CCXXXI.

[335] 1. Nun wölt jr hören newe mär,

vom puxbaum und vom felbinger,

Sie zogen mit einander über feld,

und kriegten wider einander.


2. Der puxbaum sprach ich bin so kün,

ich bleib sommer und winter grün,

Das thust du leidiger felbinger nicht,

du verleurst dein besten zweyge,

felbinger wie gefelt dir das.


3. Der felbinger sprach, ich bin so fein,

aus mir macht man die langen zeun,

Wol umb das korn und umb den wein,

davon wir uns ernehren.

puxbaum wie gefelt dir das.[335]


4. Der puxbaum sprach ich bin so fein,

aus mir macht man die krentzelein,

Mich tregt auff manche schöne jungfraw

mit freuden zu dem tantze.

felbinger wie gefellt dir das.


5. Der felbinger sprach ich bin so fein,

aus mir macht man die mülterlein,

Mich tregt manche schöne jungfraw

die metzger auff die bäncke.

buxbaum wie gefellt dir das.


6. Der puxbaum sprach ich bin so fein,

aus mir macht man die löffelein,

Mit silber und rotem gold beschlagen,

thut mich für die besten tragen.

felbinger wie gefellt dir das.


7. Der felbinger sprach ich bin so fein,

aus mir macht man die fässelein,

In mich thut man den besten wein,

rot welsch und malvasire.

puxbaum wie gefellt dir das.


8. Der puxbaum sprach ich bin so fein,

aus mir macht man die becherlein,

Aus mir trinckt manche schöne jungfraw

mit jrem roten mündlein.

felbinger wie gefelt dir das.


9. Der felbinger sprach ich bin so fein,

aus mir macht man die sättelein,

Auff mir reut mancher guter gesell

wol durch den grünen walde.

buxbaum wie gefellt dir das.


10. Der puxbaum sprach ich bin so fein,

aus mir macht man die pfeiffelein,

Mich pfeipfft mancher guter gesell

im feld wol in den kriegen.

felbinger wie gefelt dir das.[336]


11. Der felbinger sprach ich bin so dratt,

ich steh dort mitten in der matt,

Und halt ob einem brünlein kalt,

daraus zwey hertzlieb trincken.

puxbaum wie gefelt dir das.


12. Der puxbaum sprach bistu so recht,

so bistu mein herr, und ich dein knecht,

Der sach gib ich dir aller recht,

das spiel hastu gewunnen.


Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 335-337.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon