X

[246] Ziemlich spät machte er sich am anderen Tage auf den Weg, der erhaltenen Einladung zu folgen, hauptsächlich aber: sein eigener Briefträger zu seyn.

Er fand die Gesellschaft schon versammelt, und Erna, zierlich geputzt, und ihre Gäste mit Geist und Lebhaftigkeit unterhaltend, empfing ihn höflich, aber ohne alle, weder freundliche noch unfreundliche, Auszeichnung.

Er fand sie heute so hlühend, daß ihre Schönheit ihn im Rosenschimmer der Gesundheit überraschte. Ein ganz eigener Glanz funkelte zauberisch in ihrem Auge – aber so sehr ihn auch der Anblick ihrer Reize gleich warmem Sonnenschein entzückend durchdrang, so schmerzte es ihn doch, daß diesmal auch nicht der leiseste Wechsel ihrer Farbe ihm verrieth, daß seine Erscheinung irgend einen Eindruck auf sie mache.

Man schien nur auf ihn gewartet zu haben, um sich zu Tische zu setzen. Alexander wählte[246] seinen Platz so, daß er die im Auge hatte, die er im Herzen trug, und sie scharf beobachtend, glaubte er endlich wahrzunehmen, daß die Munterkeit, die sie scheinbar beseelte, nur eine erkünstelte sei, die sie nicht ohne innere Anstrengung als eine Pflicht der Hausfrau übte.

Als am Nachmittag die Gesellschaft sich in dem Garten zwanglos zerstreute, gelang es ihm sie einen Augenblick allein zu sprechen.

Schüchtern, bewegt, mit dem vollen, warmen Ton der Liebe, die den geliebten Gegenstand gekränkt zu haben fürchtet, redete er sie an, und bat um die Erlaubnis, ihr in dem Brief, den er ihr übergab, sein ganzes Herz darlegen zu dürfen.

Sie zögerte ein wenig, ihn anzunehmen. Doch als er die Versicherung hinzufügte, daß er nichts en halte, was ihr strenges Pflichtgefühl zu beleidigen im Stande sei – als er betheuerte, daß er, völlig resignirt auf jede Hoffnung des Glücks, nur Ihre Entscheidung über sein künftiges Benehmen gegen sie sich erbitte – und daß er keineswegs in der Absicht, irgend etwas dadurch zu gewinnen, sondern blos um sich eben sowohl anzuklagen als zu rechtfertigen, die Vergangenheit noch einmal, zum letztenmal, vor ihr ausgebreitet habe, um durch ihren Rath geleitet, nur das Betragen zu wählen, das weder ihrem inneren[247] noch äußeren Frieden gefährlich zu werden drohe, nahm sie ihn hin, ihn uneröffnet zu verbergen.

Das Wort: zum letztenmal, ist entscheidend für mich, sagte sie leise; denn es entschuldigt mich allein, daß ich eine so geheimnisvolle Art, sich mir mitzutheilen, begünstige. Zum letztenmale denn will ich mit Ihnen in jene Zeit zurückschwärmen, die unwiederbringlich dahin ist, und in der wir nichts mehr zu ändern vermögen – – dann aber richten Sie gleich mir Ihr Auge muthig in die Zukunft, und gönnen mir die Freude, Sie in ihr gleichsam ein neues, froheres Leben beginnen zu sehen.

Alexander wollte der Rührung nicht nachgeben die ihn erschütterte. Um sich daher die Fassung zu erhalten, die bei einer leicht möglichen Unterbrechung ihres Gesprächs ihm so nöthig war, erwiederte er nichts, sondern sprach ihr nur die Freude aus, sie heute so ungewöhnlich woh zu sehen.

Mit einem wehmüthigen Lächeln blickte Erna ihn an, und leicht mit ihrem Tuch über de rosige Wange streifend, antwortete sie: Also haben diese tauben Blüthen auch Sie getäuscht? Linovsky sieht mich ungern so bleich, wie ich nun einmal bin, weil seine Besorgnis mich dann gleich krank vermuthet. Ihm zu Ehren prange ich zuweilen[248] mit erborgter Farbe, und vorzüglich, wenn er einen frohen Kreis um sich versammelt hat, damit ich nicht, einem bereits abgeschiedenen Schatten gleich, störend unter den Lebendigen erscheine.

Wie? so fühlen Sie Sich wirklich krank? unterbrach sie Alexander betroffen.

Nicht eben krank, aber matt und müde, versetzte sie ruhig. Schon seit längerer Zeit – ich darf es Ihnen wohl bekennen – ist mir das Leben selbst in seinen heiligsten Beziehungen so nichtig erschienen, daß es mich nicht Wunder nimmt, wenn mein Gemüth mitten im Genuß der reichsten Güter darbt. Wie eine Pflanze, in harten, ungewohnten Boden versetzt, trauert und welkt, mag auch Thau und Regen sie erfrischen und Sonnenwärme sie linde anstrahlen, so bietet auch mir die Erde keine Nahrung für meine Sehnsucht, keine Befriedigung des inneren Bedürfnisses, keine Gewährung der Ideale, die – vielleicht erträumt und nirgends in der Wirklichkeit existirend – doch so lebhaft vor meiner Seele schweben, als hätte ich sie einst gefunden, oder würde ihnen noch begegnen.

Doch, setzte sie einlenkend hinzu, als habe ihr reges Gefühl sie unwillkührlich über die Schranken weiser Zurückhaltung hinübergeführt, wozu enthülle ich Ihrem fröhlichen Sinn, der[249] das Leben nur erst, geprüft und geläutert und seinen wahren Werth erkennend, ergreift, um es zu genießen, die Schattenseite meiner Ansichten? Vergeben Sie mir – nur die Hoffnung, ein besonnener, unserer würdige Umgang werde uns in reiner tadelloser Freundschaft einander nähern, konnte mich, die sonst gegen jedermann Verschlossene, so geschwätzig machen.

Und diese Hoffnung, die Sie nicht täuschen soll, da sie sich auf die Kraft meines Charakters und auf die Festigkeit meines Willens gründet, versetzte Alexander bewegt, verleiht mir das Recht, schon jetzt auszusprechen, daß die Wehmuth Ihres Wesens ein Echo in meinem Innern findet, das der Schmerz geheiligt hat. Nicht der frohe, lebensmuthige Jüngling steht vor Ihnen, den Sie einst in der Zeit seiner Verirrungen kannten, sondern der ernst gereifte Mann, der bis über die Gränze des irrdischen Lebens hinaus das Bild seiner verfehlten Wünsche als das Höchste sich bewahrt, was ihm das Daseyn zu bieten vermochte. Glauben Sie, ich könnte noch hoffen? könnte vielleicht Plane entwerfen für die entblätterte Zukunft, die vor mir liegt, der arabischen Wüste gleich, in der kein Labequell rieselt, der brennenden Schwüle Erquickung zu versprechen?

Erna wurde sichtbar gerührt. Sie suchte abzubrechen, und schlug das schöne Auge aufwärts,[250] wo mit lautem Geschrei eine Schaar Zugvögel über ihr dahinbraußten.

Seid mir gegrüßt in Euerer Höhe, Ihr geflügelten Pilger, die Ihr so fröhlich von dannen zieht, Euerem Süden entgegen! sagte sie. Ach, wer mit Euch reisen könnte, in das schöne Land, zu dem Ihr hinstrebt! –

Wünschen Sie das? fragte Alexander.

Nun ja, erwiederte sie verlegen, denn selten steht ja der Mensch auf einem Punkte, von dem er sich nicht hinwegsehnt. Doch sind es eigentlich nicht die irrdischen Fittige, nach denen ich verlange – jene höheren dehnen sich in mir, als wollten sie die schwache Brust zersprengen, die empor tragen ins Land der Verheißung, zum Vater der Liebe.

Sie sah ihn bei diesen Worten so hell und klar an, als wolle sie seinen Sinn erheben, wie ihre ahnenden Hoffnungen. Alexander konnte nichts erwiedern – thränenschwer schlug er die Augen nieder, und wandte sich in die Einsamkeit, da in demselben Moment Menschen ihnen nahten, die seine Stimmung weder zu begreifen noch zu schonen verstanden.[251]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 246-252.
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