Werther

[313] Daß der zarte Werther an der edel-bezaubernden Lotte zugrunde gegangen ist, das wißt ihr alle. Aber ein ganz kleines Detail kennt ihr wahrscheinlich nicht: Eine junge Frau, die von ihrem Manne zu wenig Geld für den Haushalt erhielt, half sich, ihm das Leben bequemer zu gestalten, indem sie hie und da[313] in seine Tasche unbemerkt griff. Als nun ihre Todesstunde nahte, beichtete sie ihrem Manne diese Sache, nicht etwa aus Gewissensbissen, sondern: »Verehrter Mann, du wirst aller Wahrscheinlichkeit nach bald eine Andere für deinen Haushalt nehmen, und da möchte ich nicht, daß du über sie dächtest, sie führe deinen Haushalt unaufmerksamer, kostspieliger als ich!«

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 313-314.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]