Edikt

[207] Wer nicht ununterbrochen, wie aus einer Art von »körperlicher Religiosität« aus, sich bemüht, seine körperlichen Elastizitäten, Gang, Rückenhaltung, Brustkorb, jegliche Bewegung, zu verbessern, zum Besseren, Vollkommeneren zu verändern absichtlich, mit bewußtem Wollen, ist an und für sich bereits dem Teufel »Unzulänglichkeit« verfallen! Er kann dem Ehrgeiz-Teufel verfallen (damit Andere unter ihn kommen), dem Spiel-Teufel, dem Weibchen-Eroberer-Teufel, dem Melancholie-Teufel, dem »Sexual-Teufel«, dem »Alkohol-Teufel«, aber ein wirklicher reinlicher, anständiger Mensch (sei es Mann oder Frau, ganz gleich) ist nur Der, der es[207] ununterbrochen wenigstens emsigst versucht, seine ach so genial komplizierte Lebens-Maschinerie nicht nur »in Ordnung« zu halten, sondern stündlich fast zu verbessern, zu korrigieren! »Sammler« haben eben eines Tages, einer Stunde, ihren Sammel-Irrwahn für ewig aufzugeben, und Andere das verdammte Wort: »Du bist mein Alles!« Man hat nie nachzugeben, nicht einmal seinem angeborenen Gange, sondern ihn in leichtbeschwingten Fliegeschritt umzusetzen! Krumme Rücken, Ihr könnt gerade Rücken werden, es ist nur Intelligenz-Wille nötig! Wer Das versäumt, ist und sei des Teufels! Sogar »objektiv gerechte Gutmütigkeit« kann man sich »erzwingen«, da beginnt erst die »Religion«! Sich selbst aus dem Angeborenen in das Vollkommenere stündlich gewaltsam hinaufzuzwingen! Gestern schlichst Du noch, heute fliegst Du bereits, amen, du Religiöser!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 207-208.
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