|
[118] Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Nahm die Wegkost in den Ranzen,
Trieb die Kühe längs des Sumpfes,
Selber lief er auf der Heide,
Redet also bei dem Gehen,
Wiederholet diese Worte:
O ich aller Knaben ärmster,
O ich unglücksel'ger Knabe!
Wohin bin ich nun geraten,
Bin in Müßiggang geraten,
Soll der Ochsen Schwänze hüten,
Soll die Kälber nun bewachen,
Soll durch lauter Sümpfe wandern,
Soll auf schlechtem Boden gehen.
Läßt sich nieder auf den Rasen,
Setzet sich auf sonn'gem Platze,
Singend spricht er diese Worte,
Läßt im Lied sich also hören:
Sonne Jumalas, o scheine,
Leuchte du, des Schöpfers Spindel,
Auf des Schmiedes Herdenhüter,
Auf den armen Hirtenknaben,
Nicht auf Ilmarinens Stube,
Nicht vor seiner Hausfrau Augen!
Gar vortrefflich lebt die Wirtin,[119]
Schneidet sich nur Weizenbrote,
Schöne Kuchen sich in Stücke
Und bestreicht sie dick mit Butter;
Trocknes Brot nur hat der Hirte,
Trockne Rinde zum Zermalmen,
Müht sich ab am Haferbrote,
Schneidet das mit Spreu gefüllte,
Nährt sich von dem harten Strohbrot,
Schluckt voll Mühsal Fichtenrinde,
Wasser schlürft aus Birkenbechern,
Trinkt er von des Grases Spitzen.
Gehe, Sonne, wandre, Holde,
Sinke, liebe Zeit Jumalas!
Gehe, Sonne, in die Tannen,
Holde, wandre ins Gebüsche,
Eile zum Wacholderhaine,
Fliege zu der Erlen Fläche,
Send' den Hirten nun nach Hause
Zu dem butterreichen Brote,
Um das frische zu zermalmen,
Um die Kuchen auszuhöhlen!
Ilmarinens Hausfrau hatte
Bei des Hirtenknaben Singen,
Bei dem Rufen Kullerwoinens
Längst ihr Butterbrot gegessen,
Selbst das frische sich zerschnitten,
Schon den Kuchen ausgehöhlet,
Heiße Brühe sich bereitet,
Kalten Kohl nur dem Kullerwo,
Dessen Fett der Hund gefressen,
Das der Schwarze schon gekostet,
Dran der Scheck'ge sich gesättigt,
Schon die Lust gestillt der Graue.[120]
Von dem Walde sang ein Vöglein,
Von dem Strauch der kleine Sänger:
Wär' wohl Zeit dem Knecht zu essen,
Zeit zum Mahl dem Vaterlosen.
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Blickte auf den Sonnenschatten,
Redet selber diese Worte:
Wohl ist's Zeit nun um zu speisen,
Zeit die Mahlzeit anzufangen,
Aufzusuchen meine Wegkost.
Treibt die Kühe nun zur Ruhe,
Treibt die Herde auf die Heide,
Setzt sich selber auf den Rasen,
In das Gras, das üppig grüne,
Nimmt den Ranzen von dem Rücken,
Nimmt das Brot dann aus dem Ranzen,
Wendet es nach allen Seiten,
Redet Worte solcher Weise:
Manches Brot ist schön von außen
Und gar glatt ist seine Rinde,
Aber innen ist nur Borke,
Spreu nur innerhalb der Rinde.
Nimmt sein Messer aus der Scheide,
Um das Brot sich zu zerschneiden,
Gegen Stein fährt da sein Messer,
Stößt sich gegen harten Felsen;
Abgebrochen wird die Spitze,
Ganz in Stücke geht die Klinge.
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Sieht sein Messer so zerbrochen,
Fängt dann selber an zu weinen,
Redet Worte solcher Weise:
Nur dies Messer war mir teuer,[121]
War das Einz'ge, was ich liebte,
Hab' vom Vater es erhalten,
Aus dem Eigentum des Alten,
Hab's am Steine nun zerbrochen,
An dem Felsen es zertrümmert,
An dem Brot der schlechten Wirtin,
Am Gebäck des bösen Weibes.
Wie wohl soll den Spott ich lohnen,
Diesen Weiberhohn bezahlen,
Wie des garst'gen Weibes Wegkost,
Dies Gebäck der argen Metze?
Von dem Busche krächzt die Krähe,
Krächzt die Krähe, ruft der Rabe:
O du ärmstes Silberschnällchen,
Du, Kalerwos einz'ges Söhnlein!
Weshalb bist du schlechter Laune,
Trägst in deinem Herzen Trübsal?
Nimm dir einen Zweig vom Busche,
Eine trockne Birk' vom Tale,
Treib zum Sumpf die schmutz'ge Herde,
Schick' die Kühe zum Moraste,
Eine Hälfte zu den Wölfen,
Zu den Bären du die andre!
Sammle dann des Waldes Wölfe,
Alle Bären du in Haufen,
Mach' die Wölfe zu Kleinkälbchen,
Und die Bären mach' zu Blessen,
Treib sie wie die Herd' nach Hause,
Wie das bunte Vieh zum Hofe!
Lohnest so den Spott der Wirtin,
So den Hohn des schlechten Weibes.
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet selber diese Worte:[122]
Warte, warte, Hiisis Buhle!
Wein' ich um des Vaters Messer,
Wirst du selber mehr noch weinen,
Weinen du um deine Kühe!
Nimmt vom Busche eine Gerte,
Eine Peitsche aus Wacholder,
Treibt die Kühe hin zum Sumpfe,
Jagt die Ochsen ins Gestrüppe,
Eine Hälfte zu den Wölfen
Und die andre zu den Bären;
Singt die Wölfe dann zu Kühen,
Schafft die Bären dann zu Rindern,
Macht die einen zu Kleinkälbchen
Und die anderen zu Blessen.
Schon im Süden steht die Sonne,
Wendet sich schon nach dem Abend,
Wandert zu der Tannenheide,
Eilet zu der Melkestunde;
Sieh, da treibt der böse Hirte,
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Seine Bären nach dem Hause,
Seine Wölfe nach dem Hofe,
Unterweist so seine Herde,
Redet also zu den Wölfen:
Reißt entzwei der Wirtin Schenkel,
Beißet durch das Fleisch der Wade,
Wenn sie kommt um nachzuschauen,
Wenn sie sich zum Melken bücket!
Macht ein Blasrohr aus dem Kuhbein,
Aus dem Ochsenhorn ein Waldhorn,
Aus Tuomikkis Bein ein Pfeifchen,
Eine Flöt' aus Kirjos Schienbein;
Spielt sodann auf seinem Rohre,[123]
Tutet hell auf seinem Horne,
Dreimal an des Hauses Hügel,
Sechsmal an des Ganges Mündung.
Ilmarinens Hausfrau aber,
Sie, das schöne Weib des Schmiedes,
Harrte auf die Milch schon lange,
Sehnte sich nach Sommerbutter;
Hört vom Sumpfe her die Tritte,
Von der Heide her das Lärmen,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
Sei gepriesen, o Jumala,
Tönt ein Horn, es kommt die Herde;
Woher nahm der Knecht das Waldhorn,
Wo nur fand er sich das Pfeifchen?
Weshalb kommt er denn so lärmend,
Bläst und tutet er nach Kräften,
Bläst entzwei die Ohrenhäute,
Lärmt, daß mir der Kopf will bersten?
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
Nahm der Knecht das Horn im Sumpfe,
Fand das Pfeifchen im Moraste;
Deine Herde steht im Gange,
An dem Hürdenfeld die Kühe,
Geh den Rauch nun zu bereiten,
Geh die Kühe nun zu melken!
Ilmarinens Hausfrau heißet
Drauf des Hofes Alte melken:
Gehe, Alte, um zu melken,
Geh die Rinder du zu warten,
Nicht vermag zurecht zu kommen
Selbst ich von des Teiges Kneten![124]
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
Immer wird die gute Wirtin,
Wird die kluge Frau des Hauses
Selber erst die Kühe melken,
Selber ihre Rinder pflegen.
Ilmarinens Wirtin ging nun
Selbst das Räuchern zu besorgen,
Ging darauf die Kühe melken,
Blickte einmal auf die Herde,
Und beschaute ihre Rinder,
Redet Worte solcher Weise:
Schön von Ansehn ist die Herde,
Glatt und glänzend sind die Rinder,
Wie das feine Fell des Luchses,
Wie des wilden Schafes Wolle,
Strotzend dick sind ihre Euter
Mit den harten Euterspitzen.
Bückt sich um die Küh' zu melken,
Setzt sich um die Milch zu locken,
Ziehet einmal, zieht das zweite,
Und versucht es noch das dritte,
Auf sie wirft der Wolf sich mächtig,
Stürzt der Bär an seine Seite;
An dem Mund zerreißt der Wolf sie,
An der Ferse packt der Bär sie,
Beißet durch das Fleisch der Wade
Und zerbricht des Schenkels Knochen.
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Lohnte so den Spott der Wirtin,
So vergalt er Hohn und Schmähung,
Zahlte so dem bösen Weibe.[125]
Ilmarinens stolze Hausfrau
Fing nun selber an zu weinen,
Redet Worte solcher Weise:
Übel tatst du, böser Hirte,
Triebst hier Bären nach dem Hause,
Wölfe zu dem großen Hofe.
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Gab ihr Antwort solcher Weise:
Habe schlecht getan als Hirte,
Aber du nicht gut als Wirtin:
Hast den Stein ins Brot gebacken,
Mir ein Felsstück in die Wegkost;
Traf den Stein mit meinem Messer,
Hab' am Felsstück es zerbrochen,
Meines teuren Vaters Messer,
Unsres Stammes gutes Eisen.
Sprach die Hausfrau Ilmarinens:
Hirte, du mein lieber Hirte,
Widerrufe deinen Anschlag,
Nimm zurück die Zaubersprüche,
Laß mich aus des Wolfes Rachen,
Rett' mich aus des Bären Tatzen!
Will dir beßre Hemden geben,
Will dir schöne Hosen geben,
Dich mit Butter, Weißbrot füttern,
Dich mit frischer Milch stets tränken,
Dich ein Jahr lang ohne Arbeit,
Dich ein zweites selbst ernähren.
Wenn du mich nicht bald befreiest,
Mich nicht bald erlösen kommest,
Werde in den Tod ich sinken,
Werd' zu Erde ich gestaltet.[126]
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet Worte solcher Weise:
Stirbst du, nun, so magst du sterben,
Mag dich Untergang ereilen!
Platz ist in der Erde unten,
Für Gestorbene bei Kalma,
Für die Mächt'gen dort zu schlummern,
Für die Stolzen dort zu ruhen.
Sprach die Hausfrau Ilmarinens:
Ukko, du, o Gott der Höhe!
Spanne deinen großen Bogen,
Wähle deine beste Waffe,
Lege einen Pfeil von Kupfer
Auf den heft'gen Feuerbogen,
Schieße schnell den Flammenpfeil ab,
Das Geschoß von starkem Kupfer,
Schieße durch die Achselhöhlen,
Durch das dicke Fleisch der Schultern,
Stürze du den Sohn Kalerwos,
Schieß den Schlechten du zu Boden
Mit dem stahlbespitzten Pfeile,
Mit der kupferreichen Waffe!
Kullerwo, der Sohn Kalerwos,
Redet selber diese Worte:
Ukko, du, o Gott der Höhe!
Nicht auf mich sollst du nun schießen,
Schieß auf Ilmarinens Hausfrau,
Raff' das schlechte Weib von hinnen,
Eh' sie von der Schwelle gehet,
Eh' sie irgendwohin wandert!
Ilmarinens Wirtin stürzte,
Sie, des klugen Schmiedes Hausfrau,
Nieder auf derselben Stelle,[127]
Fiel herab wie Ruß des Kessels
In den Raum vor ihrer Wohnung,
Dort auf ihrem engen Hofe.
Dieses war der Tod des Weibes,
Dies der Untergang der Schönen,
Die so lange ward ersehnet,
Sechs der Jahre ward gesuchet
Zu der Freude Ilmarinens,
Zu des braven Schmiedes Zierde.
Buchempfehlung
In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.
74 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro