Knofeleben

[114] Meine Schwester mit den goldroten Haaren, und ich damals Braungelockter, und mein Vater, der aussah wie ein alter Holzknecht, wir stiegen auf zur Knofeleben. Mitten im Föhrenwalde übernachteten wir in der Graf Hoyosschen Jägerhütte. Wir schliefen auf Tannenzweigen, »Graß«. Ameisen störten den Schlaf der ermüdeten Jugend. Der Mond schien auf die Waldwiese. Man schlief wieder ein, beglückt und dennoch das gewohnte Bett entbehrend. Vor Sonnenaufgang wurde man geweckt. Alles triefend vom Tau. Man schritt durch die Wälder, die kalte Feuchtigkeit von sich gaben. Man kam auf die »Knofeleben«. Geliebte Almwiese! Der Sturm blies darüber im Morgendämmern. Überall dunkle Gebüsche, Schneeflecken. Die goldroten Haare meiner geliebten Schwester wehten im Sturme, mein Vater schritt schweigend dahin. Ich liebte jeden Halm auf dieser Bergwiese fanatisch. Mein Vater ist nun 77 Jahre alt, bleibt in der Ebene. Meine Schwester hat bereits »Familie« und graue Strähne zwischen den goldroten Haaren, zittert, wenn ihr Sohn zur »Knofeleben« aufsteigt in der Sommernacht: »Mama, du hast mir doch selbst aber erzählt, wie märchenhaft es war im Morgengrauen auf der Knofeleben«?!? Dennoch zittert sie. Ich aber gedenke dieser Almwiese in Tau und Sturm, bevor die Sonne brennt und Segen spendet – – –. Alle ihre Gräser waren mir teuer, der kalte Wind strich über sie, ich hätte ein jedes streicheln und behüten mögen! Man war so ferne vom Leben der Menschen, wie ein Entdecker[114] fremder Welten. Man war so außerhalb und oberhalb. Keines der Gräser war ähnlich denen in der Ebene, und sogar der Sturm, die Luft hatten ein anderes Gepräge. Die Gebüsche waren wie niedergeduckt und die Bäume widerstandsfähiger. Die Blumen waren wie matte Abdrücke aus dem Album »Unsere Bergesflora« und das Wasser aus den Rindenröhren hatte einen anderen Geschmack als jedes andere Wasser. Man war leicht und frei und die Sorge war hinter uns. Nun steigen Vater, Sohn und Tochter seit Jahren nicht mehr auf die Bergalmen. Wir können nicht mehr uns flüchten aus dem Leben, es hält uns umschnürt, und nur der schmucke Sohn der Tochter und Schwester, der »es nicht nötig hat«, besucht die Almen, wo Großpapa, Mutter und Onkel den Frieden suchten und fanden – – –. Aber er versteht uns nicht. Denn er hat nicht das Glück, unglücklich zu sein. Alles nimmt er als selbstverständliche Gabe des gütigen Schicksals, und was uns »Kirche der Natur« war, ist ihm nur »tändelnder Ausflug«. Sollen wir ihn bedauern, beneiden?!? Knofeleben, am Rücken des »Feuchter«, von Schneebergstürmen, von Raxstürmen umspielt, wir gedenken deiner wie ein Todeskranker einer Medizin, die ihm einst geholfen hat. Und deine Gräser ertragen noch immer den Nachtfrost, erwarten geduldig die Sommerwärme. Touristen kommen und gehen, Jäger töten das Wild, und alles ist wie eh' und je. Sturm braust über geduckte Bergföhren und der Zitronenfalter schwankt über Bergesblüten – – –.[115]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 114-116.
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