III

[196] Sie schien vor dem Blick zu erbeben, den er auf sie schleuderte. Der brennendste Haß, die tiefste Geringschätzung, und eine Stimmung, in der es ihm nicht schwer geworden wäre, das blutigste Verbrechen zu begehen, spiegelte sich als Wiederschein der wilden Gährung, die in seinem Innern Statt fand, in seinem Antlitz ab.[196]

Doch – nur einige stumme Minuten ihr gegenüber, und er fand sich wieder.

Wie schön war sie nicht in dieser schweigsamen, demüthigen Haltung, vor der Wuth erzitternd, die sein Anblick ausdrückte, und doch, vom Gefühl der Mutterwürde gestärkt, ihm furchtlos in das flammende Auge schauend. So rein und edel hatte selbst Raphael seine Madonna nie gedacht. Der rosige Duft kräftiger Jugendfrische auf ihren Wangen war einer sanft verklärenden Blässe gewichen, und die kindliche Heiterkeit, die sonst wohl ihre Züge anregte, einem stillen, seelenvollen Ernst, der aber durch die unaussprechlichste Güte gemildert ward.

Schweigend waren die ersten Augenblicke des Wiedersehens ihnen vorübergegangen – jetzt aber faßte sich Alexander, und redete sie an.

Verzeihen Sie, gnädige Frau – – denn so muß ich Sie jetzt wohl nennen, sagte er bitter, daß ein Unfall, der mich nicht weit von hier getroffen, mich ohne die Ahnung, daß ich Ihr Haus betrat, hierher führte. Ich glaubte meine ehemaligen Bekannten noch hier zu finden – allein ich habe mich geirrt, wie ich sehe.

Nicht in dem, was Sie zu finden meinten, versetzte Erna. Sie sind bei Ihren ehemaligen Bekannten, denn Sie sind bei mir.

Das möchte um so unangenehmer für uns[197] beide seyn, erwiederte Alexander, unfähig, seiner herben Stimmung zu gebieten. Doch Erna nahm gelassen diese unartige Aeußerung hin, und rügte sie nicht. Sie bemerkte gerade jetzt, daß er verwundet und ihres Beistandes bedürftig sei. Eilig rief sie daher die Wärterin des Kindes, übergab ihr den Säugling, und bemühte sich mit der sanftesten Theilnahme, zu erforschen, wo es ihm weh thue, um ihm lindernd und nützlich zu seyn.

Er war sehr erschöpft von dem inneren Aufruhr, den Haß und Neid, zwei ihm sonst so fremde Leidenschaften, bei der Vorstellung, daß Erna vermählt sei, in ihm erregt hatten. Gleichwohl wollte er doch, ohne alle Hülfe anzunehmen, seinen Weg zu Fuß nach der sehr nah gelegenen Stadt fortsetzen – allein Erna glaubte dies bei seinem psychisch und physisch gereizten Zustand nicht zugeben zu dürfen.

Als nun ihre freundlichen Bitten finster von ihm abgewiesen wurden, und er fest auf seinem Vorsatze beharrte, öffnete sie die Thür eines Nebenzimmers. So gewähren sie es diesen, wenn auch nicht mir, daß ich für Ihre Erholung sorgen darf, sagte sie, und er erblickte jene Bilder wieder, die die Züge seiner Tante und der Frau von Willfried so treu bewahrt hatten – aber mit ganz anderem Ausdruck, als sie ihn[198] einst erschütterten, wie er an Erna's Geburtstag sie zuerst sah, schauten sie ihm jetzt entgegen. Damals schien Unwille, Vorwurf des begangenen Unrechts und Verachtung in ihren stillen Blicken zu glühen – jetzt lächelten sie ihn beide mitleidig an, als wollten sie in tröstender Milde sagen: Alles ist vergeben, denn das bittere Leiden, das eine Folge deines Leichtsinns war, hat uns mit dir versöhnt.

Er fühlte sich überwältigt. Weich geworden wie ein Kind, konnte er kaum der Rührung seines Herzens wehren, hervorzubrechen – auch Erna war tief bewegt. Wie Thau im Kelche einer Blume, so funkelten Thränen in ihren Augen – aber sie wandte sich hinweg und trocknete sie leise, ihm diesen Anblick entziehend, der ihn nur noch tiefer erschüttert hätte. Sie schien zu ahnen, ja sogar in gewisser Hinsicht zu theilen, was in ihm vorging. Indessen machte gerade dies innige Verstehen seiner Gefühle sie schüchterner als vorher, ihr Schranken anweisend, die das Bewußtseyn ihrer Pflichten sie zu überschreiten warnte.

Sie ordnete alles an, was seine Pflege erforderte, aber sie legte nicht selbst Hand an, so weh es ihr auch that, ihrem Kammermädchen ein Geschäft überlassen zu müssen, das sie gewiß linder und schonender verwaltet hätte.[199]

Ihrem Zureden und Bitten nachgebend, hatte Alexander Platz auf einem Ruhebett genommen. Es fanden sich mehrere ziemlich tiefe Verletzungen am Kopfe – seine Schmerzen wurden heftiger, und durch ein Wundfieber noch vermehrt, das ihn von Zeit zu Zeit convulstvisch schüttelte. Erna suchte, von seinen Leiden sichtbar ergriffen, ihm durch Hausmittel momentan Erleichterung zu verschaffen, sandte aber sogleich einen Boten nach der Stadt, einen Chirurgus holen zu lassen, der ihn kunstmäßiger und wirksamer als weibliche Erfahrung zu behandeln im Stande sei.

Duldsam und mild geworden, unterwarf sich Alexander jetzt allem, was sie verfügte. Es that ihm wohl, sie an seinem Lager sitzen zu sehen, denn aus ihrer Nähe quoll der heilendste Balsam, den es für sein bis zum Tode verwundetes Gemüth gab. Ihr gegenüber gewährte es ihm die feinste Schwelgerei der Sinne, so wie den höchsten Genuß der Seele, sich in ihr Anschauen zu vertiefen, und durstig nach so langem Entbehren jeden ihrer Blicke einzusaugen. Ruhe ist der Charakter der Gottheit – nur leise und unmerklich mit Leiden verschmolzen, thronte sie auf ihrer verklärten Stirn, und Reinheit des Sinnes strahlte in ihrem himmlischen Auge, das – ihn über irrdisches Sehnen erhebend – sanft seine stürmende Brust beruhigte.[200]

Er fand sie aber sehr verändert, wenn er sie mit dem Bilde verglich, das ihm von ihr gefolgt war während dieser Jahre der Trennung. Denn nicht mehr die blendende, blühende Schönheit, sondern ein dem Unsichtbaren näher als den Freuden der Welt angehörendes, durch ernste Selbstverläugnung geläutertes, durch stillen Schmerz vertieftes Wesen stand vor ihm in einer nicht mehr auf gemeiner Erde einheimischen Gestalt.

Und doch schien ihre freundliche Demuth sie ohne Murren an den niedern Dienst des rauhen Lebens zu knüpfen, und eine fromme Ergebung, die aus allem hervorstrahlte, was sie that und sprach, sie mit den Mängeln des irrdischen Berufs zu versöhnen.

Ob sie wohl glücklich im ehelichen Bunde ist? fragte er sich selbst. Der Frieden, der auf ihrer Stirne thronte, bejahte scheinbar seine Frage – scheinbar nur, denn nicht der Glückliche allein, auch der kann ihn erringen, der durch Glauben an ewige Hoffnungen gestärkt, sich über alle Dornen seiner Bahn hienieden erhebt, ob er gleich ein mühseliges Leben des Entbehrens und der Entsagung führt.

Es war ihm unmöglich, nach dem Namen ihres Gatten zu fragen. Wer es auch sei – hassen mußte er ihn, das fühlte er sehr bestimmt, hassen um so glühender, je mehr[201] seine Beobachtungen ihn überzeugen würden, daß Erna ihn liebe.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 196-202.
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