XXIV

[173] Mit unschlüssigem, aber freundlichen Wesen geleitete ihn Erna, der Höflichkeit gemäß, bis halb zur Thüre, und der Ausdruck in ihren Zügen, als er sie zum letztenmal ins Auge faßte, überzeugte ihn still und tröstlich, daß er ihrer Discretion, so wie überhaupt ihrer Gesinnung, vertrauen dürfe.

Er kehrte nun in seine Wohnung zurück, ruhiger zwar als er sie verlassen hatte, wiewohl noch nicht weiter vorwärts gekommen, als vorher.

Indeß – das Geheimnis seines Herzens war ausgesprochen – er selbst hatte es der Entscheidung der Geliebten unterworfen – er durfte daher nicht zweifeln, daß sie bald erfolgen werde. Aus Furcht, den zarten Blüthenstaub von seinen Hoffnungen zu blasen, enthielt er sich gewaltsam alles Grübelns – aber mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte er auf jeden[173] Fußtritt, der seinem Zimmer nahte, immer erwartend, ein willkommener Bote werde ihm das ersehnte Ja, oder wenigstens die Weisung bringen, selbst zu kommen, um es von den Lippen der erröthenden Braut zu vernehmen.

Aber umsonst. Die zögernden Stunden, durch lange Erwartung gedehnt, glitten im Schneckenschritt an ihn vorüber, und keine Kunde von ihr erfreute seine Einsamkeit.

Auf dem Ball wird sie dir antworten, sprach er zu sich selbst, den stürmischen Aufruhr seines Gemüths durch mühsam aufgesuchte Trostgründe beschwichtigend. Es war zu viel, von der weiblichen Schüchternheit zu verlangen, sie solle ohne alle Ueberlegung, ja sogar mit dem Anschein einer Uebereilung das Wort aussprechen, das Liebe und Innigkeit sich erst verdienen muß, wie die Tapferkeit den Lorbeer, der den Helden schmückt. In ihrem Blick werd ich mein Urtheil lesen – und, o die sonnige Milde, die er diesen Morgen noch mir ins Herz strahlte, als sie mich krank wähnte, berechtigt mich fest zu halten an der freudigsten Zuversicht!

Kaum dämmerte der Abend, so kleidete er sich zum Ball an, und ob er gleich gewöhnlich erst öffentlich erschien, wenn alles versammelt war, und man ihn längst vermißt hatte, so ließ ihm heute doch die Unruh keine Rast, und er[174] war der erste Ankömmling im weiten, noch nicht einmal völlig erleuchteten Saale. Selbst die Gräfin, sonst eine sehr aufmerksame Wirthin, fehlte noch, da die Stunde, wo sie mit Recht erst ihre Gäste erwarten durfte, noch nicht geschlagen hatte.

Er verbot den Bedienten, ihr seine Ankunft zu melden, und setzte sich in eine Fenstervertiefung, wo die weiten, faltenreichen Drapperien der seidenen Fenstergardinen ihm eine Art von Einsamkeit mitten im Gewühl geschäftiger Zurüstungen gewährten.

Endlich fingen die Wagen an zu rollen, und fröhliche Gruppen füllten den Saal und die angränzenden Gemächer – sie aber, die sein Auge mit schüchternem Verlangen suchte – sie sah er nirgends, und als es endlich immer lauter und gedrängter um ihn her ward, verließ er seinen Schlupfwinkel, sich unter die Menge zu mischen.

Da begann der Tanz, aber ohne Erna, die doch bestimmt war, die Königin des Festes zu seyn.

Die Gräfin schien verstimmt. Noch hatte er sich ihr nicht genähert, da wurde sie ihn gewahr, und sagte, mismuthig an ihn vorüberstreichend: Denken Sie, wie fatal es mir geht! Ich verfehle ganz den Hauptzweck, den ich hatte,[175] Erna einen frohen Abend zu bereiten. Sie hat absagen lassen.

Noch war er halb betäubt von dieser ihn schmerzlich befremdenden Nachricht, da mahnte ihn ein süßer aromatischer Duft an der Daphne würzige Blüthe. Er kannte die Schätze aller Treibhäuser der Residenz, und wußte, daß diese liebliche Pflanze in keinem derselben jetzt blühend existire. Wars ein Wunder, wenn er, trotz dem, was er so eben gehört, Erna's Nähe, wiewohl seinen Augen noch verborgen, vermuthete. Wie die Gletscher, von der untergehenden Sonne zum letztenmal bestreift, in sanftem Rosenlicht erglühen, um dann aufs Neue zu erblassen, von nächtlichem Schatten umhüllt, so wärmte eine zarte Hoffnung noch einmal sein bebendes Herz, um es täuschend der Verzweiflung Preis zu geben.

Denn was glich der Empfindung, die sein glühendes Blut in einen fröstelnden Eisstrom verwandelte, als der verrätherische Duft näher und näher kam, und er – an Fräulein Mariane Lahnberg's vergilbtem Busen seine liebevoll erzogenen, einem so schönen Zweck geweihten Pflegekinder, die Daphne neben ihrem strahlenden Gefährten, den Rhododendron erblickte?

Seiner nicht mächtig drängte er sich zu ihr hin, und: wie kommen Sie zu diesen Blumen?[176] war die nicht sehr freundliche Anrede, mit der er ihren zuvorkommenden Gruß erwiederte.

Höhnisch grinzte ihn Mariane an, und sagte: wir machten vor dem Ball eine Visite bei der *schen Gesandtin. Da lagen diese Blumen auf dem Tische, von denen Fräulein Willfried uns sagte, daß sie ein ihr aufgedrungenes Geschenk, und ihr höchst zuwider seien, so sehr sie auch sonst Blumen liebe. Als ich sie nun lobte, und den armen Dingern das Wort redete, sie möge ihnen nicht entgelten lassen, aus welcher unangenehmen Hand sie vielleicht kämen, bot sie mir sie an, wiewohl sie hinzufügte, sie wage es kaum, da ihre Absicht gewesen sei, sie zum Fenster hinaus zu werfen. Ich aber kehrte mich nicht daran, und nahm sie. Finden Sie sie nicht schön?

Knirschend blieb Alexander ihr die Antwort schuldig. Das ist zu viel! rief er aus, fest mit seiner Hand seine Augen verdeckend, vor denen sich alle Gestalten um ihn her zu verwirren begannen.

Um Gotteswillen, schrie Mariane, was ist Ihnen? Ich habe doch wohl nicht etwan eine Indiscretion begangen? Ich beschwöre Sie, sagen Sie niemand, was ich Ihnen eben erzählte, es könnte Verdrus geben. Ich bin nun einmal[177] so ein albernes aufrichtiges Ding, daß ich schlechterdings immer die Wahrheit sagen muß.

Ohne weiter auf sie zu hören, rannte er fort, und kam in einem Zustande in seine Wohnung zurück, der fast dem Wahnsinn glich.

Seine Leute, ihn nicht so früh vermuthend, waren ausgegangen, und nur Benedikt, sein Reitknecht, ein grundehrlicher, treuherziger Bursch, der alle ihm gegebenen Aufträge aufs pünktlichste besorgte, und mit der größten historischen Treue darüber berichtete, war zur Aufsicht des Hauses zurückgeblieben.

Erschrocken leuchtete er seinem Herrn in das todtenbleiche Gesicht, ängstlich vor ihm herschreitend, ihm das Zimmer zu öffnen. Und als Alexander hier, ohne ein Wort zu sagen, sich mit stieren Blicken auf den Sopha warf, blieb er verlegen vor ihm stehen, und wußte selbst nicht, ob jetzt der schicklichste Augen blick sei, von den während seiner Abwesenheit sich ereigneten häuslichen Vorfällen zu sprechen. Indeß, seine Liebe zur Pünktlichkeit siegte über die Furcht, seinen ihm ganz unheimlich vorkommenden Gebieter vielleicht in tiefen Gedanken zu stören, und schüchtern langte er von dem Marmorsimms des Kamins einen Brief, der von einem Bedienten des *schen[178] Gesandten mit dem Bedeuten überbracht worden sei, daß es keiner Antwort bedürfe.

Ein wirksameres Mittel hätte Benedikt nicht auftreiben können, seinen fast zu Marmor erstarrten Herrn von Neuem zu beleben. Wie der Verschmachtende die letzte Kraft, die ihm übrig blieb, anstrengt, den Becher zu erreichen, in den ihm Labung und Rettung quillt, so ergriff Alexander mit zitternder Hast den Brief, ihn an sich reißend, als könne durch ihn die Quaal seines Innern sich lindern, und noch alles, alles gut werden.

Gleichwohl betrachtete er doch erst, ehe er das Siegel brach, die Aufschrift, sich einen Moment an der zierlichen Frauenhand weidend, die sie geschrieben. Noch nie hatte er Erna's Schriftzüge gesehen; aber ein milder Geist, der Geist der Hoffnung, schien sie zu beseelen, und neu gestärkt und ermuthigt öffnete er nun den Brief und las folgendes:

»Ersparen Sie meiner Freundin die unangenehme Nothwendigkeit, Ihnen eine abschlägliche Antwort er theilen zu müssen, indem Sie Sich mit meiner Versicherung begnügen, daß Erna's Hand auf ewig für Sie verloren ist.

Auguste[179]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 173-180.
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