VIII

[94] Mismuthig, mit sich selbst entzweit, und doch sein ganzes Wesen durch einen neuen, kräftigeren Impuls aufgeregt, kam Alexander nach Hause, und verträumte noch manche Stunde in Erna's Andenken, ehe der Schlummer sein müdes Auge schloß. Hätte er seiner Neigung nachgeben mögen, so würde er am folgenden Tag schon versucht haben, Zutritt im Hause des Gesandten zu erhalten, das, ohne jemals große Feste zu geben, sich jeden Abend gastlich den Besuchen gebildeter und befreundeter Menschen öffnete. Aber nach der Art, wie Erna ihn aufgenommen, schien es ihm zu kühn, ihr in ihrer eigenen Wohnung zu nahen, ehe nicht ein zweites, milderes Zusammentreffen am dritten Orte ihn dazu ermuntern würde. Denn auch nur den leisesten Schein einer Zudringlichkeit auf sich zu laden, war seinem Stolze unerträglich, selbst hier wo es Beschwichtigung der innern, ewig nagenden Unruh und Linderung der Sehnsucht galt, die an seinem Herzen zehrte.

Erna's Erscheinung wirkte indessen in seiner Seele fort, indem sie ihn immer mit sich beschäftigend, von seinem gewohnten Thun und Treiben abzog. Nie hatte er einsamer und zurückgezogener gelebt. Ganze Tage brachte er, sich selbst genug, in seinem Zimmer zu, über die tiefe Bedeutung[94] ihres Charakters, die reiche Entfaltung ihrer schönen Anlagen nachzudenken. So lebendig, als sei sie es wirklich, erblickte er dann im Spiegel seiner Phantasie ihre schlank aufstrebende, hohe, und doch in dem reizendsten Ebenmaas so sanft gerundete Form, und das seelenvolle Gesicht, das in seinen Zügen einen so himmlischen Ausdruck offenbarte. Dann lag die ganze Welt versunken und vergessen hinter ihm, und nur ein einziges, unendliches Gefühl sagte ihm, daß er lebe, aber nur um zu wünschen und zu hoffen, was doch so fern, in so unerreichbarer Höhe schimmerte, wie der Mond, der seinen reinen Strahl zur dunkeln Nacht herab senkt.

Noch hatte nichts im Leben seinen Charakter zur tiefen Einkehr in sich selbst zurückgedrängt. Jetzt auf einmal fand die unstäte Begehrlichkeit seines Sinnes einen festen Halt im Daseyn. Er fühlte sich besser, als sonst, folglich auch ihrer würdiger. Die Vergnügungen, in denen er sich ehemals berauschte, ekelten ihn jetzt an – schaal und unschmackhaft waren ihm die Früchte der Weltklugheit, die er gegen den Preis eines reinen Herzens eingetauscht hatte, und gern würde er alle Blüthen seines künftigen Lebens, gleich einer Opfergabe, auf den Altar reiner Anbetung niedergelegt haben, hätte Erna nur freundlich die Hand ausstrecken wollen, sie zu empfangen.[95]

Die einzige Annäherung, die er sich gestattete, war des Abends, wo er durch die Straße ging, in der sie wohnte. Dann sah er zu den hellen Fenstern empor, wie man zu den Sternen aufblickt, wenn man die Dürftigkeit der Erde recht tief empfindend, sich nach dem Himmel sehnt. Ihm war dann, als könne er, wenn ein leichter Schatten an den Wänden vorüberschwebte, erkennen, ob sie es sei oder nicht, und nicht nur manche Sekunde im flüchtigen Vorüberstreifen, sondern ganze halbe Stunden ruhig verweilend, brachte er in seinen Mantel gehüllt, dem Hause gegenüber zu, dessen Mauern so glücklich waren, sie zu umschließen.

Acht Tage waren so seit jenem Ball vergangen – da fand er einst die Fenster dunkel, folglich seinen Abendspaziergang des höchsten Reizes beraubt. Verdrieslich darüber lief er zwecklos noch durch einige Straßen, und als sein Weg ihn am Opernhause vorüberführte, und, durch die Entfernung gedämpft, Mozarts Zauber in den herrlichen Tönen Don Juan's sein Ohr traf, beschloß er, leise von ihnen ergriffen, einzutreten, obgleich die Vorstellung längst begonnen hatte.[96]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 94-97.
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