Elfte Szene

[254] Resi, Stolzenthaler, Hutterer und Sidonie.


STOLZENTHALER von außen, anpochend. Hedwig! – Mach auf! Wir sind's! Trommelt an der Türe. Aufmachen, sag ich!

RESI stürzt aus der rückwärtigen Türe. Jesses, der gnä Herr is hnausgsperrt! Sie öffnet.

STOLZENTHALER. Wo is die Frau?

RESI. Grad war d' Gnädige noch da.

STOLZENTHALER erblickt das Taschentuch am Fenster, stürzt hinzu. Ah!!

SIDONIE. Was bedeut denn das?

STOLZENTHALER. Das bedeut, daß mir mein Weib durchgangen is. Aber –


Will fort.


HUTTERER hält ihn zurück. Warten S' a bissel. Zu Resi. Net herumstehn, marsch aufs Dienstbotenzimmer!


Resi ab.[254]


HUTTERER. Jetzt, Herr Schwiegersohn, können wir reden. Was da a vorgfalln is, nehmen S' mein Wort, daß mein Kind zu seiner Pflicht zrückkehren wird; aber kein Aufsehn, kein Skandal, das bitt ich mir aus!

STOLZENTHALER. Ah, Herr von Hutterer, Sie wissen Ihnen ja gewaltig in Respekt z' setzen, da könnt ja am End a wahr sein, was Ihre Tochter sagt! – Wir habn ein Attack ghabt, weil ich dö Brief bei ihr gfunden hab –

SIDONIE. Jesses, das unvorsichtige Kind!

STOLZENTHALER. Und sie hat mir gsagt, sie hätt mich nie mögen, zwungen wär s' worden.

HUTTERER. Unsinn, zugredt hat mer ihr halt, wie Elternpflicht is!

STOLZENTHALER. Dank schön für d' Auskunft. Großartig. Wenn Sie Ihre Tochter wiedersehen, so sagn S', ich laß s' grüßen, und jetzt willige ich in die Scheidung; aufzwingen tut sich der Stolzenthaler niemand, dös tut er net!

HUTTERER. Aber, Stolzenthaler ...

STOLZENTHALER ohne auf ihn zu hören. So ist's also wahr!? Schlägt die Hände ineinander und ringt sie nach dem Boden, vor Wut weinend. Jesses und Josef, das muß mir gschehn, 'm Stolzenthaler, wo sich Hunderte – was Hunderte? – wo sich Tausende glücklich schätzen wurden, da muß grad ich auf eine treffen, die mein Anwert gar nicht z' schätzen weiß! – Herrgott, jetzt sitzen wir alle da, und kein is recht gschehn. Dö is petschiert samt ihrm Feldwebl, ich bin's aber a! Und wenn ich jetzt gleich eine find, kann ma a jede bereden, daß s' mit ein nach Ungarn abi rennt und unitarisch wird, wann ihr etwa vor derer Prozedur graust!?

SIDONIE. Anton, ich bitt dich, halt dich net auf, verliern mer kein Zeit, suchn wir das unglückliche Kind!

STOLZENTHALER schnellt ein paar Schritte nach dem Fenster zu. Ja, ich bitt, da suchen Sie s', so weit die Au liegt; können lang herumrennen. Viel Vergnügn! Zurück.[255] Ah, Sie können's gar net verantworten, das eigene Kind in Jammer stürzen und noch fremde Leut mitverbandeln, und dös alles, mein lieber alter Herr, dös war so rein unnötig – aber so ganz unnötig!


Wirft sich in einen Stuhl.


HUTTERER gebeugt. Es war unnötig! Komm, Sidi! Er faßt seine Frau an der Hand, und sie wenden sich zum Gehen.

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 254-256.
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