II

[301] Waren sie heute neugierig gewesen im Ort! »Horch, was ist das?« und »Horch, was mag's sein?« hieß es schon frühmorgens, denn überm Berg drüben hat es so gepfustert und gerädelt, als ob eine Eisenbahn wär – so sagten nämlich einige, die schon eine solche probiert hatten.

Der Ort lag im Tal, und hinter den Bergen fing ein hübsch groß Stück Flachland an, dort war es, wo es heut nicht recht geheuer schien, aber wie groß auch die Neugier sein mochte, es ging eben ans »Schneiden«, und da hatte keines Zeit für einen halbstündigen Aufstieg oder gar um den Berg herum anderthalb Stund nach der Ausmünd zu rennen und in die Ebene zu gaffen.

Um Mittag zur Rastzeit erst kamen ein paar zurück, die eher ihrer Neugier ein Opfer bringen konnten, da sie gar nichts zu schaffen wußten. Die alten Ausnehmer, der Lepold und sein Weib, waren schon frühmorgens die Straße dahingehumpelt, wobei sie den Weg mit ihren Stöcken schlugen – wahrscheinlich, weil es ihnen nicht nach Wunsch vorwärtsging –, der aber kehrte sich gar nicht daran, blieb ruhig liegen, so lang er war, tat wohl gar boshafterweis manchmal unversehens ein Loch vor den alten Leuten auf, in das sie sodann mit kindischem »Hopperla« regelmäßig hineinstolperten.

Und als die beiden endlich doch, abgehetzt und hundemüde, das Talende erreichten und vor sich in die weite Fläche hineinlugten, da kannten sie sich noch weniger aus. Denn dort und da stieg über den Feldern kohlrabenpechschwarzer Rauch auf, es gab aber gar keinen Feuerlärm von all den Kirchtürmen ringsum in der Weite, und dazu pfusterte und rädelte es fort und fort. Eisenbahn war über Nacht keine ins Land gekommen – nein, nein, das geht nicht so schnell, das hatte ihnen einer gesagt, der selbst an einer solchen mitgegraben und geschaufelt hatte.

»Nun, und was ist's denn?« und »Was war's denn nachher?«[301] fragten die Leute, nachdem sie den verwirrten Bericht gehört hatten.

Da waren ihrer zwei am Ort, die sich heute schon oftmal mit einem überlegenen Blinzeln angesehen hatten, und das war der reichste Bauerssohn und das ärmste Dorfkind. Der eine so reich und der andere so arm, daß ihnen das an ihre Rufnamen angehängt wurde, und so hieß der eine »der reiche Lois« und der andere »der arme Melcher«. Und sonderbar, der arme Melcher wußte es so gut wie der reiche Lois, was da überm Berg vorging, und wenn er's aus Bescheidenheit oder Demütigkeit vor den andern nicht aussagte, so war doch der reiche Lois, so gern er sich auch sonst überheben mochte, diesmal auf die Bekräftigung seiner Worte durch den armen Melcher angewiesen.

Als es vorm Jahr hieß, »in Wien hätten sie alles, was in allen vier Enden der Welt gearbeit, gehandelt und gebaut würde, unter ein großes Dach gebracht, und da könnt jeder hineingehn und sich's anschaun«, da litt es weder den reichen Lois noch den armen Melcher mehr daheim, der eine ließ sich von seinem »Alten« das Reisegeld und einen schönen Zehrpfennig geben, der andere hat sich bis Wien durchgebettelt und dort Verwandte – der Himmel weiß wohl, wievielten Grades! – aufzufinden gewußt; ob es denen zur großen Freude geschah, tut nichts zur Sache, eine Woche herbergten sie ihn doch.

»Was wird's sein?« sagte der reiche Lois und streckte sich, so hoch er war, und sah stolz um sich. »Was wird's sein? Der Ökonomiker, der Herr Graf entern Berg, schneidt mit Dampf – nit wahr, Melcher?«

Melcher nickte bekräftigend so leichthin mit dem Kopfe, als wäre das »Schneiden mit Dampf« der geringsten Kleinigkeiten eine, die er zu bestätigen wüßte, lohn sich kaum der Müh und wüßte »ihrer einer« noch gar andere Sachen.

»So, so«, sagten die, die ins Tagwerken gingen. »So, so«, und schüttelten die Köpfe. »Kämen s' richtig schon mit den Malefizmaschinen angerückt?«[302]

Sie zweifelten gar nicht an dem, was der reiche Lois aussagte, sie hatten schon lange gefürchtet, davon hören zu müssen, und nicht nur, was der Mensch hofft, auch was er fürchtet, glaubt er leicht!

»Schneiden mit Dampf?« sagten die andern, denen die Sache nicht so naheging, und schüttelten zweifelnd die Köpfe.

Das war dem reichen Lois an die Ehr gegriffen. »Ihr Fexen, seid ihr dabeigewesen wie unsereins, daß ihr so redt? Schneiden mit Dampf? – Warum nit? Man pflügt, man säet, man schneidt, man drischt mit Dampf! Meint man doch nit, man könnt seinen eigenen Augen trauen, wenn man's mit ansieht, was man alles betreibt mit Dampf! Spinnt und webt man nicht, wäscht und mahlt man nicht, und weiß was sonst noch, alles per Dampf? Gelt, Melcher?«

Melcher nickte wieder bekräftigend und sagte aus: man pflüge, säe, schneide, dresche, spinne, webe, wasche und mahle, und weiß was sonst noch, alles per Dampf.

»Schaut man so eine Maschin«, fuhr der reiche Lois fort, »glaubt man erst, das sei ein wahrer Höllspuk, aber sieht man näher zu, kriegt die Sach Händ und Füß und Kopf obendrein. Seht, obenaus geht der Rauch von der Feuerung in die Höh« – Lois zeigt dabei nach seinem Hut, um den Leuten den Schlot der Maschine zu versinnlichen –, »und hintenaus entweicht der Dampf.« – Alle drängten sich herzu, um die Erklärung recht würdigen zu können, und betrachteten sich die bedenkliche Stelle, wo nach der Versicherung des Sachverständigen »der Dampf entweiche«, und ihre Zweifel wurden wankend.

Als aber gar der Lois ihnen zeigte, wie zur Seite rechts und links an langen Stangen die Sensen ins Korn hineinfahren und, während die Maschine langsam vorwärts sich bewege, herumfuselten, solange noch ein Halm auf dem Acker stünde, und als er bedauerte, ihnen das nur mit seinen zwei alleinigen Armen vormachen zu können, da der Sensen rundum wohl an fünfzig oder hundert, wenn nicht gar mehr wären, und als sich in dieser Not der Melcher ihm anschloß[303] und beide gar belehrend, mit den Armen fuchtelnd, über das Feld hinschritten, da zweifelte keiner mehr, die Mähmaschine stand leibhaftig als unantastbare Tatsache vor ihnen. Ganz unbestritten wie der Telegraph und ebenso einleuchtend wie der, so was Alltägliches, daß eigentlich keiner zu sagen wußte, warum ihm das nicht schon längst selbst eingefallen sei, obwohl keiner seinem Buben widersprach, wenn der gelegentlich die Meinung an den Tag legte, daß an den langen Drähten gezogen würde und die Depeschen demnach aus lauter kleinen »Ruckerln« bestünden, die der Beamte am Arm oder Fuß, wo der Draht eben befestigt sei, verspüre.

War das Bescheidenheit, um vor den eigenen Kindern nicht mit dem Besserwissen zu prunken? Ach, die meisten Leute lassen sich noch heuttags die ungereimtesten Wunder, die niemand und nirgends erlebt, als glaubwürdig einreden, und an denen, inmitten deren wir leben, gehen sie gleichgültig vorüber; da seht zu, denn das sind lauter begreifliche Wunder, und da ziehet fromm den Hut, denn das hat der Menschengeist erdacht und errungen, und das ist Geist von eurem Geiste, und der heitere Stolz, der euch beschleicht, wenn ihr still vor euch hinsagt: »Das hat der Mensch erdacht!« – das ist der Gruß Gottes an die strebende, ringende Menschheit!

Mittlerweile aber ging es gar sonderbar auf dem Felde zu, wo der reiche Lois und der arme Melcher den Leuten die Mähmaschine vormachten, denn nicht lange währte es, so fühlte jeder große Lust, zu zeigen, daß an ihm die Belehrung nicht nutzlos aufgewendet worden wäre und daß er das Ding jetzt schon »weg« habe, und so schloß sich erst einer, dann der andere dem voranschreitenden Lois an, und bald schritten alle Mannleute in einer langen Kette hinter dem Führer daher und fuchtelten also anschaulich mit den Armen, und da waren jetzt wirklich rundum wohl an fünfzig oder hundert, wenn nicht gar mehr, Sensen in Arbeit, und so mähten sie über das leere Feld, daß es eine Freude war.

Ja, wenn einer was Neues lernt, so ohne Müh, das gibt[304] viel Lust und Freud, und geht nichts über einen wackeren Lehrmeister, etwa wie der reiche Lois einer war.

Abseits standen die Weibsleute und wußten nicht, sollten sie lachen oder erschreckt tun, denn die Männer arbeiteten sich ganz rechtschaffen ab, freilich ohne Nutz, und taktweis war's immer ein Streich, wenn ihre Arme durch die Luft fuhren, und keiner zeigte eine Falte im Gesicht – der Augenblick war zu ernst.

Himmel, wie erschraken sie, und wie fuhr die Kette auseinander, als plötzlich ein greller Pfiff ertönte, als sollte es der Maschine an gar nichts fehlen.

Da war mit einmal die ganze Maschine hübsch in alle Teile zerlegt. – Die Weiber lachten wie toll, und der letzte, der sich unbemerkt dem Zuge angeschlossen, der fuchtelte noch fort und fort mit den Armen, schnaubte und stieß dann wieder jenen erschrecklichen Pfiff aus.

Jetzt aber lachten alle und riefen: »Der Steinklopferhanns!«

Der war es auch, er ließ jetzt die Arme sinken, stellte die Arbeit ein und sagte: »Grüß enk Gott! Ich hab schon gmeint, ös seids alle miteinander narrisch wordn.«

»Ah na«, sagte einer, »was d' gsehn hast, dös war nur die Mähmaschin von drüben, vom Herrn Grafen, wie s' uns der reiche Lois erklärt hat.«

Man sieht, Undank ist der Welt Lohn; daß der arme Melcher sie mit aufgeklärt hatte, daran dachte keiner mehr.

»Ah«, sagte der Steinklopferhanns, »dös war also die Mähmaschin!? Na, is a a schöns Gspiel!«

»Ich find nix Lustigs an so einer Maschin«, sagte ein Tagwerker, »dös bringt uns noch um unser Brot; was verbleibt uns hernacher? Dem feurigen Untier nachrennen und die Garben binden. Selb werden s' a bissel Müh nennen gegen früher und a nur a bissel Lohn zahln wolln dafür.«

»Freilich wohl«, sagte der Lehner-Ferdl, das war auch einer vom Tagwerk und nebenbei im ganzen Ort als verwegener Bursch bekannt, war keine Rauferei oder kein Unfug[305] ohne ihn. »Freilich wohl«, sagte der, »so kommt's und anderscht nit. Ich wüßt, was man tun sollt, aber ös seids lauter Letfeign, und eins allein richt da nix. Hinüber sollt man, mit des Grafen Tagwerkern sollt man reden, mit ihnen übereins werden und die höllischen Maschinen herausholen ausm Stadel und zurichten, daß s' kein Teufel mehr auf gleich bringt.«

»Und d' Schandarmerie?« warf einer bedenklich ein.

»Ho«, sagt der Lehner-Ferdl, »wegen der besinn ich mich nit lang, bis die kommt, ist die Tenne rein, dö Arbeit vorbei; folgts mir, dö solln die wenigsten von uns erwischen. Mir wolln keine Maschinen, hitzt is's Zeit, daß man ein Weiser gibt, eh's zu spat wird und zviel schon in der Gegend sein, als daß man s' auf ein Streich abtun könnt. Nit wir Taglöhner allein, a Bauersleut vom alten Schlag mögen die Maschinwirtschaft net. Arbeit so ein Großer billiger, so druckt er alle Klein mitn Preis.«

»Wohl, wohl«, sagten mehrere, die kleine Wirtschaften hatten.

»Wer weiß, was uns so a Maschinzeit alles noch brächt? Hat's doch der reiche Lois selber gsagt, man traut sein eignen Augen kaum, was man hitzt alles mit Dampf betreibt.«

»Was frag ich darnach«, sagt der Steinklopferhanns, »eins können s' doch nicht mit der Maschin!«

»Was?« fragte der Lehner-Ferdl.

»Leut in d' Welt setzen«, sagte der Steinklopfer.

»Du bist allweil der unzeitig Spaßmacher«, schrie der Lehner-Ferdl. »Allmal! Mit dir können s' auch noch fertig werden, die Steiner werdn s' doch mit Dampf verschlagen können?«

»Täten's vielleicht eh schon lang«, lachte der Steinklopfer, »wann sich nur die Kohlen dafür auszahleten. D' Maschin kann doch nit, wie ich, nebenher betteln oder ins ›Basteln‹ und Aushelfen gehn?!«

»No spaß du, no spaß du«, ärgerte sich der Aufhetzer.

»Besser ein lustiger Spaß als ein trauriger Ernst«, sagte[306] der Hanns, »wie einer is, in den du die Leut hineinhetzen möchst! Dir wär doch nur zu tun um den Wirrwarr und um das Gaudium, wenn alles drunter und drüber ging, soweit kenn ich dich, und wenn du sagst, die Schandarm sollten die wenigsten fangen, so mein ich selber, daß sie nur die gringsten erwischen möchten, du wärst schon lang übers Eck. Und was wär leicht damit gericht? Kämen die Maschinen deßtwegen nicht ins Land? A wohl, wer s' braucht, der ruft s', und da sind s'. Halt einer ein Eisenbahnzug auf! Der bringt s' hergeführt, und wollt s' unsereiner habn, so a Maschin, möcht's keinm gfallen, wenn man ihm's möcht in Übel aufnehmen, daß er sein Geld drein legt. Aber Blitz hnein, was red ich euch, mir liegt kein Maschin net auf, und euch tut sie's auch nit. Ös Lalli, verstunds was davon, so wüßts, selb kann 'm Grafen drenten von Nutz sein, aber da für kein Bauer gibt's a Maschin, die überm krumpen Erdboden, über die Lehnen und Anstieg hinauf und hinunter was ausricht. Kind und Kindskinder verlebn wohl noch euer Tagwerkerlebn, für dös ös enk so wehrts, eh dös anderschter wird. Aber nachater kimmt a Zeit, wo noch kein Mensch a Idee hat davon als wie ich, der Steinklopferhanns, denn mir is's die vergangene Walpurgisnacht aufgangen wie dös Buch mit die sieben Siegeln; no, ös wißts, ich bin a Neusonntagskind, für unsereins hat's kein Geheimnis in die Rauhnächten, 's ganze Jahr über und darnach a noch net.«

Einige stießen sich leise mit den Ellbögen an und lachten einander zu, andere aber, die noch abergläubig waren, blickten beinahe ehrfürchtig auf den Steinklopferhanns hin, da er versicherte, daß es für ihn kein Geheimnis habe, »'s ganze Jahr über und darnach a noch nit«. Da aber der Hanns während dieser Zeit des ehrfürchtigen Schweigens das Maul zutat, als ob er's nimmer aufmachen wollte, so fiel diesen gläubigen Seelen ein Stein vom Herzen, als ein vorlauter Bursche aus der Zahl derer, die meinten, der Hanns sollte eigentlich Prahlhanns heißen, mit der Frage losbrach: »No, und was war denn zu Walpurga?«[307]

»Bist recht vorlaut für dein Alter«, sagte der Steinklopfer. »Was geht's dich an? I mag's seit der Zeit nit leiden, daß man über d' Maschin schimpft.«

»Verzähl doch, Steinklopfer, verzähl«, rief es jetzt von allen Seiten.

»Dös hab i mir eh denkt«, sagte der Angerufene, »daß ös mir wieder eine von meinen wahrhaften Gschichten rausbrateln wöllts, um hinterdrein z' sagn, es wär alles derlogn und austipfelt. Gleichwohl liegt mir nix dran. Losts zu.«


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 301-308.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Märchen des Steinklopferhanns
Die Märchen des Steinklopferhanns und andere Erzählungen

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon