|
[216] Heidrek hieß ein König, seine Tochter hieß Borgny und Wilmund ihr Geliebter. Sie konnte nicht gebären bis Oddrun hinzu kam, Atlis Schwester. Die war Gunnars Geliebte gewesen, des Sohnes Giukis. Von dieser Sage ist hier die Rede.
Ich hörte sagen in alten Geschichten,
Daß eine Maid kam gen Morgenland.
Niemand wuste auf weiter Erde
Der Tochter Heidreks Hülfe zu leisten.
Das hörte Oddrun, Atlis Schwester,
In schweren Wehen winde die Jungfrau sich.
Sie zog aus dem Stalle den scharfgezäumten
Und schwang dem Schwarzgaul den Sattel auf.
Sie spornte den schnellen den ebnen Sandweg
Bis sie die hohe Halle stehn sah.
Von des Rosses Rücken riß sie den Sattel,
Trat ein und schritt den Saal entlang.
Dieß war das erste Wort, das sie sprach:
In diesen Gauen giebt es was Neues?
Was hört man Gutes in Hunnenland?
Eine Magd sprach:
Borgny liegt hier überbürdet mit Schmerzen,
Deine Freundin, Oddrun: eil ihr zur Hülfe.
Oddrun.
Welcher der Fürsten fügte den Schimpf dir?
Warum ist so bitter Borgnys Qual?
[216] Die Magd.
Wilmund heißt des Herschers Vertrauter:
Er wand die Maid in warme Decken
Fünf volle Winter ohne des Vaters Wißen. –
Sie sprachen, dünkt mich, dieß und nicht mehr.
Mildreich saß sie der Maid vor die Kniee.
Kräftig sang Oddrun, mächtig sang Oddrun
Zauberlieder der Borgny zu.
Da konnte den Kiesweg Knab und Mädchen treten,
Holde Sprößlinge des Högnitödters.
Zu sprechen säumte nicht die sieche Maid;
Dieß war das erste Wort, das sie sprach:
»So mögen milde Mächte dir helfen,
Frigg und Freyja und viel der Götter,
Wie du mich befreitest aus fährlicher Noth.«
Oddrun.
Nicht hub ich mich her dir Hülfe zu bringen
Weil du es werth wärst gewesen irgend.
Ich gelobte, und leistete mein Gelübde jetzt,
Beistand zu leisten allen Leidenden,
Als die Edlinge das Erbe theilten.
Borgny.
Irr bist du, Oddrun, und ohne Besinnung,
Daß du im Eifer also sprichst.
Wir lebten doch lange im Lande zusammen
Zärtlich, wie zweier Brüder Erzeugte.
Oddrun.
Wohl noch weiß ich, wie du des Abends sprachst,
Als ich Gunnarn das Gastmal bereitete:
So arge Unsitte, sprachst du eifernd,
Werde nach mir keine Maid mehr üben. –
Da setzte sich nieder die sorgenmüde,
Ihr Leid zu künden aus des Kummers Fülle:
[217] Oddrun.
Ich wuchs empor in prächtiger Halle,
Mich lobten Viele und Keinem missfiel es;
Doch freut ich der Jugend und des Vaterguts
Mich der Winter fünf nur bei des Vaters Leben.
Da war es das letzte Wort, das er sprach
Bevor er starb der stolze König:
Mit rothem Golde begaben hieß er mich
Und südwärts senden dem Sohne Grimhilds.
[Brynhilden hieß er den Helm zu tragen,
Weil sie Wunschmagd zu werden bestimmt sei.]
Es mög unterm Monde so edle Maid
Nicht geben, wenn günstig der Gott mir bleibe.
Brynhild wirkte Borten am Rahmen;
Sie hatte Land und Leute vor sich.
Erde schlief noch und Ueberhimmel,
Als die Burg ersah der Besieger Fafnirs.
Kampf war gekämpft mit welscher Klinge
Und gebrochen die Burg, da Brynhild saß.
Nicht lange währt' es, nur wunderkurz,
So konnte sie alle die schlauen Künste.
Die Sachen suchte sie so schwer zu rächen,
Daß wir Alle üble Arbeit gewannen.
Das weiß man soweit als Menschen wohnen
Wie sie bei Sigurd sich selber tödtete.
Aber schon günstig dem Gunnar war ich,
Dem Baugeverschenker, wie Brynhild gesollt.
Rothe Ringe boten die Recken gleich
Meinem Bruder und Bußen viel.
Für mich bot Gunnar der Güter funfzehn
Und Granis Rückenlast, wenn er es gerne nähme.[218]
Das weigerte Atli: er wolle nicht,
Daß ihm Brautgabe gäben Giukis Söhne.
Doch wir mochten nicht mehr die Minne bezwingen,
Wenn ich des Ringbrechers Haupt nicht berührte.
Da murmelten Manche meiner Verwandten
Sie hätten uns beide auf Buhlschaft betroffen.
Aber Atli meinte, solch Unrecht würd ich
Schwerlich begehen, mir Schande zu machen.
Doch Solches sollte so sicher Niemand
Von dem Andern läugnen, wo Liebe waltet.
Seine Späher sandte Atli,
Im tiefen Tann mein Thun zu belauschen.
Sie kamen, wohin sie nicht kommen sollten:
Wo wir selbander lagen unter Einem Linnen.
Rothe Ringe den Recken boten wir,
Daß sie dem Atli Alles verschwiegen.
Aber Alles dem Atli sagten sie;
Sie hatten Hast nach Haus zu kommen.
Aber der Gudrun gänzlich hehlten sies,
Der es zu wißen doch doppelt geziemte.
Goldhufige Hengste hörte man traben,
Da die Söhne Giukis in den Schloßhof ritten.
Man hieb dem Högni das Herz aus dem Leibe
Und senkte den Gunnar in den Schlangenthurm.
Nun war ich einst wie öfter geschah
Zu Geirmund gegangen das Gastmal zu rüsten.
Der hohe Herscher begann zu harfen:
Hoffnung hegte der hochgeborne
König, ich könnt ihm zu Hülfe kommen.
Da hört ich, und lauschte von Hlesey her,
Wie harmvoll schollen die Saitenstränge.[219]
Ich mahnte die Mägde mit mir zu eilen:
Fristen wollt ich dem Fürsten das Leben.
Wir führten das Fahrzeug dem Forst vorbei
Bis wir Atlis Wohnungen alle gewahrten.
Da hinkte her die heillose
Mutter Atlis: möchte sie faulen!
Und grub sich ganz in Gunnars Herz,
Daß ich den ruhmreichen nicht retten mochte.
Oft verwundert mich, Wurmbettgeschmückte!
Wie ich nun länger noch leben möge,
Die den Gewaltigen wähnte zu lieben,
Den Schwertverschenker, mir selber gleich.
Du saßest und lauschtest, dieweil ich dir sagte
Unermeßliches Leid, meines und ihres.
Wir Alle leben nach eignem Geschick:
Hier ist Oddruns Klage zu Ende.
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro