1. Scene.

[47] Luther, später Münzer. Abenddunkel.


LUTHER hinter der Scene. Habt Dank, Herr Bürgermeister, bemüht euch nicht weiter. Ich will jetzt ruhen, um morgen mit dem frühesten auf zu sein und dem Volk zu predigen. Lasset es gehörig auskündigen und in der Kirche Alles herrichten! Tritt auf, ein brennend Licht in der Hand. Das waren schwere Tage voll Anstrengungen und Aufregungen, aber noch schlimmere stehen bevor, je näher ich dem Heerde des Aufruhrs komme, denn das Volk ist allenthalben schwierig. Mein himmlischer Vater, ich will ja Alles gern ertragen, keine Schwierigkeit soll mich schrecken: erleuchte du mich nur morgen wie alle Tage, daß ich den armen Aufgeregten und Verführten dein heiliges Wort recht und ergreifend auslege und sie auf den Pfad der Ordnung und Tugend zurückführe. – Die Sonne ist unter, ich bin müde, ich will zur Ruhe gehen, daß mir im Schlaf der rechte Geist von oben komme. Nur noch eine Zeile zuvor an meine Käthe, daß sie wisse, es gehe mir wohl und der Herr habe mich in seiner Obhut. Wenn ich sie heimführe, soll Frieden[47] herrschen im deutschen Lande, in meinem Hause, in meiner Brust. Er setzt sich an den Schreibtisch links und schreibt.

MÜNZER erscheint in der Thür rechts. Da sitzt er! Noch sah ich ihn nur auf dem rohen Bilde, aber er muß es sein. Welch mächtige Gestalt! Laut. Doctor Luther!

LUTHER aufblickend. Wer ruft – wer ist da –

MÜNZER vortretend. Ich bin es, Herr Doctor.

LUTHER. Ihr? Wer seid ihr? Ich kenne euch nicht.

MÜNZER. Der, den ihr haßt mit jedem Tropfen eures Bluts, den jedes Körnchen eures Gehirns zu vernichten trachtet.

LUTHER. Wer seid ihr? Blickt um sich.

MÜNZER. Greift nicht nach dem Tintenfaß, ich bin der Böse nicht – ganz so schlimm bin ich nicht – ich bin –

LUTHER. Münzer!

MÜNZER. Ihr habt's errathen.

LUTHER. Wie, ihr ... du wagst es hier zu erscheinen ... an dieser Stelle ... vor mir ... nein, nein, ein Trugbild –

MÜNZER. Faßt mich an! Das ist ein Menschenarm, das ist ein echter Menschenfuß, und hier schlägt ein Menschenherz, so warm, so echt ... es ist nichts Teuflisches an mir. Ihr seht Gespenster überall. Kann der aus der Hölle kommen, der sein Volk heiß und innig liebt, der Alles thut, es zu beglücken –

LUTHER. Beglücken? In Schande und Elend willst du es bringen! Zum Abfall von seinen Fürsten willst du es verlocken, zur Empörung –

MÜNZER. Wo wäre je Großes geschehen im Leben der Völker ohne Aufruhr, ohne Empörung? Was du in's Werk gesetzt hast, wird so gewiß alle Furien im Lande entfesseln, so gewiß werden über[48] deine Reformation Blutströme dahinfließen, so sicher der Morgen dem Abend folgt, so sicher du kein faules Glied vom Körper abschneiden kannst, ohne daß Blut fließe. Soll der Baum der Freiheit grünen, so muß er mit Blut begossen werden, nicht mit Wasser.

LUTHER. Da sei Gott vor! Nur Geist zum Geiste zielt meine That, nur die Gemüther will ich erwecken und erregen, nicht die Klingen, an's Herz will ich greifen, nicht in's Fleisch, aufrichten will ich die Köpfe, nicht abschlagen.

MÜNZER. Nur Macht, nur Gewalt hilft gegen das Böse, und Wort und Schrift sind nur mächtig, wenn ihnen das Schwert den Weg bahnt: das ist ein Gesetz der Schöpfung, das selbst Gott nicht ändern kann.

LUTHER. Bist du nur gekommen, mir solch traurige und falsche Weisheit zu verkündigen? Was willst du von mir? Empfindest du Reue über deine Thaten? Willst du sie sühnen?

MÜNZER. Reue? Vielmehr bin ich gekommen, bei dir für meine Sache zu werben.

LUTHER. Glaubst du mich verhöhnen zu dürfen, Knabe?

MÜNZER. Es ist mir heiliger Ernst um meine Worte. Seid ihr denn blind, Luther? Blickt doch um euch. Seht ihr denn wahrhaftig nicht, in welchem Elend Millionen unseres Volkes leben? Es ist seine beste Kraft und Stütze, die immer mehr verfällt. Millionen, die nicht Herren sind über ihren eigenen Leib, die kein Recht besitzen, Millionen, die nur arbeiten vom Morgengrauen bis zum Abenddämmern, um den Schlund ihrer Herren zu füllen? Das Alles seht ihr und glaubt sie retten zu können, wenn ihr ihnen Ueberfluß und Seligkeit versprecht, nachdem sie aus dem Leben geschieden, nachdem der Hunger sie auf's Todtenbett geworfen und die Sorge ihnen die Bretter zugenagelt? Das Alles seht ihr jeden Tag,[49] jede Stunde mit offenen Augen und glaubt genug zu thun, wenn ihr ihnen ein Buch in die Hand gebt und sagt: da betet, da singt, da habt ihr die Wahrheit? Fühlt ihr nicht, daß ich nicht beten kann, wenn der Hunger mir die Eingeweide zerreißt, wenn der Magen im Wahnsinn schreit: erst Brot für mich, – dann Liebe, dann Geist, dann Wahrheit! Luther, wenn du willst, daß dein Volk sich von den Fesseln der Geistesnacht aus eigner Kraft frei machen soll, so schaff' ihm erst ein menschenwürdiges Leben, schaff ihm Recht, Freiheit, Brot. Die Stunde Frohnarbeit, die du zu seinen Gunsten abringst, wird es benutzen, sich dem Dienste der Wahrheit zu weihen: schaff' ihm diese Stunde. Verwende deinen Einfluß bei den Fürsten, bei den Herren dazu: du thust es für dich, du thust es für deine Sache. Fluche uns nicht, werde unser Verbündeter. Wir beide, Hand in Hand, könnten dem Vaterlande, allen Völkern eine neue Zeit heraufführen: die Zeit des wahren Glücks, des wahren Glaubens. Hier ist meine Hand – stoße sie nicht zurück!

LUTHER. Meines Herren Reich, in dessen Sold ich stehe, ist nicht von dieser Welt. Was liegt am Leib, an diesem sündigen, faulen Klumpen Fleisch? Mag er zu Grunde geh'n: so nur die Seele gerettet wird. Den wahren Gott des Evangeliums zu lehren, die Menschen zu ihm zurückzuführen, hat mich der Herr geheißen – ihn mit aller Inbrunst, aber friedlich zu predigen ist meine Sendung – ich habe nichts gemein mit deinem blutigen Gräuelwerk. Ich bin ein Diener Gottes, du ein Knecht des Verderbers. Glaubst du, ich sei blind gegen die Noth der Bauern, meiner Brüder? Wer hat eifriger für sie gesprochen bei Kaiser und Adel denn ich? Alles war auf dem besten Wege – was mußtest du unruhiger Geist kommen und sie zu Kriegsgräueln aufregen? Weshalb wartetet ihr nicht, bis der Herr die Herzen des Kaisers[50] und Adels erleuchten würde? Niemand wird euch verbieten, zu ihm um Hilfe zu flehen. Und wenn er mit euch ist, so wird er euch helfen und den Sieg verleihen auch ohne euern Aufstand: so er aber nicht mit euch ist, wird euch alles Blutvergießen und Brennen nicht helfen und ihr werdet euch euer Joch nur noch fester in's Fleisch drücken. Wie könnt ihr wagen, alle göttliche Ordnung der Dinge eigenmächtig umstoßen zu wollen? Legt die Waffen nieder, geht nach Hause, empfehlt eure Sache dem barmherzigen Gott, und ich will für euch sprechen und schreiben, wie ich es früher gethan.

MÜNZER. O ... sie haben Ohren und hören nicht! Wann hätte je Gott geholfen auf bloßes Gebet hin? Muthige That verlangt er – in uns muß er wirken, nicht außer uns. In deiner ganzen Brust nicht eine einzige Stelle, drin Mitleid wohnt mit deinem armen gequälten Volke? Nichts, nichts als Gottvertrauen und Glaube und wieder starrer Glaube? Zur Hölle mit dem falschen Glauben, der uns zaghaft und mitleidslos und grausam macht. Ob deine Brüder päpstlich, ob sie lutherisch hungern, ist gleich; genug, sie hungern; hast du Liebe für sie, so schaff' ihnen Brot – gleichviel ob aus katholischen oder lutherischen Backöfen. Liebe zu meinem Volk, Erbarmen mit den Elenden ist mein Glaube, wie es der Glaube Christi war, den uns Tyrannen und Pfaffen verfälscht haben. Ist nicht auch unter den Gemeinden der ersten Christen Alles gleich und gemeinsam gewesen? O nenne mich keinen Aufrührer, keinen Schwärmer, wenn ich sie wiederherstellen will, jene erhabene Zeit des reinen Glaubens, der innigen Einfalt, der Bruderliebe der Gleichheit und Gemeinsamkeit.

LUTHER. Will ich das verhindern? Nur Mord und Tod und die Geister der Hölle sollst du nicht zu deinem Beistand rufen, denn ihre Hilfe entheiligte[51] selbst das heiligste Werk. Fahre dahin, du bist ein Volksverführer.

MÜNZER. Und du ein Liebediener der Fürsten! – Nun wohl, willst du unsere Sache nicht unterstützen, so bekämpfe sie wenigstens nicht, ich flehe dich an, predige nicht ferner gegen uns und verlocke unsere Schaaren nicht zum Abfall. Gedenke dessen, was du selbst gesagt auf dem Tage zu Worms: »Ist die Sache Gottes Werk, so wird sie bestehen, ist sie Menschenwerk, wird sie untergehen.« Dar nach verlange nicht nur behandelt zu werden, darnach handle auch selbst.

LUTHER. Vermessener, wie magst du wagen, die Worte, die ich für mein heiliges, friedliches Werk des Geistes und Herzens gesprochen, auf dein blutiges, teuflisches Gräuelwerk zu beziehen? Predigen und schüren will ich gegen dich mit der ganzen Kraft, die mir der Herr verleihen wird, das ganze Vaterland will ich zusammenläuten aus seinem Schlaf, alle christlichen Fürsten und Völker will ich aufrütteln und zusammenbringen wider dich, wider die Gefahr, die sie zu verschlingen droht, und nicht eher will ich ruhen, als bis du und deine Genossen von hinnen gejagt sind wie Spreu und wieder Gottesfrieden herrscht auf der Erde.

MÜNZER. Als ob ich nicht wüßte, was dich so in Harnisch bringt in dieser Sache. Daß ich an der Spitze der Bauern stehe! Bekenne: der Haß ist's wider mich, der dich hierher trieb, nicht der gegen das Unternehmen der Bauern. Mein Name schreckt dich, meine Erfolge bringen dich auf, mich willst du vernichten, denn du zitterst, daß durch meine Erfolge deine Sache verdrängt werde! Nicht um mich selbst ist's mir zu thun. Ich will ja gern, ein Landmann wie die andern, meinen Roggen in Frieden säen, nicht Größe, nicht Ruhmsucht lockt mich. Gieb mir dein Wort, die Sache der Bauern weiter zu führen, für alle ihre Rechte und Forderungen einzutreten, ihnen einen Führer aus der[52] Schaar der Deinen zu geben, der sie muthig und fest zum Siege leitet – und ich will auf de Stelle fort aus Deutschland. – Hier ist mein Schwert nimm es, zerbrich es –

LUTHER. Kecker Knabe, deine eigensüchtigen Gedanken wagst du meinem Herzen unterzulegen? Was bist du mir? Eine Lache im Acker. Den Geist, der in dir wirkt, bestreite ich. Hätte ich noch wanken können, diese Stunde, dieses Wort hätte mich für ewig zu deinem Todfeind gemacht, sie ruft mir stärker als alles Andere zu, meine Sendung durchzuführen und dich zu bekämpfen bis zum letzten Athemzug. In dieser Nacht noch will ich zur Feder greifen und ein Brief soll ergehen an alle deutschen Männer, die rebellischen Bauern zu greifen, zu fassen und todtzuschlagen wie tolle Hunde! Hinweg!

MÜNZER. Allmächtiger, was für ein Kampf wird das werden, welch endlose Wogen rothen, heißen deutschen Blutes werden deine Ströme zum Meere führen, Germanien. Deine Städte werden veröden, das Geschrei der Wittwen und Waisen wird deine Nächte erschüttern. – Denk' an all das Schreckliche was bevorsteht, an den Kampf und – schlimmer noch – an die Wuth der Sieger. Wer wehrt dem Tiger in des Menschen Brust, dem grausamsten, wenn er einmal Blut gekostet? Noch ist so gut wie keines geflossen, noch ist's Zeit –! Luther – tritt auf unsere Seite, und die Fürsten und Herren werden dann, deinen Einfluß fürchtend, nicht wagen Gewalt zu brauchen, sie werden nachgeben. Der Geist deines Volkes fleht zu dir, Luther: entzünde nicht unnütz die Fackel des Bürgerkriegs, habe Mitleid mit deinem Volke – gieb nach!

LUTHER. Ich habe Mitleid mit seiner Seele und darum will ich es von dir befreien. Unruhe hinter der Scene, die immer stärker wird.

MÜNZER für sich. Ein Vulkan, der seine Feuergarben[53] gen Himmel wirft und an dem das Meer vergeblich emporbrandet, seine Gluthen zu löschen. Alles ging bisher so gut, soll ich hier meine erste Niederlage erleiden?

LUTHER. Was weilst du noch? Fort! – Welcher Lärm auf der Gasse?

MÜNZER. Sie wollen mich sehen – Hier bin ich. Tritt an's Fenster.

STIMMEN hinter der Scene. Da ist er – ich erkenne ihn – hoch Münzer, der Volksfreund –

LUTHER. Halt! Zurück! Du wagst es, Frecher! Tritt gleichfalls an's Fenster. Bürger, seht ihn nicht an, er ist gekommen, euch den Haß zu bringen und den Krieg, die Werke des –

STIMMEN. Heil Münzer!

WENIGE STIMMEN. Heil Luther, der Geistesheld.

Zusammen

STARKER CHOR

hinter der Scene.

Füchslein, juckt dich nicht der Balg.

Deine Stunde ist gekommen!

Zobel trägt gar bald der Schalk:

Hei, das Rauchwerk soll uns frommen,

Lagen lange nid der Bank –

Das soll nun ein Ende nehmen!

Mußt dich, meine Pflugschar blank,

Jetzt zur Kopfarbeit bequemen.

ANDERER CHOR fällt rasch ein. Ein' feste Burg ist unser Gott,

Ein gute Wehr und Waffen –

STIMMEN durcheinander. Nieder mit den Aufrührern – nieder mit den Frömmlern. Geschrei, Gesang, Hilferufe durcheinander.

LUTHER. Allmächtiger, ist denn ganz Thüringen ein Tollhaus geworden?

MÜNZER. Länger zu weilen, brächte Gefahr. Luther, angesichts des draußen tobenden, hungernden[54] Volkes beschwöre ich dich noch einmal, tritt zu uns, so du dein Volk wahrhaft liebst, so dich seine Not wahrhaft erbarmt. Luther, ich thu' das Aeußerste. Er fällt vor ihm nieder. Gedenk', daß du einst Rechenschaft geben mußt vor Gott dem Herrn. Wirst du am jüngsten Tage die Seelen der Tausenden verantworten wollen, die der Kampf verschlingen wird, den dein Starrsinn heraufbeschwört – da du mit einem einzigen Wort jedes Blutvergießen verhindern gekonnt? Was wirst du unserem Gott darauf antworten?

LUTHER. Daß ich nach seinem Gebot gehandelt und die Obrigkeit, die Ordnung vertheidigt habe.

MÜNZER. Ich that, was menschlich war! Jetzt, Schleusen des Verderbens, öffnet euch. Laßt alle Teufel, alle Schrecken heraus; Haß, Pest, Brand, Mord, Schändung, kriecht hervor aus euern Schlangenhöhlen, wüthet, zerfleischt mein armes Vaterland, mein schönes, grünes Thüringerland – der Bürgerkrieg hat begonnen. Schnell ab.

LUTHER. Die Verantwortung auf dein Haupt. Die Hände faltend. Erleuchte mich, mein Herr und Vater, zu dem morgigen Werk! Der Lärm draußen dauert fort.

Verwandlung.

Frauengemach der Burg Farnrode. Man sieht allenthalben die Spuren des Brandes.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 47-55.
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