Unsere jungen Leute

[220] Es war in dem Garten-Restaurant. Eine reine Luft nach Regen. Die Natur hatte sich aufgebäumt, unangenehme Sachen gemacht. Jetzt athmete sie friedlich und die dunklen Flecken der Segeltuch-Plachen wurden immer heller und heller und verschwanden schliesslich.

Alle hatten Pilsener Bier vor sich mit kleinen Perlen wie Reif und rauchten »Samiadis Exquis«.

»Lies uns vor ›die Katze‹ – – –« sagte L., »Opus 37.«

Der Dichter las »die Katze«, Opus 37.

Er las ungeheuer einfach, so modern wie Andó, liess die Perlen quasi unter den Tisch fallen, pointirte nicht.

Zum Schluss sagte er: »Ich weiss nicht, ob das so ausgedrückt ist, was ich meine.«

»Vollkommen – – –« sagte O., »für wen willst Du schreiben?! Für ABC-Menschen?! Wir verstehen es.«

»Die Katze und das Genie – –« sagte L., »Du posirst mit Antithesen, mein Lieber – – –.«

»Man muss sich einer solchen Sache hingeben« vertheidigte O., »dann offenbart sie sich uns, giebt sich uns selbst hin, bereitet Vergnügen, verstehst Du das?! En littérature on ne reçoit que ce qu'on donne. Wie in der Liebe ist es![220]

Opposition machen, heisst, das künstlerische Nervensystem schwächen, weiter nichts – – –.«

Der Dichter von Opus 37 fühlte sich wie erlöst. Ein »Durch-Schauer«, ein »Hinein-Starrender«, dachte er, »dieser Herr O. – – –.«

»Die Katze hängt an Nichts und ist elastisch« sagte er; »der Dichter, der Künstler ist wie die Katze, er hängt an Nichts und ist elastisch. Drei Genie's, der Dichter, die Katze, das Weib! Der Dichter wird müde, hängt sich an Etwas. Das Weib wird müde, hängt sich an Etwas. Die Katze bleibt elastisch. Zum Schluss ein Passus aus ›Brehm‹ über die Katze. So arbeite ich. Basta.«

B. war nicht sehr zufrieden. »Mir fehlt das ›ethische Moment‹ darin« sagte er.

Alle kannten dieses Aperçü und den Seelenschmerz des Philanthropen.

»Tauche Deine Feder in das rauchende Blut gemordeter Sklaven – – –« deklamirte O. aus einem »sozialen Epos« B's.

Dann sagte er zu dem Dichter: »Schreibe doch ›die Katze als Erlöserin der Menschheit‹! He, Wir Feingestimmten haben unsere eigene Sprache. Das ist das Werthvolle. Die Ethik aber ist die Sprache, der Schrei der Gesammtheit. Sind Wir die Gesammtheit?! Gott sei Dank, nein.«

Alle stimmten bei, das waren sie nicht.

»Ueberhaupt liebe ich Katzen nicht« sagte B. und war schon ganz gelb, »was sind Katzen?! Ein Object für die Kunst vielleicht?!«[221]

»Diese Thiere sind nicht ›ethisch‹ – – –« sagte O., »keine Anhänglichkeit, keine Treue. Schreibe ›das Pferd‹, ›der Hund‹ und ›die Storchenmutter‹!«

Alle lachten.

»Die Katze ist ästhetisch« sagte der Dichter, »das ist unser einziger Massstab. Sie ist schön, sie ist beweglich wie die Dichterseelen.«

»Amen – – –« sagte O. und hatte eine ungeheure Verachtung so ohne direktes Objekt.

B. erbleichte, zog sich zusammen wie mimosa pudica, setzte sich quasi die Dornenkrone auf. Er bekam den »leidenden Zug«.

»Ein Sturm wird sich erheben und Euch wegraffen – – –« rezitirte er aus seinem socialen Epos. Dann sagte er milde wie ein Karmeliter: »O., mein Lieber, Du bist auf falschen Wegen – – –.«

O. war der Feind, der Feind schlechtweg. Er repräsentirte die »ideale Nerven-Aristokratie.« Er war seelig, wenn Einer Etwas schrieb, was der »gemeine Mann« nicht mehr verstand. Das genügte ihm. Darum bewunderte er den Dichter und nannte ihn einen Symbolisten, einen Geheimnissvollen, Einen, der da kommen wird! »Wir Hundert« sagte er immer statt »Wir oberen Zehntausend«. Er hätte am liebsten gesagt: »Wir Zehn«. Aber er genirte sich.

B. sass da, hielt Einkehr in sich. Er begann sich zu läutern, über sich selbst langsam emporzuschweben und sein Ich hinter sich zu lassen.

Er fühlte, dass man jungen begeisterten Künstlern[222] zur »schönen Entwicklung« verhelfen müsse, selbst wenn, im Falle dass – – –.

Er sagte daher: »Deine Sache mit der Katze ist übrigens fein, Du wirst schon Dein Publikum haben –.«

Alle fühlten, dass B. wirklich »ethisch imprägnirt« war. Das bewirkte eine milde Stimmung, Rücksicht, Verständnis. Es kam ein »humaner Zug« in die Gesellschaft. Alle waren d'accord. Der Dichter hätte freilich noch gerne die Diskussion über »Opus 37« künstlich hinausverlängert, auch hatte er noch Grundlegendes über seine »künstlerischen Tendenzen« vorzubringen. Aber schliesslich konnte er froh sein, das es so ausgegangen war. Er hatte ja doch ziemlich Angenehmes gehört und das war die Hauptsache –. Das »Grundlegende« konnte man nächstens vorbringen.

Die Plachen waren jetzt ganz aufgezogen und die Baumkronen schimmerten im Auerlichte – – –.

Wie schön sassen sie da um den Tisch herum, die jungen Hoffnungen, die Sehnsuchten, die geistigseelischen Krisen unseres Jahrhunderts – – –!

An einem Neben-Tische sass ein Herr und eine junge Dame.

Der Herr war elegant, nicht jung. Die junge Dame war so nonchalant, sie sass da wie in gute überlegene Freundschaft gebettet.

Sie trug ein schwarzes Kleid aus Seide, à la princesse und Ohrringe, die aus drei untereinander hängenden Brillanten bestanden.[223]

Die Herrschaften tranken Champagner aus kleinen tiefen Gläsern.

»Was sind Diese – –?!« sagte die junge Dame und stützte die Elbogen auf den Tisch und den Kopf schief auf die gefalteten Hände, »Du, Karl!?«

Der Herr blickte zu den Dichtern hin und rauchte weiter aus einem riesig langen Papierspitz – – –.

Der Dichter von Opus 37 starrte hin: »Du mit den drei untereinander hängenden Brillanten, höre auf mich! Hier sitzt das arme Leben und friert und singt – – –!«

Diese Strophe deklamirte sein Blick – – –.

Dann kam noch eine schönere Strophe, eine pathetische, eindringliche und dann eine, die lautete wie: »Ich verneige mich vor Dir – – –.«

Das Fräulein in leuchtender Seide sagte: »Dem g'fall ich, siehst' Karl – –?!«

Der Herr blickte sie flüchtig an und streichelte ihr sanft die Hand. Dann rauchte er weiter aus seinem riesigen Papierspitze.

Die junge Dame las die Strophen und verstand sie nicht ganz – – –. »Was macht Der für Augen?!« dachte sie.

Dann las sie sie wieder – – –.

Endlich buchstabirte sie die dritte: »Ich verneige mich vor Dir – – –.«

Da zog das »hohe Leben« rauschend über die »Niederungen« – – –!

Die junge Dame wurde ganz rosig, der »poetische Hauch« streifte sie – – –.[224]

Der Herr warf den riesigen Papierspitz weg, lehnte sich zurück und sprach gemüthlich mit der Dame. Hie und da strich er zärtlich über ihre Hand.

Sie vergass die Strophen des Liedes – – –.

Sie trank Pommery Greno, lächelte, machte grosse Augen, zwickte sie wieder zusammen, gähnte und lachte wieder – – –.

»Gehen wir – – –« sagte sie; sie meinte: »husch in unser warmes Bettchen. Was hat man von dem Firlefanze?!«

Am Nebentische sprachen B. und L. erregt über »Henry George«. Dann schlugen sie einen Nebenweg ein in diesem sozialistischen Gestrüppe und lustwandelten in den feinen Alléen Ralph Waldo Emerson's.

O. hielt sich reservirt und hatte den »aristokratischen Zug«.

Der Dichter hingegen sass da, in Gedanken versunken – – – Opus 38![225]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 220-226.
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