Fünf und zwanzigstes Kapitel

[244] Frau Köhler kam an, – um ihre Nichte begraben zu sehn. Sie weinte mit Konrad und Liesen bey der theuern Leiche, aber Ludwig konnte seine Thränen nicht mit den ihrigen vermischen. Sein Auge war trocken und starr, und so heftig auch der Schmerz in seinem Innern wüthete, so las man nichts von ihm auf seinem Gesicht, als die gleichgültige Betäubung, die seine erste Stärke mit sich führt. Er wirkte sich die Erlaubniß aus, ihre Ueberreste unter der Eiche begraben zu dürfen, wo er sie zum erstenmal nach langer Trennung wieder gesehen hatte. Sie war schon vorher sein Lieblingsplatz und wurde es nun noch mehr, da unter ihrem Schatten das Liebste, was er auf der Erde hatte, schlummerte. – Er setzte ihr ein einfaches Grabmal, mit dem Tag und Jahr ihrer Geburt und ihres Todes, und der[244] simpeln Inschrift: Ihr Tod war schön und sanft, wie ihre Seele! – Täglich besuchte er das Heiligthum seines Schmerzes, und Konrads Kinder, die den Grabhügel ihrer Freundin oft mit Blumen bestreuten, fanden ihn zuweilen ohne Spuren des Bewußtseyns, ganz verloren und versenkt in seine Schwermuth, oder auch in milden Thränen, die ihm endlich Zeit und Nachdenken gab. – Er führte sein Leben still und traurig fort, wie in den Tagen, da er Marien betrauerte, als sie sich durch ihre Liebe zu einem Andern von ihm losgerissen hatte, aber seine Empfindung war nicht mehr so herbe, wie damals, denn Marie war ja als die Seinige gestorben. Er dachte an keine zweite Verbindung, und Frau Köhler führte mit der Sorgfalt einer Hausfrau seine Wirthschaft an Mariens Stelle. Jedes Ueberbleibsel von ihr war ihm eine heilige Reliquie, und in stillen Stunden, wo er sich frey von Zeugen glaubte, oder über seinen Kummer der Zeugen vergaß, vertiefte er sich schwermüthig in die Größe seines Verlustes. Er pflückte jede Blume aus dem Felde der Vergangenheit, um damit den Rautenkranz der Gegenwart zu schmücken, oder um sie in süßer Täuschung auf die verheerten Ruinen seines Glücks zu streun. – In die[245] Rinde der Eiche, unter der sie ruhte, schnitt er ihren Namen, und nun war der geliebte Baum ihm doppelt werth. Hier fand ihn jeder Abend in Träumereien verloren, die ihm entweder die Zukunft jenseit des Grabes mit Farben der Hoffnung malten, oder alle Freuden seiner vergangnen Tage ihm wieder zurückriefen. – Oft glaubte er sich auch von Mariens Geiste umschwebt, und dann verließ er allemal mit erhöhtem Muthe zum Leiden das Grab, in dem seine Geliebte und seine Glückseligkeit ruhten. Er überlebte sie nur einige Jahre, und Frau Köhler folgte ihm bald nach.

Mariens schriftliches Vermächtniß an den Grafen wurde ihm richtig überbracht. Er hatte, da jede Mühe, ihren Aufenthalt auszuforschen, vergeblich war, in dumpfer Schwermuth seine Tage in der Stadt verlebt, aber ohne an ihrem Geräusch und seinen ehemaligen Gesellschaften Theil zu nehmen. Alle seine Heiterkeit war hin, – immer erblickte er im Spiegel der Erinnerung Mariens Vertrauen und ihren gemißhandelten Glauben, der ihn an seine innere Entehrung mahnte. – Er hatte, seit er so hart von Josephinen gegangen war, wohl oft mit Antheil und Zärtlichkeit an diese arme, auch von ihm Betrogne[246] gedacht, aber sie nicht wieder gesehn. Jene Vorwürfe, die er ihr mit so viel Bitterkeit in einer Stunde machte, wo sie des Balsams für ihr zerrissenes Herz bedurfte, kamen nicht aus seinen Gedanken. Aber es liegt leider in den mehresten leichtsinnigen Menschen der Wunsch und das Verlangen, einen begangenen Fehler dadurch zu beschönigen, daß sie die Ursachen, die ihn veranlaßten, nicht in sich selbst, wo sie wirklich zu Hause sind, sondern in dem andern suchen, der darunter leidet.

Das Gewissen weicht nie aus der menschlichen Seele, so oft es sich auch einschlummern läßt, und wenn auch der Strom der lauten Freuden den Bösewicht in dumpfer Betäubung mit sich fortreißt, so kommt doch endlich eine stille Stunde, der er nicht ausweichen kann, die ihm den Spiegel vors Gesicht hält, aus dem ihm zu seinem Schrecken alle seine Vergehungen in ungefärbter Häßlichkeit entgegen strahlen. Dann möcht' er gern den innern Stichen entgehn, die ihn peinigen, und sucht den kleinsten Flecken in dem Charakter auf, den er beleidigte, um sein Verfahren zu rechtfertigen. Wodmar hatte zwar anfangs mit einem unangenehmen Gefühl Josephinens[247] erste Kälte und den Stolz bemerkt, mit dem sie ihm begegnet war; – aber da er sie nicht liebte, so war ihm nach und nach die Kluft lieb geworden, die die Verschiedenheit ihrer Denkungsart zwischen sie warf, da sie ihm wenigstens in seinen eignen Augen eine wichtige Entschuldigung seines Verfahrens gegen Marien schien. Er schätzte Josephinen, wie es ihre reine Tugend verdiente und er bereute es, ihrem weichen Herzen durch seine rauhe Begegnung weh gethan zu haben, – aber er wagte es nicht, sie zu sehen, und die Ungewißheit, die ihn wegen Mariens Schicksal folterte, erlaubte ihm auch bis jetzt nur als Nebensache den Gedanken an sie.

Als er Mariens Brief erhielt, und ihre Hand auf der Aufschrift erkannte, ergriff ihn ein ahndungsvolles Beben. Er legte ihn unerbrochen vor sich hin, um einige Minuten sich den süßen Vermuthungen und Hoffnungen zu überlassen, die ihn umgaukelten. Er glaubte sie versöhnt, aber nicht erst an der Pforte der Ewigkeit, sondern noch in diesem unvollkommnen Leben, das er ihr so sehr getrübt hatte. Aber als er das Blatt entfaltete, dessen wankende Schreibart ihm bewies, daß sie ihm ihre letzten Kräfte geopfert hatte, als er es[248] las und in dumpfer Bestürzung wieder las, überfiel ihn die gräßliche Verzweiflung. Marie todt, und seine Anklägerin vor Gottes Richterstuhl! diese Gedanken vermochte er nicht zu trennen, so sehr auch Mariens sanfte Vergebung den letztern widerlegte. Sein Körper wurde so krank, wie seine Seele. Zwar rettete ihn seine Jugend und die geschickte Behandlung des Arztes von dem Tode, den er wünschte und fürchtete, aber eine schwarze Melancholie blieb immer in seiner Seele zurück, und nur als er umständliche Nachricht von Mariens letzten Stunden und ihrem Ende eingezogen hatte, ging sie in eine weichere Art von Schmerz, in die tiefste Wehmuth über. O Marie! sagte einst sein ganzes Wesen, womit kann ich Dir ein schöneres Monument bauen, als durch gute Thaten und die Erfüllung meiner Pflichten! Womit kann ich Deinen schlummernden Staub besser ehren, als durch das Bestreben, Deiner werth zu seyn! – Die traurende Josephine trat in diesem Augenblick vor seinen lebhaften Geist, und in ihrem schönen Auge hingen noch die Thränen, die er ihrem Herzen entpreßt hatte, und sie zu trocknen schien ihm sein schönster Beruf. Er machte Anstalt zur Abreise. – – Josephine lebte eingezogen und still in Wodmarshausen und[249] widmete alle ihre Zeit dem geliebten Kinde, das die einzige ihr noch übrig gebliebne Quelle ihrer Freuden war. Sein Name und seine Sanftmuth rief den ersten Geliebten, und seine sich immer mehr entwickelnden Züge den zweiten in ihr trauriges Andenken zurück, und ließ den Gedanken nie verlöschen, daß sie Beide verloren. Ach, von dem ersten hatten sie die Vorurtheile ihres Standes geschieden, und von dem andern trennte sie auf ewig die Ueberzeugung seines Unwerths.

Der Graf kam an. Josephine empfing ihn mit ernster Würde. Ich habe Sie beleidigt, theure Josephine! sagte er, aber die unglückliche Ursach, die uns trennte, ist nicht mehr. Sie starb, indem sie mir vergab! Wollen Sie dem Beyspiel ihrer Versöhnung folgen? – – Er reichte ihr hier Mariens Brief und schwieg. – Josephine nahm ihn kalt und gleichgültig, aber sein Inhalt machte ihr Herz weich, und sanft wurde ihr stolzes Auge von Thränen überzogen, die sie der Unglücklichen nicht verweigern konnte. Rasch wandte sie sich zu ihrem Gemahl, mit festem Entschluß und festem Blicke, obgleich einer gerührten Stimme. Dieser Brief, sagte sie, indem sie ihn zurück gab, sey unser Scheidebrief.[250] Ich verlange nichts von Ihnen zur Entschädigung meines Kummers, als den Besitz meines Kindes, und die Sorge für seine Erziehung, damit sein Herz rein bleibt von der Falschheit seines Vaters. Mit diesen Worten verließ sie ihn, ihre Wange von edlem Unwillen entflammt, und nie sah sie ihn wieder. Sie erfüllte ihre Mutterpflichten mit der größten Gewissenhaftigkeit, und ihr Sohn lohnte ihre Mühe durch den liebenswürdigsten Charakter, der sich unter ihrem Beispiel bildete und befestigte. In ihm fand sie den Ersatz aller ihrer Leiden. – Wodmar zog sich nach einigen vergeblichen Versuchen, sie zu versöhnen, nach Nesselfeld zurück, wo er das Andenken seiner Marie beweinte. Er suchte sich oft durch Reisen zu zerstreuen, aber die Ruhe, die er zuweilen genoß, war nur Fühllosigkeit, und wich schnell neuen Qualen, die ihm Vergangenheit und Zukunft gab und verhieß. Er suchte durch Wohlthätigkeit feinen Gram zu zerstreuen, aber er blieb fest in seiner Seele und wich nur spät dem Tode, der alle Wunden heilt.

Und August? – hatte seine erste, unglückliche Liebe nicht vergessen, sondern sie langsam in eine sanfte, aber feste Freundschaft umgestimmt,[251] die er ewig für Josephinen beibehielt. Jahre waren nöthig, die Flamme der Leidenschaft in ihm zu dampfen, aber als es endlich geschehn war, loderte eine schönere in ihm auf, die er frey und stolz der ganzen Welt bekennen durfte, und ihrer reinen, wohlthätigen Wärme freute sich Josephine.

Auch die Liebe behauptete noch ihre Rechte in seinen männlichen Jahren an ihm, und schmückte sie durch ein Mädchen seines Standes, das seine Wahl verdiente. Als er verheurathet war, sah er erst Josephinen wieder, und die Erinnerung der vorigen Zeiten betrübte sie nicht mehr, sondern wurde durch die angenehme Wehmuth, die sie in die Freuden des Wiedersehns mischte, ein neues, zartes Band der Freundschaft. Madam Wilmuth und August mit seiner Familie zogen zu Josephinen aufs Land, und bei dem heitern Abendroth, das ihnen lachte, vergaßen sie die Stürme des Morgens.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Marie Müller. Schleswig 21814, S. 244-252.
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