CCXXIII.

Ein schön lied, von einer edlen herzoginne, und einem jungen graffen.

[302] 1. Es wonet lieb bey liebe,

darzu gros hertzeleid,

Ein edle herzoginne,

ein ritter hoch gemeid,

Sie hatten einander von hertzen lieb,

das sie vor grosser hute,

zusammen kamen nie.


2. Die jungfraw die was edel,

sie thet ein abendtgang,

Sie gieng gar trawriglichen,

da sie den wechter fand,

O wechter tritt du her zu mir,

reich wil ich dich machen,

dürfft ich vertrawen dir.


3. Ihr sollet mir vertrawen,

zart edle jungfraw fein,

So förcht ich nichts als sehre,

als ewres vaters grim,

Ich förcht ewers vaters zorn,

wo es mir mißlinge,

mein leben hett ich verlorn.


4. Es sol uns nit mißlingen,

es sol uns wol ergan,

Ob ich entschlaffen würde,

so weck mich mit gethön,

Ob ich entschlaffen wer zu lang,

o wechter trauter geselle,

so weck mich mit gesang.


5. Sie gab jm das gold zu behalten,

den mantel an seinen arm,[303]

Fahr hin mein schöne jungfrawe,

und das euch gott bewahr,

Und das er euch auch wol behüt,

es krenckt demselben wechter,

sein leben und sein gemüt.


6. Die nacht die war so finster,

der mon gar wenig schein,

Die jungfraw die was edel,

sie kam zum holen stein,

Daraus sprang ein brünlein kalt,

darüber ein grüne linde,

fraw nachtigal saß und sang.


7. Was singstu fraw nachtigal,

du kleines waldtvögelein,

Wöll mir jhn Gott behüten,

ja des ich warten bin,

So spar jhn mir auch Gott gesundt,

er hat zwey braune augen,

darzu ein roten mund.


8. Das erhört ein zwergelein kleine,

das in dem walde saß,

Es lieff mit schneller eile,

da es die jungfraw fand.

Ich bin ein bot zu euch gesandt,

mit mir sollet jhr gahne

in meiner mutter land.


9. Er nam sie bey den henden,

bey jhr schneeweissen hand,

Er führt sie an das ende,

da er sein mutter fand.

O mutter die ist mein allein,

ich fand sie nechten spate

bey einem holen stein.


10. Und da des zwergleins mutter,

die jungfraw angesach,[304]

Gang führ sie wider geschwinde,

da du sie genommen hast,

Du schaffst gros jammer und gros not,

ehe morgen der tag her ghat,

so sind drey menschen todt.


11. Er nam sie bey den henden,

bey jhr schneeweissen hand,

Er führt sie an das ende,

da er sie genommen hat,

Da lag der ritter verwundt bis auff den todt,

da stund die schöne jungfraw,

jhr hertz leid grosse not.


12. Sie zog das schwerdt aus jhme,

sie stachs auch selbs in sich,

Und hast du dich erstochen,

so stich ichs auch in mich,

Es sol sich nimmer keins königs kind,

umb meinen willen sterben,

ermorden mehr umb mich.


13. Und da es morgens taget,

der wechter hub an und sang,

So ward mir in keim jare

kein nacht noch nie so lang,

Denn diese nacht mir hat gethan,

o reicher Christ von himmel,

wie wird es mir ergahn.


14. Und das erhört die königin,

die an dem bette lag.

O höret edeler herre,

was ist des wechters klag,

Wie jhm die nacht doch hett gethon,

ich förcht das unser tochter,

die hab nicht wol gethon.


15. Der könig zu der königin sprach,

zünd an ein kertzen liecht,

Und lugt in aller burge,[305]

ob jhr sie findet nicht,

Findet jhrs an dem beth nicht daran,

so wirds demselben wechter

wol an sein leben gahn.


16. Die königin was geschwinde,

sie zündet an ein kertzenliecht,

Sie lugt in aller burge,

sie fand jhr tochter nit,

Sie suchts mit fleis am beth daran,

o reicher Christ vom himmel,

wie wird es heut ergahn.


17. Sie liessen den wechter fahen,

sie legten jhn auff einen tisch,

Zu stücken thet man jhn hawen,

gleich wie ein salmen fisch.

Und warumb theten sie jhm das,

das sich ein ander wechter,

sol hüten dester baß.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 302-306.
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