Scena 4.

[66] Sophia. Memphus. Nimrodus. Maestidicus.


MEMPHUS.

Ach, dass ich armer alter man

Die zeit noch sol erlebet han,[66]

Dass ich mein Sohn fur mir seh tod.

Ess wer Ja gnug an dieser noth,

Dass ich fur etlichn Jarn zuvorn

Mein liebe Ehfraw hab verlorn

Vnd muss also ein Widwer sein.

Nun aber bin ich gar allein.

Einn trost ich Ja noch hatte zwar,

Weil noch mein sohn beim leben war.

Derselbe ist nun auch dahin,

Dess ich gar hoh bekümmert bin.

Wer wil mir nun zu troste Komn,

Weil den der Tod hat hingenomn?

Mein tag muss ich verzern in leid

Vnd sterben hin fur rechter zeit.

Dess leids Kan ich mich nicht entschlagn,

Biss man mich wirt zu grabe tragn.

So lang muss ich im leid nun sein,

Dess müss sich Godt erbarmen mein.

Vnd wolte Godt ich sturbe Schon,

So blieb ich bei meim lieben Sohn.

Ess wirt mit mir nicht wehren lang,

So ist mir in meim hertzen bang.

Abr dennoch ich nicht gerne Wolt,

Dass man noch lenger warten solt

Vnd hie die Leiche lassen stehn.

Die bgrebnuss nun muss balt angehn.

Der Mittag ist schon lang furbei,

Ich halt dass's vmb vier Vhr balt sei.

Nach vieren ists gebreuchlich nicht,

Dassman den begrebnuss noch anrichtt.

Dass wisset ihr auch selbest wol,

Drumb man nicht lenger harren sol.

NIMRODUS.

Ach Memphe, zwar ihr saget recht,

Dass man sie balt zu grabe brecht.

Doch weiss ich nicht fur grossem schmertzn

Wass ich thu, So geht mirs zu hertzn.

Jedoch wolln wirs balt fangen an,

Weils doch nicht anders werden Kan.

SOPHIA.

Ach höret doch: wass dunckt euch Rath?[67]

Sol den ihr bitt auch haben Stat,

Dass sie beinander werdn begrabn?

Von mir solln sies erlanget habn.

Ich Kans ihnn nicht versagen zwar,

Weils Ja ihr letzste Bitte war.

Ich bitt, ihr wollts auch geben nach.

MAESTIDICUS.

Ach Nachbarin, thut doch gemach,

Ess ist zuuor Ja so beschlossn.

Sie werdens nicht vmb wieder stossn.

Zu dem ichs auch bestellet hab,

Dass So gemachet ward dass grab,

Dass sie beinander Kanten schlaffn,

Drümb macht euch drin gar nichts zu schaffn.

MEMPHUS.

Dess Kan man sie Ja wol gewern

Auff ihre Bitt vnd letzts begern.

Abr lasst vnss sie zu grab nur bringn

Mit ernstem gbed vnd psalmen singn.

MAESTIDICUS.

Ess ist hoh zeit, lasst vns nur gehn,

Ess Kan doch anders nicht geschehn.

Drumb Tragt's herauss, wir folgen nach,

Dass Balt geendet werd die Sach.


Quelle:
Drei deutsche Pyramus-Thisbe-Spiele. Tübingen 1911, S. 66-68.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon