Veränderung

[112] Wie kann die weiße leuchtende Winterlandschaft in deine Seele eindringen,[112]

wenn sie durch Gram zugesperrt ist?!

Der tiefe Friede der Natur ringt vergeblich mit deinem tiefen Unfrieden.

Aus einem Dichter bist du ein Betrübter geworden,

wie Alle, die es nur nicht spüren, daß sie wegen irgend etwas betrübt sind,

und deshalb eben nicht zu Dichtern werden können!

Deshalb kann Niemand die Pracht der Stunde in sich aufnehmen und sogar für Andere wieder-geben

wie der gänzlich Unbetrübte, der Dichter!

Ihr Geist war einst meines Geistes, unbekümmert schritt sie wie die Somnambule den ungewissen Weg ihres Verhängnisses! An meiner gefährlichen Seite.

Nun hat sie Halt gemacht am edlen Abgrunde

ihrer anarchistischen Seele, gibt rührend nach,

und bedenkt klug die Jahre, ja, die Stunden.

Nun rückt sie mir in wohltuende Fernen,

obzwar meine gefährliche Nähe Ihr ihr Innerstes

schenkte, das Sein ihres Seins,

also das verborgene Heiligtum ihrer eigentlich unentrinnbaren Wesenheit,

ihr mysteriöses mir teures ihr gefährliches Verhängnis!

Die weiße schimmernde Winterlandschaft

dringt nicht ein in meine durch Gram verrammelte Seele.

Ein betrübter ist kein erschauender Dichter, er ist ein Betrübter.

Sage nicht den Anderen wie es ist,

denn Du siehst es nun nicht anders als sie,

die auch durch irgend etwas betrübt sind.[113]

Gestehe dir ohne Groll, daß du ein Opfer bist deines vorsichtig gewordenen Lebensweges! Armer Peter.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 112-114.
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