CIX.

Ein Klaglied einer jungen Kloster Jungfrawen.

[118] 1. Ach Gott wem sol ichs klagen,

das heimlich leiden mein,

Mein hertz wil gantz verzagen,

gefangen mus ich sein,

Ins kloster bin ich gegeben

in meinen jungen jaren,

darinne mus ich leben,

kein freud noch lust darinne haben,

das klag ich alles zwar.


2. Nun höret zu dieser stunde,

was ich euch sagen thu,

Verflucht sein alle meine freunde,

die mich haben bracht darzu.

Das ich mich sol wehren,

das nit zu wehren ist,

mein gut thun sie verzeren,

mein seel höchlich beschweren,

das klag ich vom himmel Christ.


3. Ich weis ein andern orden,

in diesem bleib ich nit,[118]

Ich bin des innen worden,

es sein nur menschengedicht,

Damit ich bin verbunden,

bis in das zwelffte jar,

die warheit hab ich gefunden,

mein strick sein auffgebunden,

mein andacht ist verloren gar.


4. Den orden den ich meine,

den hatt Gott selbs gestifft,

Den ehelichen stand alleine,

als man find in der schrifft,

Es ist nicht zu sein alleine,

spricht Gott den menschen zu gut,

darumb schafft er noch einen,

aus seinem fleisch und beinen,

der jm auch hülffe thut.


5. Das war Adam und Eva

die got zusammen verpflicht,

Den orden solten sie halten,

und den nicht machen zu nicht,

Ir brot im schweis erwerben,

für jrem angesicht,

sonst müsten sie beyde sterben,

und ewiglich verderben,

wol in der hellenpein.


6. Dem wöllen wir nachfolgen,

das helff uns der liebe Gott,

Wöllen Christum lassen sorgen

der uns allzeit behüt,

Auff jn allein vertrawen,

auff keinen menschen mehr,

welcher uns kan ernehren,

und behüten für falscher lehr,

Im sey lob preis und ehr.


Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 118-119.
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