Sechste Szene

[216] Vorige. Sidonie und Hedwig, aus dem Trakte.


HUTTERER. Hedwig, gib dem Herrn Klavierlehrer den Hut!


Hedwig, die den Hut in Händen hat, hält ihn mit leisem Zittern Frey hin.


HUTTERER. Na, nehmen S' ihn! Zu Hedwig. Dieser Herr wird unser Haus nicht mehr betreten. Du kannst dein Klavierspiel als aufgegeben betrachten; es sind dabei Saiten angeschlagen worden, die mir nicht behagen. Überhaupt wird nunmehr jedes Spiel für dich ein Ende haben, und der Ernst des Lebens wird an dich herantreten. Sieht Frey, der noch immer auf selbem Flecke steht. Ja – gehorsamer Diener!


Frey grüßt stumm und schreitet gegen den Trakt.


HUTTERER. Wohin denn wieder?

FREY. Meine Zigarrenspitze muß auf dem Piano liegengeblieben sein.

HUTTERER. So holn Sie's. So a vergessener Ding, das ging ein noch ab. Zu Hedwig. Also, wo sind wir stehngeblieben? Ja, der Ernst des Lebens wird an dich herantreten, du wirst deine Bestimmung erfüllen – kurz und gut, ich hab eine Partie für dich, an der nichts auszusetzen ist, tu mir also den Gefallen und setz auch daran nix aus!


Frey erscheint im Hintergrunde an der Türe.


SIDONIE. Mach das arme Kind nicht verzagter, als's schon is! Sag doch, wer, damit man weiß, wo es hin will.

HUTTERER zu Hedwig. Du kennst den jungen Stolzenthaler?[216]

SIDONIE. Was, der Stolzenthaler? Ah, das ist etwas anderes!

HUTTERER. Gelt, da schaust?

SIDONIE. Du denkst halt doch auf dein Familie. Umarmt Hedwig. Kind, du wirst die reichste Frau am Grund.

HEDWIG. Verlang ich's?

HUTTERER zu Hedwig. Also, ich bitt mir eine Antwort aus. Kennst du den jungen Stolzenthaler?

HEDWIG. Ich hab ihn nur paarmal flüchtig gesehn.

HUTTERER. So nimm dir die Zeit und schau dir 'n gehörig an. Ich hab seine Photographie mitgebracht. Hat ein Bild aus der Tasche gezogen, das er ihr aufdrängen will. Da!

HEDWIG wehrt ab. Ich danke.

HUTTERER. Mach keine Geschichten!

SIDONIE macht hinter Hedwigs Rücken Zeichen entrüsteter Abwehr. Pfui, Anton!

HUTTERER wirft einen Blick auf das Bild. Oh, sapperlot, das is a verbotene – vom Hausierer. Steckt es rasch ein, zu seiner Frau. Es war halt gestern so a bissel lustig. Zu Hedwig. Du willst das Bild nicht sehen! Gut, kriegst es auch nicht zu sehen! Zu Sidonie. Es war halt gestern so a Abend. – Zu Hedwig. Du nimmst ihn ungschaut. Punktum!

SIDONIE streng. Na, jetzt laß das Kind erst zu sich kommen!

HUTTERER sehr zahm. Na, wie du halt glaubst, meine liebe Sidi! Ich mein nur, so stark wird s' doch sein, daß s' ja oder nein sagen kann.

SIDONIE. Sie wird's schon sagen. Laß mich nur machen, sie wird ja sagen. Nicht wahr, mein Herzbinkerl? Schmeichelt ihr. Du wirst a Leben haben als Frau von Stolzenthaler, und dabei wirst auch unser höchste Freud sein; es kost dich nur a kleinwinzigs Wörtel. Na, druck die Äugerln zu, machs Goscherl auf und sag ja.


Frey ist durch das Gittertor getreten und schlägt es jetzt hinter sich zu.[217]


HEDWIG aufschreckend. Nie!

HUTTERER. Was?

SIDONIE. Aber, Kind!

HEDWIG laut. Ich laß nicht von Robert! Sieht nach dem Gittertor.

SIDONIE. Hedwig!

HEDWIG. Er wird auch mich nicht verlassen!


Wieder mit einem Blicke nach dem Gittertore.


HUTTERER kommt vor Aufregung erst allmählich zu Atem. Das getraust du dir uns, deinen Eltern, gegenüber? – Das muß man sagen, du hast eine saubere Erziehung genossen! – Aber den Menschen hast du in sein Verderben geredt – auf alle Fälle, wie d' dich a besinnst, der muß unschädlich gmacht werdn – schau dir 'n in zwei Monaten an – in kein Haus, wo ich aus- und eingeh, mehr a Lektion!

HEDWIG mit gefalteten Händen. Vater!

HUTTERER. Das geschieht ihm! Aus ist's! Und du besinn dich, was du deinen Eltern schuldig bist. Ein Gehorsam, verstehst? Eltern wissen allemal besser, was den Kindern taugt, und müßt ich dich zwingen, so würd ich dich auch zu dein Glück zwingen. Du sollst es auf der Welt besser haben als wie wir, dafür sollen eben die Eltern sorgen, daß es den Kindern immer um a Stückl besser geht, als es ihnen selber ergangen is. Da an der Stell hat das vor kurzem noch unser Hausmeister gesagt – und ich werd doch als Vater nit gegen ein Hausmeister zurückstehen! Komm, Sidi, laßn wir s' jetzt gehn. Sie soll sich das ganz alleinig überlegn.


Geht voraus nach dem Trakt.


SIDONIE. Liebs Kind, von dem Klavierlehrer kann jetzt keine Red mehr sein, der Vater ist zu aufgebracht gegen ihn, tu dem armen Menschen nit noch schaden, gib ihn auf, dann wollen wir schon machen, daß das wegen dö Lektionen nur geredt bleibt. Sei gescheit!

HUTTERER. Red ihr nit viel zu. Sie soll von selber darauf kommen![218]

SIDONIE. Sie wird schon gescheit sein.

HUTTERER. Ich will's hoffen.


Beide in den Haustrakt ab.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 216-219.
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