Lord Byrons Gemahlin, seine Vettern saßen im Oberhause, ihm, dem jüngern Sohne eines Nebenzweiges der Familie Wentworth, war kein großer Reichtum zugefallen. Doch sicherte ihm seine Rente ein wohlhäbiges Leben auf[60] dem Kontinente. Noëls Persönlichkeit gewann noch dadurch an Interesse, daß er der Phrenologie mit Begeisterung anhing und für ihre Lehren eifrig Gläubige warb. Durch ihn kam das Messen und Betasten der Schädel in Prag eine Zeitlang förmlich in Mode. Nach seiner Vermählung mit einer jungen Stiftsdame mietete er dem Grafen Thun ein kleines Landhaus, Rosawitz bei Bodenbach an der Elbe, ab und brachte hier den größten Teil des Jahres zu. Nur im Winter übersiedelte er, der Hoffeste wegen, für einige Wochen nach Dresden. In Noëls Hause lernte ich zum erstenmal die englische Gastfreundschaft kennen. Wer geladen war, genoß die gleichen Rechte und wurde mit der gleichen Aufmerksamkeit behandelt. Österreichische Kavaliere, sächsische Hofkämmerer, Gelehrte, wie der Geognost Cotta aus Freiberg, liberale Schriftsteller, der wackere Geschäftleiter der Arnoldschen Buchhandlung in Dresden, wohnten unter seinem Dache und keiner durfte über Bevorzugung oder Vernachlässigung klagen. Aus dieser ersten flüchtigen Begegnung erwuchs für mich im Laufe weniger Jahre eine warme Freundschaft, welcher ich viel im Leben verdankte.

Der gute Ausgang dieses Ausfluges – nur Hans hatte unter dem ungewohnten Genusse der Cigarre einen Tag zu leiden – bewog Mama uns in den Ferien des nächsten Jahres zu ihren Verwandten nach Linz zu senden. Von hier sollten wir das Salzkammergut durchwandern. Wir hatten Gmünden, Ischl, Hallstadt besucht und wollten über Salzburg nach Linz wieder zurückkehren. In Salzburg entschied unser Schicksal, daß diese Reise abenteuerlich[61] genug enden sollte. Ein Empfehlungsbrief wies uns an den Verwalter der gräflich Kuenburgschen Güter. Der alte joviale Herr, in josephischen Anschauungen groß geworden, ein begeisterter Freund des freien Studentenlebens, quartierte uns in dem weitläufigen gräflichen Palaste ein, führte uns in seine Stammkneipe, erzählte uns von der Herrlichkeit der Alpenwelt, und wollte nichts davon wissen, daß wir, so nahe an Tirol, an die Heimreise dächten. Von Tirol aus könnten wir einen kleinen Abstecher nach der Schweiz machen. Das wäre rechte Studentenart, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und nicht durch kleinliche Bedenken den Lebensgenuß zu verkümmern. Immer unwiderstehlicher klang die Lockung, und als sich der alte Herr anbot, uns das Reisegeld vorzustrecken und sich für die eingegangene Schuld bei Mama zu verbürgen, an deren nachträglicher Zustimmung wir ohnehin nicht zweifelten, stand unser Entschluß, die weitere Wanderung zu wagen, fest. Wir fühlten uns dem freundlichen Verwalter für seinen kühnen Rat zu größtem Dank verpflichtet. Das hinderte nicht, daß ich ihm im Verlauf der Reise manchmal herzhaft fluchte. Der alte Herr hegte einen förmlichen Haß gegen die österreichischen Banknoten. Silber, meinte er, wäre das einzig richtige und sichere Geld. So schleppte er denn zwei große Säcke herbei, in welchen sich die ganze Summe in großen und kleinen Silberstücken befand. Der kluge Hans überließ mir, als dem ältern, die Führung der Reisekasse. Wenn mir die schweren, in den Rocktaschen bewahrten Beutel bei jedem Schritt an die Beine schlugen,[62] bedachte ich unsern alten Silberliebhaber mit saftigen Ehrentiteln und freute mich förmlich über jede merkliche Minderung unseres Schatzes. Mehrere Thäler Tirols hatten wir, bald zu Fuß, bald im Stellwagen durchstreift und auch das Ungemach plötzlicher Gewitter und dichter Nebel auf hohen Bergen erduldet, Innsbruck besucht, den Arlberg überstiegen, endlich Feldkirch erreicht. Wie aber nun unbehelligt über die Grenze nach der Schweiz kommen? Unser Passagierschein von der Linzer Polizei ausgefertigt, berechtigte uns nur zu einer Wanderung im Salzkammergut und war überdies nahezu abgelaufen. Wir meinten es recht pfiffig anzustellen, wenn wir von dem Grenzamt die Erlaubnis zur Rückkehr nach Linz über Bayern, wo wir gute Freunde hätten, erbaten. Den klug ausgesonnenen Plan traf giftiger Hohn. Ein roher Platzregen von Grobheiten ergoß sich aus dem Munde des Polizeischreibers. Daß wir uns sofort packen und die Straße geraden Weges nach Linz zurückwandern sollten, war sein Entscheid. Zum Glück warf er in seiner Wut uns den Passierschein vor die Füße, ohne in denselben die »gebundene Marschroute« einzuschreiben. Während wir gesenkten Hauptes mit echter Jammermiene ratlos auf der Straße standen, winkte uns verstohlen ein Postillon, welcher den Verhandlungen beigewohnt hatte. Gegen ein gutes Trinkgeld wollte er uns, da er eine Extrapost nach Vaduz zurückfahre, ungefährdet über die Grenze bringen. Die Pferde standen in einer Seitengasse bereits angespannt. Heimlich krochen wir unter das Wagenleder und blieben hier bis jenseits der nahen Grenze versteckt.[63] Dann fuhren wir wie vornehme Herrn vierspännig im offenen Wagen mit schmetterndem Posthorn in Vaduz ein. So rasch als möglich liefen wir nach Wallenstedt und begannen von hier aus über den See die Wanderung nach Zürich, dem Rigi und Luzern. In Zürich wurde pflichtschuldig bei dem alten Oken hospitiert und in den Buchhandlungen nach verbotenen Früchten gespürt. Über den Bodensee, Augsburg, Regensburg traten wir die Heimreise an. Mit Herzklopfen näherten wir uns wieder der österreichischen Grenzstation, wo die Dampfer anlegten und die Pässe vorgezeigt werden mußten. Doch schließlich konnte uns nichts Schlimmeres begegnen, als daß wir auf dem kürzesten Wege nach Linz zurückzukehren gezwungen wurden. Den kürzesten Weg empfahl aber ohnehin der Stand unserer Reisekasse. Als wir uns in Regensburg einschifften, besaßen wir gerade noch Geld genug zu einem mäßigen Frühstück. Mit einem tüchtigen Donnerwetter und groben Drohungen wurden wir von dem Grenzbeamten entlassen. Am Abend saßen wir fröhlichen Sinnes bei Czermaks Stiefgroßmutter und holten die versäumten Mahlzeiten gründlich nach.

Die Erinnerung an diese fröhliche Wanderung wurde in mir wieder lebendig, als ich im folgenden Jahre meine Kunstreise antrat. Die Umstände hatten sich geändert. Ich zog allein in die Welt und mußte mir stets den ernsten Reisezweck vor Augen halten. Von einem ungebundenen Genuß der Natur, wie auf dem schweizer Ausfluge, war nicht die Rede. Ich sollte und wollte lernen, nichts als lernen. In München nahm ich Wohnung bei einem »bürgerlichen«[64] Pfefferküchler, welcher den halben Tag in Kirchen, die andere Hälfte in Wirtshäusern zubrachte und, wie seine Frau mir vorklagte, dadurch in der »Nahrung« immer mehr zurückging. Seine Pfefferkuchen besaßen nur eine gute Eigenschaft, daß sie den Zahnarzt ersparten. Wer sie anbiß, opferte einen Zahn. Wären nicht die hübschen Heiligenbilder auf den Umschlägen der Ware gewesen, welche Wallfahrer zum Ankauf lockten, so wäre die Familie an den Bettelstab gekommen. Ich hatte unter der Frömmigkeit des Hauswirts doppelt zu leiden. Er plagte mich täglich mit Einladungen zum Kirchenbesuche; seine Frau, um die geringe Erwerbsfähigkeit des Gatten einzubringen, rechnete mit doppelter Kreide und zwang mich zu größter Einschränkung meiner Ausgaben. Drei Wochen lang bestand mein Abendbrot aus einem Graubrot und einer Knackwurst, die ich mir selbst einkaufte. Trotz dieser kleinen Ärgernisse und trotz meines einsamen Lebens fühlte ich mich doch glücklich, da ich zum erstenmal einem reichen Kunstleben gegenübertrat und meine Kunstkenntnisse durch das fleißige Studium der großen Sammlungen namhaft erweiterte. Zur alten Kunst verhielt ich mich einfach aufnehmend. Dagegen reizte mich die moderne Münchener Kunst vielfach zu kritischen Bedenken, welche ich an den stillen Abenden in einer langatmigen Abhandlung zu Papier brachte.

Über Nürnberg und Dresden pilgerte ich nach Berlin. In der gelehrten Berliner Welt besaß ich einen einzigen Anhaltspunkt. Zwei Jahre vorher hatte ich in Teplitz, wo Jaroslav eine Badekur brauchte, den Theologen Vatke[65] kennen gelernt. Er nahm mich nicht bloß freundlich auf, sondern führte mich auch bei dem Herausgeber der Hegelschen Ästhetik, bei Professor Hotho ein. Der liebenswürdige Empfang, den ich hier fand, gab mir den Mut, von meiner in München geschriebenen Abhandlung zu sprechen. Hotho bat sich dieselbe zur Durchsicht aus und überraschte mich einige Tage später mit dem Angebot, sie in die Tübinger »Jahrbücher der Gegenwart« zum Abdruck zu senden. Nicht im Traume hatte ich an die Drucklegung gedacht. Natürlich griff ich mit beiden Händen zu, als sich mir so unverhofft eine Gelegenheit zeigte, meine sehr jugendliche Weisheit auf den Markt zu bringen. Die Tübinger Jahrbücher, die Erben der Halleschen und Deutschen, galten als das vornehmste litterarische Organ und zählten so viele von mir hochverehrte Männer zu Mitarbeitern. Die Bogen wurden rasch verpackt und mit einem Geleitsschreiben Hothos an den Herausgeber der Jahrbücher, Schwegler, geschickt.

Ich blieb, bei einem Schneider einquartiert, so lange in Berlin, bis mein Reisegeld zur Neige ging. Innerlich jubelnd, fast übermütig, trat ich den Rückweg an. Doch sollte gar bald eine starke Ernüchterung eintreten. Einige Minuten vor Abgang des Eisenbahnzuges trat mein Wirt – ich denke, es war derselbe, welcher mehrere Jahre später Kaldaunen statt seiner begraben ließ, um eine Versicherungskasse zu prellen und dafür vom Kladderadatsch unsterblich gemacht wurde, – an mich heran mit der Behauptung, ich hätte den Schreibtisch angebrannt und müsse ihn entschädigen. Wenn ich ihm nicht glaubte, möge ich in die[66] Wohnung zurückkehren und mich von dem angerichteten Schaden durch Augenschein überzeugen. Das war in dem Augenblicke, als schon das erste Signal zur Abfahrt gegeben wurde, eine bittere Zumutung. Was blieb mir, um den Skandal zu vermeiden, übrig, als den Mann mit einem Fünfthalerschein zu beschwichtigen. Diese fünf Thaler waren aber meine einzige Fürsorge für den Fall der Not. Die Not trat ein, als ich in Dresden den Postwagen – der Elbdampfer ging nicht täglich – bezahlt hatte. Mir blieben nur ein paar Pfennige übrig und eine achtzehnstündige Fahrt stand mir bevor. Also fasten! Auf der Nachtmahl- und Frühstücksstation verkroch ich mich in einen Winkel des Wagens und stellte mich schlafend. Meine Hoffnung, dem Späherauge des Kellners zu entgehen, wurde getäuscht. Mit lauter Stimme und starkem Arme weckte er den Scheinschläfer und stellte ihm die Notwendigkeit, den Leib zu stärken, gar eindringlich vor. Diese Überzeugung hegte ich auch, mir fehlte nur das Geld, sie in eine That zu verwandeln. So wappnete ich mich mit Verstellung und hieß ihn grob, mich nicht im Schlafe zu stören. Ausgehungert kam ich endlich in Prag an und setzte Mama und die ganze Familie durch meine Eßgier in Erstaunen.

Wochen vergingen, ohne daß aus Tübingen eine Kunde über das Schicksal meines Opus 1 kam. Um so mehr wurde ich überrascht, als ich vom Buchhändler das Monatsheft der Jahrbücher empfing und in demselben meine Arbeit entdeckte. Allerdings hatte Schwegler sie nicht vollständig abgedruckt, ganz vernünftig die allgemeinen, halb philosophisch,[67] halb historisch gehaltenen Betrachtungen in den Papierkorb geworfen. Ich konnte mit Schmock rufen: »Das Gewöhnliche hat er gestrichen, nur die Brillanten stehen lassen«, oder bescheiden zu sprechen: nur dem kleinern Teil, welcher ein unmittelbares Interesse bot, gab er unter dem Titel: »Kritische Gedanken über die Münchener Kunst« in den Jahrbüchern Raum. Der Artikel machte Aufsehn und erregte in München großes Ärgernis. In der schärfsten, wie ich jetzt sehe, allerdings einseitigen und übertriebenen Weise wurden die Mängel der Münchener Kunst bloßgelegt, die Architektur als monumentaler Kunstatlas verdammt, der Malerei das Beharren bei längst abgestorbenen Gedankenkreisen vorgeworfen, an der Skulptur die Oberflächlichkeit der Formenbildung getadelt. Immer kehrte der Refrain wieder, daß die Münchener Kunst nur reine Privatunternehmung sei und nicht im deutschen Volksboden wurzele. Die Augsburger Allgemeine Zeitung brachte geharnischte Entgegnungen. Selbst Fr. Vischer hielt es für Pflicht, der so arg getadelten Münchener Kunst beizuspringen und meine kritischen Bedenken abzuschwächen. Sein Aufsatz erschien zuerst in den Jahrbüchern und ging später in die »Kritischen Gänge« (Neue Folge) über. Durch den Vergleich mit der noch schlechtern Berliner Kunst wurde die Münchener in ein helleres Licht gestellt. Die Angriffe der Allgemeinen Zeitung lenkten auch in Prag die Aufmerksamkeit auf die »Kritischen Gedanken«. Wer war ihr Verfasser? Schwegler hatte in der richtigen Voraussetzung, die Teilnahme an einer in Österreich verbotenen Zeitschrift könnte mir polizeiliche[68] Verfolgungen zuziehen, meinen Namen verschwiegen, dem Artikel nur die Fußmarke: »Prag, im Oktober« beigefügt. Kein Mensch wollte in Prag an die Wahrheit dieser Ortsangabe glauben. Auf Münchener Anfragen lautete stets die Antwort, daß sich offenbar ein vorlauter Berliner hinter dem »Prager Philosophen« – so hatte mich die Allgemeine Zeitung getauft – verberge. Es hätte wohl meiner jugendlichen Eitelkeit geschmeichelt, öffentlich als der Verfasser genannt zu werden. Doch hielt ich auf den Rat guter Freunde den Mund und ließ die Leute ruhig raten und schwatzen. Aber Blut hatte ich geleckt. Der Erfolg des Aufsatzes in den Jahrbüchern reizte mich zu weiterer litterarischer Thätigkeit. Dem Opus 1 folgte Opus 2 unmittelbar auf dem Fuße nach. In der Prager Kunstausstellung, zu Ostern 1846 eröffnet, befand sich endlich das seit einem Jahrzehnt angekündigte Werk des Akademiedirektors Christian Ruben: Columbus. Das Bild, welches den Eindruck des endlich sichtbaren Festlandes auf Columbus und seine Genossen schildert, ist gegenwärtig verschollen, beschäftigte aber damals, wegen der angesehenen Stellung des Malers, die ganze Prager Welt. Ich war noch zu sehr in abstrakter Theorie verstrickt, um ein unbefangenes Urteil über den Kunstwert des Gemäldes fällen zu können. Der Gegenstand erschien mir viel wichtiger, als die Form der Darstellung. Jener entsprach der, in jenen Tagen herrschenden Anschauung, die Kunst müsse mit dem mythischen und kirchlichen Gedankenkreisen brechen, der Geschichte der Menschheit, dem historischen Leben sich zuwenden, hier ihre[69] Anregungen holen. Und so nahm ich denn den Columbus zum Anlaß, in einer kleinen Schrift mich über »die Geschichtliche Malerei in der Gegenwart« zu äußern. Selbstverständlich setzte ich mir die unbedingte Verherrlichung der letztern zum Ziele und verschwendete sehr viele Worte, um ihre Vorzüge darzulegen. Der stark von der Hegelschen Schule abhängigen, vielfach dunkeln Sprache hatte ich es wahrscheinlich zu danken, daß die Schrift glücklich die Censur passierte. Der Censor meinte, nur wenige Leute würden sie lesen, daher könne er sie milder beurteilen. Der geringe Umfang hatte das Gute, daß ein Buchhändler die Kosten des Druckes wagte. Trotzdem die Schrift nicht ausgereift war, trug sie doch für mich gute Früchte. Der Vorstand des Kunstvereins, Graf Franz Thun und der natürlich geschmeichelte Akademiedirektor Ruben, lernten mich persönlich kennen und machten mir den Vorschlag, einen kunsthistorischen Kursus in der Akademie zu halten. Es war mir vom Schicksal beschieden, ebenso früh als Lehrer wie als Schriftsteller aufzutreten.

Der Anfang meiner öffentlichen Lehrthätigkeit war nicht danach angethan, mich hochmütig zu machen. Ich bat Ruben, als die Vorlesungen beginnen sollten, mich bei meinen Zuhörern einzuführen. Er blieb im Hausrock, setzte sein Hauskäppchen auf und geleitete mich nach dem Modellsaale, in welchem etwa 25–30 Akademiker unserer harrten. »Hier, der Herr wird einiges von alten Künstlern erzählen, horchen Sie aufmerksam zu.« Sagte es und ging. Da stand ich nun ziemlich hilflos der neugierigen Zuhörergruppe gegenüber.[70] Nicht die geringste Anstalt, mir meine Thätigkeit zu erleichtern, war getroffen worden. Mit Hilfe eines befreundeten Malers holte ich aus einer Ecke einen ölbefleckten Tisch herbei, aus einem andern Winkel einen schmierigen Stuhl. Meine Zuhörer lagerten malerisch auf Stufen und Schemeln und so begann ich »von alten Künstlern« zu erzählen. Im ersten Kursus behandelte ich die antike Kunst, bei welcher ich an die Gipssammlung der Akademie und die wohl nicht minder reiche, allgemein zugängliche des Grafen Nostiz anknüpfen konnte. Die Teilnahme der Zuhörer, von denen viele nur eine elementare Bildung besaßen, ließ nichts zu wünschen übrig. Nur ein paar Akademiker, welche das Gymnasium absolviert hatten, hielten sich fern und bildeten eine Oppositionspartei. Sie saßen in dem, nur durch eine dünne Wand getrennten Malersaale, lärmten, pfiffen und sangen, solange ich vortrug. Kluger Weise führte ich keine Klage, überließ es meinen Zuhörern, die Gegner zur Ruhe zu bewegen, was ihnen auch vollkommen gelang. Ohne jede Störung konnte ich den Kursus zu Ende bringen. Als ich so weit gekommen, merkte ich die Notwendigkeit, eine längere Pause eintreten zu lassen. Mir fehlte überhaupt die Lust, die Thätigkeit an der Akademie fortzusetzen, da ich mir sagen mußte, den jungen Malern thut eine bessere technische Ausbildung mehr not, als eine Belastung mit gelehrten Dingen. Jedenfalls mußte ich meinen Anschauungskreis namhaft erweitern, ehe ich wagen konnte, andere über die neuere Kunst zu unterrichten. So faßte ich den Plan zu einer längern Reise, zunächst nach[71] Italien. Ein flüssig gemachtes kleines Kapital aus der väterlichen Erbschaft und Ersparnisse aus den beiden letzten Jahren gewährten mir genügende Mittel. Die Ersparnisse waren nicht gering. Durch den Tod meines Bruders Franz (1846) war ich um mehrere hundert Gulden reicher geworden. Dem armen Teufel war das Glück, welches er als Erzieher im Hause der Gräfin Sweerts-Spork genoß, nicht treu geblieben. Sein Zögling starb nach einigen Monaten. Die Gräfin empfahl ihn der Fürstin Öttingen-Wallerstein, welche für ihren einzigen, jüngsten Sohn, den Majoratsherrn, einen Hofmeister suchte, auf das wärmste und unbesehen wurde er, allerdings zunächst nur auf Probe, angenommen. Die fürstliche Familie weilte noch auf dem Lande. Mein Bruder – Bamba hieß er im czermakischen Kinderkreise und bald bei allen seinen Bekannten – sollte aber gleich in den Palast übersiedeln und hier, einigermaßen schon heimisch geworden, die Ankunft des kleinen Prinzen erwarten. Ein Diener und ein Koch empfingen den Befehl, für sein leibliches Wohl zu sorgen. Der Koch nahm den Auftrag gar zu wörtlich. Er setzte dem guten Bamba ein Diner vor, welches zwei kräftige Männer vollauf sättigen konnte. Mit Todesverachtung ging mein Bruder an die Arbeit. Etwas auf den Schüsseln übrig zu lassen, dünkte ihm eine Beleidigung des fürstlichen Hauses. Der Koch mochte über den Heidenappetit des Hofmeisters nicht wenig erstaunt sein. Er vergrößerte die Portionen. Auch dieses Mal zeigte sich Bamba tapfer; als ihm aber am Ende des Mahles die hellen Schweißtropfen von der Stirne rannen und er ganz als Riefenschlange sich[72] fühlte, dachte er doch an eine Aushilfe, denn an seiner Meinung, aufgeräumte Schüsseln entsprächen der fürstlichen Ehre, hielt er noch immer fest. Er kaufte zwei Blechbüchsen, welche er in seine Rocktasche steckte, mit allen guten Dingen, die er nicht bewältigen konnte, füllte, und dann auf seinen Spaziergängen vor den Thoren Prags einem Bettler in dessen Schüssel schüttete. Wie der Wettkampf zwischen dem Koch und Bamba geendet hatte, wissen die Götter. Endlich traf die Fürstin mit ihrer Familie ein. Schon am nächsten Tage ließ sie mich rufen, um mir schonend mitzuteilen, daß sie aus die Dienste meines Bruders leider verzichten müsse. Ihr Arzt hatte entschiedenen Widerspruch eingelegt, meinen Bruder als einen sehr kranken Mann geschildert. Wie wir uns bald überzeugten, mit vollem Rechte. Nach einem vor mehreren Jahren überstandenen Typhus hatte sich ein Kehlkopfleiden entwickelt, welches in den letzten Wochen bedenklich fortschritt. Ich konnte nur der Fürstin recht geben, den andern Wunsch, an die Stelle des Bruders zu treten, aber nicht erfüllen. Ich wäre nicht nur undankbar, sondern ein reiner Thor gewesen, wenn ich das czermakische Haus, meine zweite, eigentlich meine erste und einzige Heimat, verlassen hätte. Mama Czermak nahm sich in ihrer Herzensgüte des armen Bamba hilfreich an, räumte ihm im Gartenhause ein Stübchen ein und zog ihn in die Familie, in welcher er bald den jüngeren Gliedern ein lieber Spielkamerad wurde. Über Jahr und Tag schleppte sich Bamba hin. Als sein Leiden sich verschlimmerte, zog er in das Krankenhaus und starb hier an Erstickung des qualvollsten[73] Todes. Seine kleine Habe fiel mir als Erbe zu. Ich beschloß, sie zu den andern Reisepfennigen zu legen, die ich mir aus minder traurigem Anlasse angesammelt hatte.

Mama, immer fürsorglich auf mein Wohl bedacht, hatte mich in mehrere vornehme Häuser als Lehrer empfohlen. Doch sollte ich nicht Kinder, sondern junge, zum Teil bereits in die Gesellschaft eingeführte Komtessen unterrichten. Hochadelige Damen klagten Mama, daß ihre Töchter in der deutschen Sprache so schrecklich ungelenk wären, daß sie kaum einen kurzen Brief schreiben könnten und in der Litteratur (nicht bloß der deutschen) völlig unbewandert wären. Wunderbar war diese Unkenntnis nicht, da die Frauenerziehung in aristokratischen Kreisen ausschließlich in den Händen französischer, meist ganz ungebildeter Gouvernanten ruhte. Hier sollte ich nun, auf Mamas Vorschlag, nachhelfen und die Lücken ergänzen. Zu meinen besten Schülerinnen gehörte die fünfzehnjährige Gräfin Morzin, eine Erbtochter, welche bis dahin von einer wachsgelben ältern französischen Gouvernante erzogen worden war. Die häßliche Person mit stahlharten, unbeweglichen Zügen und einem grobknochigen Körper stand im Solde der Jesuiten und hatte den Plan, die junge, unerfahrene Gräfin und ihr Vermögen in ein französisches Kloster zu locken! Zum Glück verstand sie kein Wort Deutsch, sonst hätte sie meine verhältnismäßig heiter weltlichen und liberalen Lehren nicht geduldet. Es gelang mir allmählich das Zutrauen und die herzliche Teilnahme des anmutigen Dämchens zu gewinnen. Als ich nach Italien abreiste, entführte die junge Komtesse[74] ihrem Vater einen prachtvollen Reisefußsack aus Bärenfell und zwang mir denselben trotz meiner eifrigen Verwahrungen zum Schutze auf der Winterreise auf. Eine ähnlich freundliche Aufnahme fand ich im Hause des Grafen J. Nostitz. Eigentlich sollte ich nur die jüngere, mir im Alter gleichstehende Tochter unterrichten, doch häufig hörte auch die ältere Schwester, eine Erscheinung von berückender Schönheit, zu, und als ich im Sommer 1845, einer Einladung der Familie folgend, auf das Landschloß mitzog, nahm sie regelmäßig, und sogar mit größerem Eifer als die Schwester, an den Lehrstunden teil. Von Gott und Rechtswegen hätte ich mich in das herrliche Frauenbild bis zum Wahnsinn verlieben müssen. Hätte Komtesse Christiane am Hofe Ludwigs XIV. gelebt – das Gesicht besaß den feinen französischen Schnitt – so wäre sie gewiß von Dichtern und Historikern der Unsterblichkeit überliefert worden. Alle Männer neideten mir das Glück, in ihrer Nähe weilen zu dürfen. Daß ich trotzdem über das Maß der höchsten Bewunderung nicht hinauskam, hatte seinen Grund in den kalten Sturzbädern, welche täglich von der ganzen Familie über mich gegossen wurden. So liebenswürdig und freundlich der Verkehr sich gestaltete, so merkte ich doch nur zu bald, daß ich armer bürgerlicher Teufel in ihren Augen gleichsam zu einer andern Rasse gerechnet wurde, welche sich durch Fischblut und den Mangel eines entzündlichen Herzens auszeichnete. Die tiefe Kluft zwischen mir und der hochadeligen Dame zeigte namentlich die große Vertraulichkeit mir gegenüber, im Gegensatze zu der mädchenhaften[75] Scheu, wenn sie mit blaublütigen jungen Herren sich unterhielt. Besäße das Wort nicht in der österreichischen Mundart einen so häßlichen Beigeschmack und seine feste, auf die gemeinsten weiblichen Dienstboten beschränkte Bedeutung, so würde ich sagen: Ich galt als das Mensch, aber nicht als der Mann. Mit einem Individuum meinesgleichen, so war offenbar die in diesen Kreisen herrschende Meinung, könne man keine zarteren Empfindungen teilen. Solche Beobachtungen gaben mir die Ruhe wieder und retteten meine Unbefangenheit. Sobald die gräfliche Familie sich von der Dauer meiner Zurückhaltung überzeugt und erkannt hatte, daß ich die mir gezogenen Schranken niemals überspringen werde, zog sie mich in den Kreis des intimen Verkehrs. Ich gehörte, auch wenn Besuch kam, selbstverständlich zur Tafelrunde und zu den regelmäßigen Gästen des Salons. Bei der Lage des Schlosses, in der Nähe von Marienbad und Königswart, fehlte es nicht an Besuchern. Es beherbergte unter andern den Minister Kolowrat. Der Mitherrscher Österreichs war wenig zugänglich, machte auf mich den Eindruck eines verfallenen, geistesarmen Greises. Dagegen erwies sich sein Sekretär merkwürdig offenherzig. Auf meine Gesellschaft vorzugsweise angewiesen, schilderte er mir in stundenlangen Gesprächen die traurige Wirtschaft in den höchsten Regierungskreisen und zeichnete die leitenden Persönlichkeiten mit unerbittlicher Schärfe. Mit der größten Spannung sah ich dem längern Besuche des Erzherzogs Stephan, damals noch böhmischen Statthalters, entgegen. Es war bekannt, daß ihn die tiefste Neigung an die ältere[76] Tochter des gräflichen Hauses fesselte und nur die äußeren Verhältnisse Entsagung aufgezwungen hatten. Er war überaus mitteilsam und unterhielt uns namentlich über den kleinlichen Druck, welchen Fürst Metternich auf die jüngeren Erzherzöge übte und über den Hang zu Spielereien, welcher mit zunehmendem Alter sich immer mehr steigere. Von einer stetigen Leitung der Staatsgeschäfte sei bei dem »alten Herrn« keine Rede mehr. Er wiederhole immer die gleichen Redensarten und danke es nur seiner festgewurzelten Autorität, daß er noch von deutschen Fürsten und Ministern als politisches Orakel verehrt werde. Zum erstenmal gewann ich Einblick in das politische Getriebe. Auch sonst trat mir in dem gräflichen Hause die Politik sehr nahe. Die ständische Bewegung brachte die aristokratischen Kreise in heftige Aufregung. Graf Nostitz gehörte zu den wenigen Ständemitgliedern, welche die Regierungsrechte verteidigten. Dieses Verhalten verschaffte ihm das Vertrauen der Regierungskreise, allerdings auch den Haß der Oppositionspartei. So lernte ich den Ständekampf nun auch von einer andern Seite auffassen und schildern, als ich in Prag gewohnt war. An eine Verwertung der damals vernommenen Thatsachen dachte ich nicht. Ich behielt sie aber fest im Gedächtnisse und habe viele Jahre später von ihnen dankbar Gebrauch gemacht. Zunächst trat gegen die italienische Reise alles andere in den Hintergrund zurück.[77]

Quelle:
Springer, Anton: Aus meinem Leben. Berlin 1892, S. 59-78.
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