Die gewissenhafte Schäferin.

[109] Es ist ein einzig Ding, dem an Gewalt nichts gleichet,

Dem alle Welt gehorcht, die Weisheit selber weichet;

Durch dieses Ding kommt oft der klügsten Schäferin,

Zu ihren Schäfers Wunsch, der Beifall in den Sinn.

Jedoch wer wollte sich wohl seiner Schwachheit freuen?

Ein kluges Mädchen wird, was es verseh'n, bereuen.

An Heloisen lobt noch selber Abälard,

Daß sie aus Buß' und Reu' die frömmste Nonne ward.[109]

Allein ihr Schönen dürft nicht stets im Kloster büßen,

Ein jedes Mädchen hat ein anderes Gewissen.

Jetzt höret, was man einst von Amarillen sprach;

Gefällt euch ihre Reu', so folgt der Nymphe nach.

Mirtyll war oft bei Amarillen,

Und ließ, um dieser Nymphe willen,

Fast jeden Tag die Heerd' allein;

Kaum sah man noch

Den faulen Phylax Hirten sein.

D'rum büßt' er manches Stück von seinen Schafen ein.

Jedoch es war ihm nur um Amarillen,

D'rum litt er den Verlust getrost um ihretwillen.

Wo diese Nymphe war, war auch der Schäfer da.

Er legt' es endlich ihr so nah,

Daß, als er einst zu zärtlich klagte,

Ihm Amarillis freundlich sagte:

Er sollte ganz allein

Der Schäfer, den sie liebte, sein.

Doch mußt er ihr zugleich bei der Diana schwören,[110]

Was heutzutage noch den Mädchen wohlgefällt,

Wenn man es schwört, und doch nicht hält.

Jedoch die Götter, die dergleichen Schwüre hören,

Belachen sie, dem Jupiter zu Ehren:

Verliebten ist's erlaubt, bisweilen falsch zu schwören.

Kaum hatt' er diesen Eid gethan,

So fing sich schon der Meineid an,

Daß oft die Schäferin die Göttin bitten mußte,

Dem frechen Hirten zu verzeih'n,

Und ihrer Unschuld Muth und Kräfte zu verleih'n.

Doch da er selbst zu viel von seinen Göttern wußte,

Und in der Flur schon etwas offenbar

Von dem Endymeon und der Diana war;

So dacht' er, was die Götter treiben,

Wird auch an mir wohl ungestrafet bleiben.

Man sagt, daß Jupiter hierüber selbst gelacht,

Und oft aus Scherz hiermit Dianen roth gemacht.

Zudem war selbst die Nymphe nicht von Stein.

Man bilde sich einmal ein junges Mädchen ein,[111]

Das sich von fetter Milch die Backen rund gegessen,

Das, wenn es oft allein gesessen,

Der Ziege zugeseh'n, mit der der Bock gespielt,

Und jedesmal sich selbst dabei gefühlt;

Die Mutter oft behorcht, wenn sie bei später Nacht

Die Tochter schlafen hieß, die ihr zu lang' gewacht;

Kurz, zwo Personen von den Jahren,

Wie Pyramus und Thisbe waren.

Ich spreche sie aus Menschenlieb frei,

Und jeder Schäfer stimmt mir bei;

Sie ließ sich von Mrtyllen küssen,

Und welcher wird das Uebrige nicht wissen?

Wer seine Schöne küßt, und nicht das And're raubt,

Der ist den Kuß nicht werth, den ihm ihr Mund erlaubt.

Hiervon hat Naso längst in seiner Kunst zu lieben

Im ersten Buche selbst geschrieben;[112]

Und welche sich in seinen Lehren üben,

Die haben mir vertrut, daß sie dies oft getrieben,

Und daß die Regel auch beständig wahr geblieben.

Genug, daß dies Mirtyll verstund,

Denn was uns Naso sagt, that ihm die Liebe kund,

Auch den gewissen Punkt nahm er der Schäferin,

Und Amarillis gab dem Räuber alles hin.

Doch das Gewissen schläft nicht lange.

Theils wurd' ihr um Mirtyllen bange,

Der seinen Eid so schändlich brach;

Theils um sich selbst, weil sie bedachte,

Daß sie auch sich des Meineids schuldig machte.

Dem allen sann sie nun mit wahrer Reue nach.

Die Wolken durften kaum den Horizont bedecken,

So meinte sie schon voller Schrecken,

Jetzt würd' ein Blitz die Lüfte theilen,

Und jetzt ein Donnerschlag nach ihrem Herzen eilen.

Vor allen fürchtete sie nun die Opferzeit,

Die Götter möchten sie bei der Gelegenheit[113]

Vielleicht vor Alt und Jung beschämen,

Und zu beleidigt sein, ihr Opfer anzunehmen.

Dies ließ der Nymphe keine Ruh'.

Jedoch ihr Kummer nahm durch größ're Sorgen zu:

Die Götter ließen auch ein Zeichen an ihr sehen,

Wie an den Nymphen oft geschehen,

Die es vorher zu schlecht bedacht,

Daß jeder, der sie sieht, auch weiß, was sie gemacht.

Im tiefsten Wasser wünscht sie plötzlich zu ersaufen,

Doch wer ist stark genug, in seinen Tod zu laufen?

Darum behielt noch der Verstand

Bei Amarillen auch zuletzt die Oberhand.

Ein kluges Mädchen wird sich in dergleichen Fällen

Aus Ungeduld nicht ganz und gar verzweifelt stellen:

Man trage seine Last, und ist sie noch so groß,

Zuletzt macht uns die Zeit der schweren Bürde los.

Dies rühmt man auch an Amarillen.

Sie sanfte Nymphe ging gelassen zu Mirtyllen,

Und sprach: Wir beide sind es wert,

Daß uns die größte Strafe widerfährt.[114]

Für meine Schuld empfind' ich schon die Rache;

Wer weiß, mit was für Noth

Der Himmel dir, Mirtyll, schon droht,

Auch meine That ist deine Sache.

Die Thränen rollten hier von ihren Wangen ab.

Sie stützte sich betrübt auf ihren Hirtenstab,

Und sah Mirtyllen an, als ob sie sagen wollte,

Daß er ihr wieder helfen sollte.

Allein der listige Mirtyll,

Ihr Schönen, wurde nicht gerühret.

Er that das, was ich euch aus Freundschaft sagen will,

Damit euch doch mein Mund mehr bessert, als verführet.

Der Meineid, sprach er, geht mir deinetwegen nah;

Jedoch noch ist ein Rath zu wahrer Reue da.

Wer etwas stiehlt, kann niemals ruhig leben,

Er müsse denn, was er gestohlen, wieder geben.

Auch wir sind ohnedies nicht von der Marter frei,

Die Reue bleibt bei allen Sündern einerlei;[115]

Hier hast du deine Küsse wieder.

Und hiermit gab er nun der frommen Schäferin

Die Küsse zehnfach wieder hin.

Die Halbbekehrte warf sich hier aus Reue nieder,

Und der betrügliche Mirtyll,

Vor dessen Gleichen ich die Mädchen warnen will,

Gab ihr aus Heuchelei auch die Empfindung wieder,

Die ihn, ich weiß es nicht, wie, wann und wo ergötzte,

Als er das erste Mal den Schweren Eid verletzte.

Der Zweifel, sprach er, wird nun wohl gehoben sein.

Doch Amarillis sagte: Nein;

Noch ist's, als läg' auf mir der allergrößte Stein.

Sie blieb mit herzlichem Vergnügen

Aus Reue noch ein wenig liegen.

Doch endlich sah der Schäfer klar,

Daß ihr Gewissen leichter war,

Und er und sie, kurz, alle beide

Zerschmolzen für Gewissensfreude.


J[ohann] C[hristian] Rost.[116]

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 109-117.
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