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[94] Im Frühling 1887 war ich einige Zeit bei Hildebrand in Florenz. Auch Konrad Fiedler war zu der Zeit dort, und so hatten wir recht[94] lebhafte Unterhaltungen über Kunst und Welt. Es war eine gar schöne, künstlerisch anregende Zeit. Ich arbeitete viel – machte in Hildebrands Atelier Figurenstudien, aus denen später die Bogenschützen hervorgingen. Auch malte ich eine Ansicht im Garten in St. Francesko.

Hildebrand hatte mir freilich geschrieben, es wollten sich ein paar seiner Bekannten von mir malen lassen. Als Muster hatte ich auch zwei Bilder mitgebracht: das Doppelporträt von Cella und mir, das jetzt in Hamburg ist, und Cella mit dem Kinde Ella im Garten, jetzt in Hannover. Aber gerade diese Muster waren schuld, daß niemand trotz den Bemühungen Hildebrands, sich von mir malen lassen wollte. Diese Bilder gefielen halt nicht. Gar schön war ein Ausflug, den ich mit der Familie Hildebrand machte nach Pisa und in den mächtigen Pinienwald an das Meer, den Strand von Livorno.

Reich an Kunst- und Reiseeindrücken kehrte ich Ende Mai wieder nach Frankfurt zurück. Manche meiner Landschaften sind geradezu aus der Flucht der Eindrücke von der Eisenbahn aus entstanden. So machte ich auf der Station Massa bei kurzem Halt ein paar Striche nach den Bergen von Carara, aus denen später das Bild entstanden ist, welches das Staedelsche Institut besitzt.

Im Jahre 1890 kam Toni Stadler aus München, um im Auftrag des Kunstvereins Bilder von mir zu einer Ausstellung auszuwählen. Vorrat hatte ich genug, und so wählte er über 30 Bilder aus. Diese Ausstellung war ein mich ganz überraschender Erfolg. Die Kritik war wie umgewandelt, und besonders Bierbaum begrüßte meine Bilder mit poetischem Schwung. Ein Bild um das andre wurde verkauft. Die Kunstverleger bemühten sich um Nachbildungen. Wir gingen nach München. Ein Kunsthändler machte mir den Vorschlag, daß er alles, was ich male, mir abnehmen wolle gegen einen hohen Jahresgehalt. Aber alles müsse dann sein gehören. Nach vielen magern Jahren hatte dies Anerbieten doch seine verlockende Seite für mich, und fast dachte ich, daß auch Cella sich freuen würde; aber als ich es ihr sagte, lachte sie mich förmlich aus. Was, jetzt willst du dich binden lassen, wo du es gar nicht mehr nötig hast? Du willst deine Freiheit verkaufen? Freudig sagte ich nun dem Kunsthändler völlig ab.

Der feinsinnige Stadler wurde mir ein treuer Freund, ebenso Bierbaum,[95] der mich später in Frankfurt besuchte. Wir hatten uns öfters geschrieben. Dr. Eifer war begeistert von Bierbaums Gedichten.

Von München fuhren wir auch nach Landshut, der Geburtsstadt Stäbli, Frölicher hatten wir ein frohes Wiedersehen.

Im April 1891 ging ich mit Cella nach Venedig, wo uns die Freunde Thode gar verständnisvoll liebe Führer waren durch all die Herrlichkeiten dieser wunderbaren Stadt. Leider regnete, ja goß es die meiste Zeit so, daß die Fülle der Wasser unter mir und über mir, mir bange machte. Auch bekam ich kleine Fieberanfälle, so daß ich auf einen Tag nach Padua ging, wo ich mich überzeugte, daß es in der Welt auch noch Staub und nicht nur Feuchtigkeit gebe. Mit Thode wallfahrteten wir nun auch zu dem Wunderbilde Giorgiones in Castelfranco, fuhren dann in einem Wagen beim Ausbruch eines schweren Gewitters von Castelfranco fort, mußten Schutz suchen unterwegs in einem Bauernhaus, sahen dann eine sehr schön mit leichten Fresken verzierte Villa der Katarina Cornaro – in den Farben von grün und gelb erinnerte es mich fast an Majolikawirkung. Darauf besuchten wir die von Paul Veronese mit Malereien reich ausgestattete Villa Maser, machten auch im Wirtshaus von Asolo halt, wo die Pferde gewechselt wurden. Durch allerlei Fährlichkeiten bei finsterer Regennacht kamen wir spät in Bassano an. Am andern Morgen sahen wir in die Schlucht hinein, aus der die wildschäumende Brenta hervorbricht – sahen dann die Galerie an mit den vielen Bassanobildern. Dann mit Bahn nach Vicenza, wo uns Thode verließ, um nach München zu fahren. Wir stiegen in einem palastartigen Hotel ab, aßen im schönen Speisesaal, von eleganten Kellnern bedient, gut zu Nacht und schliefen herrlich in den guten Betten. Wir freuten uns auf das Frühstück, als wir aber hinunterkamen war der Speisesaal in unmöglicher Unordnung. Ein Durcheinander von Tisch und Stühlen, kein Kellner war zu sehen, nur ein Hausknecht hatte in einem Nebenraum einen Tisch voll Stiefel stehen, die er putzte. In unserm unbeholfenen Italienisch gaben wir ihm zu verstehen, daß wir frühstücken möchten. Er machte ein etwas sonderbares Gesicht, sagte etwas was wir nicht verstanden. Als wir unser Gesuch wiederholten, verschwand er und kam nach kurzer Zeit[96] mit zwei Tassen Kaffee über den Hof gegangen. Unter jedem Arm trug er ein Brötchen, er schob dann mit dem Arm die zunächst stehenden Stiefel zurück und stellte uns das Frühstück hin. Ich erinnerte mich erst später, daß es mancherorts in Italien gebräuchlich ist, das Frühstück im Kaffeehaus einzunehmen. Wir sahen dann die Schönheiten Vicenzas an, die Rotunda u. dergl. Gar schön waren auch die schneebedeckten Alpen im Norden; es hat immer einen gewissen Reiz, jenseits von etwas sich zu befinden.

Da noch gut Zeit war bis zur Abfahrt unseres Zuges, wollten wir noch gern die Umgebung ansehen, und auf einem Droschkenstand verhandelte ich über die Sache mit einem Kutscher; er sagte Subito! und ging in ein Haus nebenan, wo er gleich wieder mit einer andern Kopfbedeckung herauskam, und wir stiegen ein und machten eine sehr schöne Fahrt. Als wir am Bahnhof waren und ich ihn bezahlte, forderte er mehr als den doppelten Betrag als den, welchen ich mir als Taxe wohl gemerkt hatte. Und auf meine Einwendung hin zeigte er mir seine Kappe und bedeutete mir, daß er nicht als Droschken-, sondern als Privatfuhrmann uns gefahren habe und er deshalb nicht an den Tarif gebunden sei. Was wollte ich machen, ich lachte über diese Schlauheit und er lachte auch. Ich zahlte und so schieden wir in Frieden. Wir fuhren über den Gotthard nach Basel, wo wir noch ein paar Tage mit der Frau Pfarrer La Roche und andern Baseler Freunden zubrachten, ehe wir nach Frankfurt zurückkehrten. Basel war mir immer eine freundliche, fast heimatliche Stadt, und so folgte ich gerne einer Einladung des Herrn Vischer von der Mühl, ihm von seinem Gut, dem Arxhof im Baselland, eine Ansicht zu malen. So hatten wir im Anfang der 90, er Jahre einen schönen Aufenthalt auf diesem Landgut, besuchten auch das schöne Schloß Wildenstein, welches dieser Familie gehörte.

Im Jahr der Krönungsfeierlichkeiten der Königin Wilhelmine waren wir mit der Familie Küchler in Holland und freuten uns an der ausgelassenen Lustigkeit des holländer Volkes, an dieser orangefarbigen Freude, die allenthalben herrschte. An den Reigentänzen, die man überall sah, nahm auch ein Gendarm teil, was in Deutschland gewiß unzulässig wäre. Ein javanisches Schauspiel hat mich sehr angezogen.[97] Eine fast eintönige schwere Musik von Holz- und Saiteninstrumenten begleitete die so ausdrucksvoll-deutlichen Pantomimen der biegsam schönen bräunlichen Körper; die Kostüme von höchstem Farbengeschmack. Schön waren was Meer und der Strand von Scheveningen und das Fischerwesen. Wir waren auch in Leiden, Harlem, Rotterdam, Amsterdam, auf der Insel Marken.

Im März 1897, nach dem Tode der Mutter, reisten wir, Cella, Agathe, Ella, Maria la Roche und ich nach dem Gardasee; über Ulm, den Bodensee nach Bregenz, wo wir übernachteten. Den andern Tag nach Innsbruck, den dritten über Mori nach dem Gardasee. Es war eine gar schöne Fahrt dem Süden entgegen. Der Ausblick, der sich von Nago herunter auf den Gardasee eröffnet, ist das Überraschendste, was man sich von landschaftlicher Situation und Schönheit denken kann.

Cella und ich wohnten bei den Freunden Thode auf ihrer schönen Besitzung Cargnacco – die andern drei wohnten in Salo. – Wir genossen die herrliche Gegend auf die ausgiebigste Art zu Wasser und zu Land. Dabei habe ich aber doch noch fleißig gearbeitet. Ein Sonntagmorgen unter den Ölbäumen von Sirmione bleibt mir besonders unvergeßlich, aber auch unbeschreiblich.

Vom Gardasee gingen wir noch auf ein paar Wochen nach Venedig, wo wir im Hotel S. Marco wohnten.

Eine Stätte, wo der Frieden gar schönen Ausdruck gefunden zu haben scheint, war uns die Insel mit dem Armenierkloster. Es wird einem gar wohl an solchen Stätten und gar wenn es eine Insel ist, vom blauen Meer umspült. Nachdem die Zeit abgelaufen war und wir die Herrlichkeiten Venedigs verlassen mußten, fuhren wir nach Mailand, über den Gotthard in die Schweiz, nach Ormelingen ins Pfarrhaus La Roche, wo der Bruder von Marie Pfarrer war. Dort blieben wir ein paar Tage, ehe wir nach Frankfurt zurückkehrten.

Ja, das Lebenslaufschreiben ist gar nicht so leicht, wie ich gedacht habe, als ich mich vom Pfarrer Hansjakob dazu verleiten ließ. Jetzt ist auch die Zeit, die in Frankfurt abgelaufen hinter mir liegt, erledigt. Was soll ich weiter davon sagen. Ich möchte am liebsten den Lebenslauf in abgekürzte Form fassen, daß er Platz hat in einem kleinen Sprüchlein, etwa so:[98]


Ein kleines Licht das in mir wirket still

Läßt mich die ganze Welt erkennen,

Ich weiß nicht, was es ist und was es will,

In Ehrfurcht will ich's Göttlich nennen.


Oder auch in Form einer Grabschrift, etwa so:


O Tod, du machst mein Aug' zu nichts,

Doch nimmermehr die Macht des Licht's,

Die hat zum Werkzeug sich erbaut

Das Aug', damit es selbst sich schaut.

Die Zeit eilt hin, der Tod kommt her;

Er nimmt hinweg was Erdenschwer.

O weint nicht vor des Grabes Nacht,

Nur 's Werkzeug wird zur Ruh gebracht.

Zu schwach, konnt's nicht die Zeit besteh'n,

Zum ew'gen Licht wird's aufersteh'n.


Es geht jetzt ein Schrecken über die Welt und ein Zittern durch die Völker. Wir leben in einer Zeit, die schwer zu ertragen ist. Wir suchen umsonst sie zu ergründen und suchen Klarheit uns zum Trost. Da geschieht es wohl, daß die Seele sich vor der Welt verschließt und sich zurückbesinnt auf ihr eigenstes Sein und sich zurückzieht auf den letzten Quell alles Lebens, den wir Gott nennen. Wir finden Trost in dem Gedanken, daß wir der Vergänglichkeit enteilen mit dem Wort: Es geht alles vorüber! Die Einzelnseele schweigt, das große Weltgeschehen geht über sie hinweg, es geht sie nichts mehr an. Aber es vernichtet sie nicht.

Sie vernimmt wieder aus der Ewigkeit stammende Worte und versteht sie. Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, dasselbe war im Anfang bei Gott und alle Dinge sind durch dasselbe gemacht. Das Wort wird hier wohl die ewig schaffende Seele bedeuten.

In unserm Suchen und Ahnen können wir auf den Gedanken kommen, daß in diesem Zeitabschnitt die ewig schaffenden Kräfte aufgewühlt sind und Neuschöpfungen oder Neuordnungen hervorbringen,[99] die notwendig sind. Wir können sie nicht übersehen, aber wir ahnen, daß sowohl Kräfte am Werke sind, die Gutes wollen und Böses bewirken, und sehen die Kraft, welche Böses will und Gutes schaffen muß. Die Einzelnseele kann nur still zusehen und sicher sein in dem Vertrauen, daß aus all den bittern Kämpfen der wahre Kern der Menschheit, der göttlichen Ursprungs ist, sich herausschälen wird zu einer höhern Daseinsform, die sich über dem Abgrund erhebt, in dem die feindlichen Dämone des Menschengeschlechtes herrschen.

Aber das Aufräumen verursacht Kopfzerbrechen und wirbelt Staub auf, der die ewig schaffenden Kräfte umnebelt und unsern Blicken verhüllt.

Quelle:
Thoma, Hans: Im Winter des Lebens. Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen, Jena 1919, S. 94-100.
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