[117] Griechenland! Diese schwere dumpfe Sinnlichkeit,[117] ganz gasförmig gelöst in ästhetischem Empfinden! Die Materie überwunden durch das, was sie ausstrahlt – Schönheit! In Bewegung befreit! In Gracie verzaubert!
Er sass in einem Parke. Um ihn herum, auf den Wegen, in den Alleen, schwer-fällige Organisationen – – – Menschen!
Ein weisses Battistkleid fliegt heran – –. Aschblonde, lange, offene, seidene Haare. Schlanke zarte Beine in schwarzen Strümpfen. Sie ist dreizehn Jahre alt. Man sieht oberhalb des Knie's die weissen Unterhöschen. Sie fliegt über den Weg mit ihrem Reifen. Alles federt. Olympische Spiele – – –!
Er starrt ihr nach. Sie wendet und fliegt vorbei.
»Ah, schön – – –!«, haucht er. »Du bist ein Mensch«, fühlt er, »Du bewegst Dich.«
Sie kehrt langsam, in Curven, zurück. Der Reifen tanzt – – – tanzt.
»Ah, Dich, nackt, ganz nackt, auf einer duftenden sammtenen Wiese im Abendschatten Reifen schlagen sehen und fliegen – – – fliegen! Und dann stehst Du da und wirfst in runder Bewegung die blonden Haare nach rückwärts und wir trinken mit den Augen, diesem Liebesorgane der Künstlerseele, deinen schlanken weissen Leib – – – in Schönheits-Liebe!«
Er sagte: »Fräulein, der Reifen ist ein edles Instrument – – –.«
»Wieso?!« sagte das Kind-Jungfrau, »ein gebogenes Holz – – –. Es geht ganz leicht.«
Er sah sie an, wie man eine Edeltanne im Hochwald[118] anschaut, das herrliche Schweben des Hühnergeiers auf einem Punkt über dem abendlichen Walde, einen Schwan auf einem See und ein Künstlerantlitz, wenn der Gedanke auf ihm liegt. Er sah sie an, wie man das Freie, Edle, Natürliche anschaut – – in Schönheits-Liebe!
Sie flog um die grosse Wiese herum und blieb in seiner Nähe.
Sie wurde müde. Sie stand da, die Holde, leise auf ihren Reifen gestützt – – – und blickte ihn an.
Diana – – –!
Er sagte: »Sie werden sich verkühlen. Sie sind ganz nass. Sie werden bleich vom Laufen.«
»Ich bin immer blass« sagte sie.
»Und doch scheint Bewegung Ihre Natur zu sein«.
»Ich liebe die Bewegung« sagte sie.
Sie setzte sich auf die Bank neben ihn.
Er hatte die Empfindung: »Du bist ein Werden des.« Er war in Schönheits-Liebe versunken –.
Mit den Augen trank er die Schönheit dieses Menschen und berauschte sich.
Ihr Kleid duftete nach dem heissen kindlichen Leibe. Die Haare dufteten – – –.
Der süsse Athem schwamm ihm entgegen – –. In den Linden dufteten die gelblichgrünen Blüthen. Zwei Athem der Natur!
Sie sass regungslos – – –.
Er zog sie an sich und küsste sie auf die Stirne.
Sie sass regungslos.[119]
Dann stand sie auf und sagte: »Adieu. Kommen Sie morgen wieder?!«
Und Griechenland entschwand in den nebelgrauen Wiesen – – –.
Er blickte ihr nach: »Dich, Dich, nackt, ganz nackt, auf einer duftenden Wiese im Abendschatten Reifen schlagen sehen und fliegen – – fliegen, und, wenn Du müde bist, neben Dir zu sitzen, am Waldessaum, im Abendschatten und den Duft der feuchten Walderde und der Wiese und deines Leibes einzuathmen und die Schönheit der Welt in sich einzusaugen und in diesen Schönheitskräften, die durch tausend Strahlen in's Auge, durch tausend Atome in's Gehirn dringen, zu wachsen, und voll, übervoll zu werden und diese concentrirten latenten Spannkräfte in Reichthum zu empfinden und diesen Reichthum in Liebe, in Gedanken umzuwandeln und diese in Bewegung umgesetzten Kräfte neue Kraft zeugen zu lassen – – unerschöpfliche, das ist »ein Lebendiger« sein! Das!!
Aber Wir – – Wir leben nicht!!«
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Wie ich es sehe
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