Skirnirs Fahrt.

[93] Freyr, der Sohn Niörds, hatte sich einst auf Hlidskialf gesetzt und überschaute die Welten alle. Da sah er nach Jötunheim und sah eine schöne Jungfrau aus ihres Vaters Haus in ihre Frauenkammer gehen. Daraus erwuchs ihm große Gemüthskrankheit. Skirnir hieß Freys Diener. Niördr bat ihn, Freyr zum Reden zu bringen. Da sprach:


Skadi.

Steh nun auf, Skirnir, ob du unsern Sohn

Magst zu reden vermögen

Und das zu erkunden, wem der kluge wohl

So bitterböse sei.


Skirnir.

Uebler Antwort verseh ich mich von euerm Sohne,

Wenn ich die Red an ihn richte

Um das zu erkunden, wem der kluge wohl

So bitterböse sei.


Sage mir, Freyr, volkwaltender Gott,

Was ich zu wißen wünsche:

Was weilst du allein im weiten Saal,

Herr, den heilen Tag?


Freyr.

Wie soll ich sagen dir jungem Gesellen

Der Seele großen Gram?

Die Alfenbestralerin leuchtet alle Tage,

Doch nicht zu meiner Liebeslust.


[93] Skirnir.

Dein Gram mag so groß nicht sein,

Daß du ihn mir nicht sagen solltest.

Theilten wir doch die Tage der Jugend:

So mögen wir Zwei uns Zutraun schenken.


Freyr.

In Gymirs Gärten sah ich gehen

Mir liebe Maid.

Ihre Arme leuchteten und Luft und Meer

Schimmerten von dem Scheine.


Mehr lieb ich die Maid als ein Jüngling mag

Im Lenz seines Lebens.

Von Asen und Alfen will es nicht Einer,

Daß wir beisammen seien.


Skirnir.

Gieb mir dein rasches Ross, das mich sicher

Durch die flackernde Flamme führt;

Gieb mir das Schwert, das von selbst sich schwingt

Gegen der Reifriesen Brut.


Freyr.

Nimm denn mein rasches Ross, das dich sicher

Durch die flackernde Flamme führt;

Nimm mein Schwert, das von selbst sich schwingt

In des Beherzten Hand.


Skirnir sprach zu dem Rosse:

Dunkel ists draußen: wohl dünkt es mich Zeit

Ueber feuchte Berge zu fahren.

Wir beide vollführens, fängt uns nicht beide

Jener kraftreiche Riese.


Skirnir fuhr gen Jötunheim zu Gymirs Wohnung. Da waren wüthige Hunde an die Thüre des hölzernen Zaunes gebunden, der Gerdas Saal umschloß. Er ritt dahin, wo der Viehhirt am Hügel saß und sprach zu ihm:[94]


Sage mir, Hirt, der am Hügel sitzt

Und die Wege bewacht,

Wie mag ich schauen die schöne Maid

Vor Gymirs Grauhunden?


Der Hirt.

Bist du dem Tode nah oder todt bereits

(Mann auf der Mähre Rücken?),

Zu sprechen ungegönnt bleibt dir immerdar

Mit Gymirs göttlicher Tochter.


Skirnir.

Kühnheit steht beßer als Klagen ihm an,

Der da fertig ist zur Fahrt.

Bis auf Einen Tag ist mein Alter bestimmt

Und meines Lebens Länge.


Gerda.

Welch Getöse ertönen hör ich

Hier in unsern Hallen?

Die Erde bebt davon und alle Wohnungen

In Gymirsgard erzittern.


Die Magd.

Ein Mann ist hier außen von der Mähre gestiegen

Und läßt sie im Grase grasen.


Gerda.

Bitt ihn einzutreten in unsern Saal

Und den milden Meth zu trinken,

Obwohl mir ahnt, daß hier außen sei

Meines Bruders Mörder.


Wer ist es der Alfen oder Asensöhne,

Oder weisen Wanen?

Durch flackernde Flamme was fuhrst du allein

Unsre Säle zu schauen?


[95] Skirnir.

Bin nicht von den Alfen noch den Asensöhnen,

Noch den weisen Wanen;

Durch flackernde Flamme doch fuhr ich allein

Eure Säle zu schauen.


Der Aepfel eilf hab ich allgolden,

Die will ich, Gerda, dir geben,

Deine Liebe zu kaufen, daß du Freyr bekennst,

Daß dir kein liebrer lebe.


Gerda.

Der Aepfel eilf nehm ich nicht an

Um eines Mannes Minne,

Noch mag ich und Freyr, dieweil wir athmen beide,

Je zusammen sein.


Skirnir.

Den Ring geb ich dir, der in der Glut lag

Mit Odhins jungem Erben.

Acht entträufeln ihm ebenschwere

In jeder neunten Nacht.


Gerda.

Den Ring verlang ich nicht, der in der Lohe lag

Mit Odhins jungem Erben.

In Gymisgard bedarf ich Goldes nicht:

Mir schont der Vater die Schätze.


Skirnir.

Siehst du, Mädchen, das Schwert, das scharfe, zaubernde,

Das ich halt in der Hand?

Das Haupt hau ich vom Hals dir ab,

So du dich ihm weigern willst.


Gerda.

Zu keiner Zeit werd ich Zwang erdulden

Um Mannesminne.

Wohl aber wähn ich, gewahrt dich Gymir,

Daß ihr Kühnen zum Kampfe kommt.


[96] Skirnir.

Siehst du, Mädchen, das Schwert, das scharfe, zaubernde,

Das ich halt in der Hand?

Seine Schneide erschlägt den alten Riesen,

Fällt deinen Vater todt.


Mit der Zauberruthe zwingen werd ich dich,

Maid, zu meinem Willen.

Dahin wirst du kommen, wo Kinder der Menschen

Dich nicht mehr sollen sehen.


Auf des Aaren Felsen in der Frühe sollst du sitzen,

Weg von der Welt gewandt zu Hel.

Speise sei dir widriger als Wem auf Erden

Der menschenleide Midgardswurm.


Ein scheusliches Wunder wirst du draußen,

Daß Hrimnir dich angafft, dich Alles anstarrt.

Weitkunder wirst du als der Wächter der Götter:

Gaffe denn hervor am Gitter.


Einsamkeit und Abscheu, Zwang und Ungeduld

Mehren dir Trübsinn und Thränen.

Sitze nieder, so sag ich dir

Des Leides schwellenden Strom,

Den zweischneidigen Schmerz.


Riegel sollen dich ängsten all den Tag

Hier im Gehege der Joten.

Vor der Hrimthursen Hallen sollst du den heilen Tag

Dich krümmen kostberaubt,

Dich krümmen kostverzweifelt.

Leid für Lust wird dir zum Lohn,

Mit Thränen trägst du dein Unglück.


Mit dreiköpfigem Thursen theilst du das Leben

Oder alterst unvermählt.[97]

Sehnsucht scheucht dich

Von Morgen zu Morgen;

Wie die Distel dorrst du, die sich gedrängt hat

In des Ofens Oeffnung.


Zum Hügel ging ich, ins tiefe Holz,

Zauberruthen zu finden:

Zauberruthen fand ich.


Gram ist dir Odhin, gram ist dir der Asenfürst,

Freyr verflucht dich.

Flieh, üble Maid, bevor dich vernichtet

Der Götter Zauberzorn.


Hört es, Joten, hört es, Hrimthursen,

Suttungs Söhne, ihr Asen selber!

Wie ich verbiete, wie ich banne

Mannes Gesellschaft der Maid,

Mannes Gemeinschaft.


Hrimgrimnir heißt der Riese, der dich haben soll

Hinterm Todtenthor,

Wo verworfene Knechte in knotige Wurzeln

Dir Geißenharn gießen.

Anderer Trank wird dir nicht eingeschenkt,

Maid, nach deinem Willen,

Maid nach meinem Willen!


Ein Thurs (Th) schneid ich dir und drei Stäbe:

Ohnmacht, Unmuth, Ungeduld.

So schneid ich es ab wie ich es einschnitt,

Wenn es Noth thut so zu thun.


Gerda.

Heil sei dir vielmehr, Held, und nimm den Eiskelch

Firnen Methes voll.

Ahnte mir doch nie, daß ich einen würde

Vom Stamm der Wanen wählen.


[98] Skirnir.

Meiner Werbung Erfolg wüst ich gesichert gern

Eh ich mich hinnen hebe.

Wann meinst du in Minne dem mannlichen Sohn

Des Niördr zu nahen?


Gerda.

Barri heißt, den wir beide wißen,

Stiller Wege Wald:

Nach neun Nächten will Niörds Sohne da

Gerda Freude gönnen.


Da ritt Skirnir heim. Freyr stand draußen, grüßte ihn und fragte nach der Zeitung:


Sage mir, Skirnir, eh du den Sattel abwirfst

Oder vorrückst den Fuß,

Was du ausgerichtet hast in Riesenheim

Nach meiner Meinung und deiner.


Skirnir.

Barri heißt, den wir beide wißen,

Stiller Wege Wald:

Nach neun Nächten will Niörds Sohne da

Gerda Freude gönnen.


Freyr.

Lang ist Eine Nacht, länger sind zweie:

Wie mag ich dreie dauern?

Oft daucht' ein Monat mich minder lang

Als eine halbe Nacht des Harrens.

Quelle:
Die Edda. Stuttgart 1878, S. 93-99.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon