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[245] Wäinämöinen alt und wahrhaft
Dachte nun in seinem Sinne:
Passend wär' es jetzt zu spielen,
Schicklich Freude nun zu wecken
In dem neuen Aufenthalte,
In dem wunderschönen Hofe;
Doch die Kantele entglitt mir,
Meine Freude ging für immer
Zu der Fische Wohnungsstätte,
In der Lachse Steinesschluchten,
Zu der Wassergeister Wonne,
Hin zum Volke von Wellamo;
Kann sie mir von dort nicht holen,
Nicht gibt Ahto sie mir wieder.
O du Schmieder Ilmarinen!
Hast gehämmert sonst und gestern,
Hämmre auch am heut'gen Tage,
Hämmre eine Eisenharke,
Dichte Zähne an der Harke,
Dichte Zähn' mit langem Schafte,
Daß ich in den Fluten harke,
Daß die Wellen ich zu Schwaden,
Und das Schilf zusammenhäufle,
Daß den Strand ich ganz durchegge,
Daß das Spielgerät ich finde,[246]
Ich die Kantele erlange
Aus der Fische Wohnungsstätte,
Aus der Lachse Steinesschluchten!
Selbst der Schmieder Ilmarinen,
Dieser ew'ge Hämmerkünstler,
Hämmert' eine Eisenharke,
Macht' ihr einen Schaft von Kupfer,
Hundertklafterlange Zähne,
Fünffach war des Schaftes Länge.
Nahm der alte Wäinämöinen
Drauf die Harke starken Eisens,
Ging ein wenig dann des Weges,
Wandert' eine kleine Strecke
Zu den wohlbeteerten Walzen,
Zu den kupferreichen Rollen.
Waren dort zwei gute Nachen,
In Bereitschaft beide Boote
Auf den wohlbeteerten Walzen,
Auf den kupferreichen Rollen,
Neu war eines von den Booten,
Aber alt der Boote andres.
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet zu dem jungen Boote:
Gehe, Nachen, in das Wasser,
Wirf dich, Fahrzeug, in die Fluten,
Von den Händen nicht gewendet,
Von dem Daumen nicht gehalten!
Ging sogleich das Boot ins Wasser,
Warf das Fahrzeug in die Flut sich;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Setzte selbst sich an das Ende,
Ging das Meer nun zu durchfegen,[247]
Ging die Fluten zu durchkehren;
Recht die Wasserlilien alle,
Auch des Strandes Schutt zusammen,
Selbst des Schilfes kleinste Stückchen,
Schilfes-Stückchen, Rohres-Brocken,
Recht zusammen jedes Ästchen,
Streifet mit der Hark' die Klippen,
Nirgends kann er jedoch finden
Seine Harf' aus Hechtes-Gräten,
Fort ist seine Freud' auf immer,
Seine Kantele verloren.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schreitet gradewegs nach Hause,
Tiefen Hauptes, trüber Laune,
Schiefgeschoben seine Mütze,
Redet nochmals diese Worte:
Werde nimmer wieder wecken
Freude aus des Hechtes Zähnen,
Aus des Fisches Gräten Töne.
Als die Waldung er durchwandert,
An dem Rand des Haines schreitet,
Hört er eine Birke weinen,
Hört den Maserbaum er klagen,
Schreitet rasch in seine Nähe,
Gehet dicht heran zum Baume,
Spricht zu ihm und fragt ihn also:
Weshalb weinst du, schöne Birke,
Jammerst du, o Grünbelaubte,
Weißgegürtete, was klagst du?
Wirst ja nicht zum Krieg geführet,
Nicht zum Kampfe du gezwungen.
Klüglich antwortet die Birke,
Redet selbst die grünbelaubte:[248]
Also mögen viele sprechen,
Mögen manche von mir reden,
Daß ich nur in Freude lebe,
Daß ich voller Jubel rausche,
Arme ich, die ihren Gram nur,
Ihre Pein nur kann genießen!
Meine schwere Zeit beklag' ich,
Stöhne ob der Kümmernisse.
Weine ob des Unvermögens,
Jammere ob meines Mangels,
Da ich Arme ohne Anteil,
Elend ohne alle Stütze
Hier auf dieser schlechten Stelle,
Auf dem Weideplatze stehe.
Reichbedacht, vom Glück begünstigt,
Hoffen andre immerwährend,
Daß der schöne Sommer komme,
Daß die warme Zeit erscheine.
Andres muß ich schwaches Bäumchen,
Ich Armselige erwarten:
Abgeschält wird meine Rinde,
Fortgeführt wird mein Gezweige.
Oftmals sind zu mir, der Zarten,
Oft zu mir, der armen Birke,
Kinder in dem raschen Frühjahr
Her zu meinem Stamm gekommen,
Schlitzen mit dem scharfen Messer
Aus dem Bauch mir meine Säfte,
Böse Hirten ziehen Sommers
Ab mir meinen weißen Gürtel,
Machen Schalen, machen Scheiden,
Machen daraus Beerenkörbchen.[249]
Oftmals sind bei mir, der Zarten,
Oft bei mir, der armen Birke,
Mädchen, die am Stamme sitzen,
Die an meiner Seite weilen,
Schneiden Laub mir von der Krone,
Binden Zweige fest zu Besen.
Oftmals werde ich, die Zarte,
Oftmals ich, die arme Birke,
Bei dem Schwenden umgehauen
Und zu Brennholz kleingespalten;
Dreimal sind in diesem Sommer,
In dem Lauf der warmen Jahrzeit
Männer an dem Stamm gewesen,
Haben ihre Axt gewetzet
Gegen meine arme Krone,
Daß ich um mein Leben käme.
Dieses war die Freud' im Sommer,
Dies die Lust der großen Jahrzeit;
Doch nicht besser war der Winter,
Nicht die Schneezeit angenehmer.
Stets hat schon in frühen Zeiten
Kummer mein Gesicht verändert,
Mir mein Haupt schlimm zugerichtet,
Meine Wangen sind erblichen,
Wenn ich an die schwarzen Tage,
An die schlechten Zeiten dachte.
Schmerzen bringen dann die Winde
Und der Reif gar bittre Sorgen,
Winde führen fort den Laubpelz,
Fort der Reif die schöne Kleidung,
Daß ich arme, schwache Birke,
Ich, das unglücksvolle Bäumchen,
Unbekleidet hier verbleibe,[250]
Aller Kleidung ganz beraubet,
In der strengen Kälte zittre,
In dem Froste heftig klage.
Sprach der alte Wäinämöinen:
Weine nicht, o Grünbelaubte,
Jammre nicht, du Blätterreiche,
Weißgegürtete, nicht klage!
Sollst ein trefflich Los erhalten,
Voller Lust ein neues Leben;
Wirst alsbald vor Freude weinen,
Wirst vor Wonne laut ertönen.
Schuf der alte Wäinämöinen
Aus der Birke eine Harfe,
Schnitzte einen Tag des Sommers,
Eine Kantele erzeugt' er
Auf der nebelreichen Spitze,
Auf dem dunstumwobnen Eiland;
Schuf die Wölbung dort der Harfe,
Ihren Rumpf zu neuer Freude,
Formt' aus festem Holz die Wölbung,
Formt' den Rumpf aus Maserholze.
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
Fertig ist der Harfe Wölbung
Und ihr Rumpf zu ew'ger Freude;
Woher nehm' ich jetzt die Zapfen,
Woher hol' ich gute Wirbel?
Wuchs ein Eichbaum an dem Wege,
In die Höhe auf dem Hofe,
Hatte Zweige gleicher Größe,
Eicheln dort auf jedem Zweige,
Goldne Kugeln an den Eicheln,
Auf der Kugel einen Kuckuck.[251]
Wenn der Ruf des Kuckucks laut ward,
Fünf der Töne dort erschollen,
Floß ihm Gold aus seinem Schnabel,
Goß herab sich reiches Silber
Auf die Hügel goldnen Glanzes,
Auf die silberhellen Höhen;
Daher nahm er Harfenzapfen,
Wirbel für die Maserwölbung.
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
Habe Zapfen für die Harfe,
Wirbel für die Maserwölbung;
Doch es fehlt noch ein Geringes,
Noch der Kantele fünf Saiten.
Woher nehme ich die Saiten,
Schaffe ich die klängereichen?
Ging sich Saiten nun zu suchen,
Schritt einher entlang der Waldung;
Saß ein Mädchen in dem Haine,
Eine Jungfrau in dem Tale;
Dieses Mädchen weinte zwar nicht,
Doch es war auch nicht voll Freude;
Sang ein Liedchen für sich selber,
Daß der Abend schwinden möchte,
In der Hoffnung, daß der Liebste,
Daß er ja recht bald erschiene.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Eilte dorthin ohne Schuhe,
Sprang zu ihr hin ohne Strümpfe;
Als er bei ihr angelangt war,
Fing er an um Haar zu bitten,
Redet selber solche Worte:
Gib, o Jungfrau, eine Locke[252]
Deiner wunderholden Haare,
Daß sie Saiten auf der Harfe,
Klänge ew'ger Freude werden!
Eine Locke gab die Jungfrau
Ihm von ihren weichen Haaren,
Gab ihm ihrer fünf, gab sechse,
Ja, sie gab der Haare sieben;
Daraus sind der Harfe Saiten,
Sind die ew'gen Freudenwecker.
Fertig war nun seine Harfe;
Setzt der alte Wäinämöinen
Sich auf einen Sitz von Steinen,
Auf den Block an einer Türe.
Nimmt die Kantele zu Händen,
Hält sie nahe, seine Freude,
Dreht die Wölbung zu dem Himmel,
Stützt den Knopf auf seine Kniee,
Setzt die Saiten dann in Ordnung,
Stimmt sie sorglich zu einander.
Hatte wohl gestimmt die Saiten,
Seine Harfe gut geordnet;
Nimmt sie nun in seine Hände,
Stützt sie auf die Knie querüber,
Läßt dann alle seine Nägel,
Fünf von seinen Fingern laufen,
Auf den Saiten munter hüpfen,
Auf dem Spielgeräte springen.
Als der alte Wäinämöinen
Auf der Kantele da spielte,
Zart von Hand und weichen Fingers,
Seinen Daumen auswärts krümmend,[253]
Da ertönt das Holz der Birke,
Laut erklingt die reichbelaubte,
Ruft voll Lust das Gold des Kuckucks,
Und das Haar der Jungfrau jubelt.
Wäinämöinens Finger spielen,
Seiner Harfe Saiten tönen,
Berge springen, Blöcke krachen,
Alle starken Felsen dröhnen,
Steine bersten auf den Fluten,
Kiessand wiegt sich auf dem Wasser,
Fichten tanzen voller Freude,
Stämme hüpfen auf der Heide.
Alle Frauen Kalewalas
Eilen fort von ihrem Nähen
Dorthin gleich dem wilden Strome,
Stürzen hin gleich einem Flusse,
Junge Weiber munter lachend,
Froher Laune jede Wirtin,
Um dem Saitenspiel zu lauschen,
Um den Jubel anzustaunen.
Wieviel Männer nahe waren,
Standen, in der Hand die Mütze,
Wieviel Weiber nahe waren,
Hielten ihre Hand zur Wange,
Tränend sind der Mädchen Augen,
Auf der Erde knien die Knaben,
Lauschen auf der Harfe Töne,
Staunen ob des freud'gen Klanges,
Reden wie mit einem Munde,
Sprechen wie mit einer Zunge:
Niemals ward zuvor vernommen
Solch ein Spielen voller Anmut,[254]
Nie, solang die Zeiten währen,
Nie, solang das Mondlicht strahlet.
Weithin tönt das schöne Spielen,
Tönet über sechs der Dörfer,
Gibt allda kein einz'ges Wesen,
Das zu hören nicht gekommen
Dieses Spielen voller Anmut,
Dieses Kantele Erklingen.
Alle Tiere in dem Walde
Hocken nieder auf die Klauen,
Um dem Saitenspiel zu lauschen,
Um den Jubel anzustaunen;
Alle Vögel in den Lüften
Lassen sich auf Zweige nieder,
Wasserfische jeder Gattung
Nähern sich dem Meeresstrande,
Würmer kommen aus der Tiefe
Auf der Erde Staub gekrochen,
Winden sich und horchen fleißig
Auf das Spielen voller Anmut,
Auf der Harfe ew'ge Freude,
Auf das Tönen Wäinämöinens.
Spielt der alte Wäinämöinen
Wohl auf wunderbare Weise,
Läßt gar schönen Sang erklingen;
Einen Tag spielt er, den zweiten,
Spielt so, ohne anzuhalten,
Nach der morgendlichen Mahlzeit,
Von demselben Gurt umschlossen,
Mit demselben Hemd bekleidet.
Spielte er in seiner Wohnung,
In dem Haus aus Fichtenholze,[255]
Dann ertönte die Bedachung,
Dann erdröhnte oft der Boden,
Sang die Decke, heult' die Türe,
Alle Fenster schrien vor Freude,
Selbst des Ofens Steine schwankten,
Und der Maserpfeiler keuchte.
Wandert' er im Tannenwalde,
Streifte er durch Fichtenhaine,
Bückten tief sich alle Tannen,
Neigten sich zur Erd' die Fichten,
Nieder fielen ihre Zapfen,
Zu den Wurzeln ihre Nadeln.
Wandelte er durch den Laubwald
Oder schritt er durch die Heide,
Rief ihm scherzend zu der Laubwald,
Jubelte ihm zu die Heide,
Und es paarten sich die Blumen,
Bogen sich die jungen Reiser.
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