XIII

[139] An einem der nächsten Abende kam die Kleebinderin zur alten Matzner gelaufen. In der rückwärtigen Kammer, auf einer Gewandtruhe, neben dem Fenster, durch dessen blauen, rotgeblümten Vorhang die Strahlen der untergehenden Sonne brannten, saßen die beiden Weiber, und ihre einander zugekehrten Gesichter erschienen halbseitig wie blau und rot tätowiert. Sepherl kauerte auf einem Schemel im Winkel und horchte wundernd zu.

»Ich kenn mich nit aus, Matznerin«, klagte die Kleebinder, »nit um die Welt kenn ich mich aus. Schon 'n frühen Morgen kommt das Mensch an 'n Zaun und ruft dem Bubn ein Gruß zu, und dann geht das Hin- und Hergelauf an. 'n Tag über rennt s' alle Daumlang herzu und zärtelt und läppelt mit ihm, daß einm vom Anschaun nit gut werdn könnt, und 's Ganz is am End doch nix wie Falschheit, denk ich! Laßt sie sich einmal a Weil länger nit blicken, so schleicht ihr der Lapp nach, wie scheu er auch sonst gwest is; sie muß 'n rein behext habn!«

»Wär nit unmöglich«, nickte die Matzner, »die Dirn is mir nit z' gut für so Praktiken, und ihr Mutter weiß wohl auch dazu Rat, die schaut nit umsonst aus, wie wann s' afm Besen reiten könnt; aber was half's, wann mer's gleich z' beweisen vermöcht, wo s' heuttags in den Grichten nit mehr drauf glauben?!«

Sepherl schüttelte seufzend den Kopf – nicht über den Unglauben der Gerichte, sondern weil sie bedauerte, daß bei der Gottlosigkeit so wirksamer »Praktiken« eine brave Dirn an deren Anwendung gar nicht denken durfte.

»Ich sag dir, Matznerin«, fuhr die Kleebinder eifrig fort, »ich werd noch krank vor Ärger. Jedn freien Augenblick, den s' habn, stecken s' beieinander, und wann s' kein habn, so machen sie sich ein. Ging eins verloren, wär nur d' Möglichkeit, daß mer's mitm anderm zsamm fänd; aber dafür niemal keine, daß du s' auseinander brächtst! Und bei all dem[139] Getu und Getreib, wo sie sich eh kaum ausn Augen kommen, begreif ich nit, warum s' 'n Tag völlig gar nit erwarten können, wo's zur Kirchen geht.«

»Wann soll denn d' Hochzeit schon sein?«

»Nach ihrn Redn, heut über vierzehn Tägn.«

»Dös geht ja nit. Wo blieb denn da 's kirchlich Aufgebot von der Kanzel, drei Sonntäg hintereinander?!«

»Sie lassen sich ein für allemal verkünden.«

»Das geht ja nit.«

»Aber mitm Dispens.«

»Mitm Dispens? Ah, freilich wohl! Schau, mer muß sich nur z' helfen wissen. Ehnder hat man gsagt, 's ging was so schnell wie mit der Post, neuzeit mag mer wohl sagn, wie mit der Eisenbahn. Hihihi!«

»Mein liebe Matznerin, ein Fremds hat da leicht lachen. Du steckst eben nit in meiner Haut und weißt nit, wie mir is. Dank du Gott dafür!«

»Mein liebe Kleebinderin, sei nit harb, ich hab ja nit über dich glacht, sondern über dö.«

»Glaub dir's, glaub dir's schon. Ich biet doch auch kein Anlaß dazu, hitzt, wo sich mein einzig Kind von mir abwendt und ich mir fremd wo ein Unterkunft suchen muß.«

»Aber Kleebinderin – –«

Diese war mit der Schürze vor den Augen aufgestanden.

Sepherl eilte herzu. »Das laßt der Muckerl niemal gschehn.«

Die alte Frau ließ das Vortuch sinken. »In derselben Wirtschaft, was dann anhebt, kann ich nit bleiben und mag auch nit!« Sie streckte die Hand zum Abschied hin. »Nun mach ich euch weiter keine Unglegenheit, bhüt dich Gott, Matznerin.«

»Behüt dich Gott, Kleebinderin! Sepherl, begleit s' heim, d' Kleebinderin! Jesses, jesses, hat mer oft im Alter ein Kreuz, woran mer jung gar nit denkt.« Über diesen unstreitigen Erfahrungssatz verfiel die alte Matzner, während sie den Davongehenden nachblickte, in ein chronisches Kopfschütteln.[140]

Sepherl schritt neben der Mutter des Holzschnitzers einher, und da diese unterwegs nicht zum Sprechen aufgelegt schien, so beschränkte sich die Dirne darauf, von Zeit zu Zeit zu versichern, all das jüngst Geschehene wär »schon aus der Weis – ja völlig aus der Weis tät's sein«.

Als die beiden die Hütte erreichten, fand gerade in dem Rahmen eines offenstehenden Fensters ein schäkerndes Gebalge zwischen Helene und Muckerl statt. Die Dirne drohte dem Burschen, sie werde ihn beim »Schüppel« nehmen, und er vermaß sich »bei seiner Seel«, wenn er sie bei den Händen zu fassen kriegte, ihr alle Finger auszudrehen oder ihr den kleinen wurz abzubeißen.

Sepherl machte die wunderndsten Augen. Alle Finger will er der ausdrehen oder 'n klein wurz abbeißen! Schau, das hätt sie ihm gar nie zugtraut, daß er vermöcht so – zärtlich z' tun!

Als Muckerl der Herankommenden ansichtig wurde, rief er: »Grüß Gott, Mutter! Gutn Abend, Sepherl!«

»Je«, sagte die Helen, »Sepherl, was machst denn du da?«

Was sie da mache? Sie, die da unterm Dach schwere Zeiten hat tragen helfen? Und das fragt die, welche dieselbn herbeigführt hat und ihr jetzt bei gutem Wetter wieder breit die Tür verstellt! Oh, wie das hochmütig und höhnisch war! – Dafür nahm es die eifersüchtige Dirne, und ihrem Empfinden nach hatte sie recht; Helene aber dachte nicht, daß so ein unbeholfenes, unschönes Ding sich einbilde, man könne ihm ernstlich übelwollen oder überhaupt gegen es hochmütig sein. Sie hatte, ohne eine Antwort abzuwarten, die Neckerei mit dem Burschen wieder angehoben.

Sepherl stemmte den einen Arm in die Seite und schüttelte den andern gegen das Paar. »Galsterts nur nit gar soviel«, rief sie kichernd, »sonst habt ihr's mit d' Bauern z' tun, dö brauchen hitzt schön Wetter, und wann Kaibeln raufen, kimmt bald ein Regen!« Damit lief sie fort, und oft schlug sie mit der geballten Rechten in die flache linke Hand und lachte: »Dösmal hab ich ihr's gebn! Ah, ich laß mich nit[141] feanzen! Dösmal hab ich ihr's ghörig gebn!« Zwar hat sich der Muckerl auch ihre »spitze Red« gefallen lassen müssen, dem war nicht abzuhelfen, aber rechtschaffen freuen tat es sie nur, der hochmütigen Dirn eins angehängt zu haben.

In ganz Zwischenbühel wunderte man sich darüber, »wie der Herrgottlmacher mit der Zinshofer Helen so gschwind wieder übereins hat werden können«, und besonderes Aufsehen machte es, »daß's den zwein Leuteln mitm Hochzeitmachen so unmenschlich eilt«. Auch im Pfarrhofe kam die Rede darauf.


Die Zwischenbüheler Kirche war gar klein geraten, man hatte sie, seitab der Straße, auf den Hügel hingebaut, und eine ziemliche Anzahl niederer, breiter Stufen, für altersmüde Beine vorgesehen, führten zu ihr hinan, und eine eiserne, längs der Wand festgenietete Stange leitete die zitternden Hände.

Rechter Hand umfriedete eine verfallene Bruchsteinmauer ein kleines Grundstück, durch die schwarz angestrichenen Latten des Tores sah man tiefgrünen, hügeligen Rasen, aus dem hie und da ein Kreuz ragte. Die Torflügel standen halb zugelehnt, und zwischen den Gräbern graste eine braungefleckte Kuh, sie beschnüffelte eben ein ganz verwittertes Blechschild, das einst jeden, der sich aufs Lesen verstand, davon benachrichtigte, daß hier die Margarete Zauner, genannt »Schluckaufgredl«, Kuhmagd beim Hochleitnerbauer, beerdigt liege. Die kannte vielleicht bei Lebzeiten die Braungefleckte noch als Kalb.

Linker Hand lehnte sich der Pfarrhof an das Kirchlein, klein und unansehnlich wie dieses; zwei Fenster im Erdgeschosse und zwei im Stockwerke und an Stelle des dritten, ober dem Tore, eine Nische, in welcher ein Heiliger stand, von dem unter den ältesten Leuten im Dorfe die Sage ging, es wäre der heilige Pamphilius gewesen, denn dermalen war das Steinbild durch langjährige Unbilden des Wetters so mitgenommen, daß davon nicht mehr übergeblieben als[142] eine höchst fragwürdige Verallgemeinerung menschlicher Gestalt.

Ein kleiner Hofraum, in welchem der Stall für die Braungefleckte stand, und ein schattiges Gärtchen stießen rückwärts an das Haus, dessen niedere Gemächer, man konnte in jedem mit ausgereckter Hand an die Decke reichen, drei Personen bewohnten. Die Stube unten, gleich neben dem Tore, war als Pfarrkanzlei eingerichtet, und die anschließende Kammer, mit den Fenstern nach dem Hofe, hatte ein junger Hilfsgeistlicher inne; im Stockwerke waren diese Wohnräume getrennt und mündeten Tür an Türe nach dem Gange; da hauste der Herr Pfarrer in der Stube und die Pfarrköchin in der Kammer nebenan, aber in Zwischenbühel hatte dessen niemand ein Arg, denn die Pfarr-Regerl war ein überjähriges, langes, dürres Weibsbild; die Bauern meinten, vor der liefe der Teufel davon, wenn sie ihm Karessen mache, und der höllische Erbfeind soll doch sonst nicht heikel sein. Man sagte der Regerl nach, daß sie wie die »teuere Zeit« aussehe und der Herr Pfarrer wie die »gute Stund selber«; er sah auch unter dem kurzgeschnittenen, schneeweißen Haar mit dem gutmütigsten Gesichte in die Welt, über dem zahnlosen, freundlich lächelnden Munde und den rot angehauchten Bäckchen blinkten ein Paar klare, graue Augen, forschend und traulich, selten saß davor, auf dem leicht gebogenen Sattel der Nase, die Brille mit der Horneinfassung, meist schob sie der alte Herr nach der Stirne hinauf, da er ihrer nur zum Lesen bedurfte. Von Gestalt war er ein kleines Männlein, kurz, beweglich, nirgendwo lange standhaltend, was ja auch zu dem Vergleiche mit der guten Stunde paßte, wie jeder bezeugen wird, der eine solche einmal erlebt.

Als vor ungefähr einem Jahre der hochwürdige Herr Leopold Reitler, Pfarrer zu Zwischenbühel, merkte, daß ihm beim Schreiben manchmal die Hand versage und er sich obendrein über einigen Vergeßlichkeiten ertappte, da schritt er bittlich um einen geistlichen Hilfsarbeiter ein, der ihm[143] denn auch nach überraschend kurzer Frist in der Person des hochwürdigen Herrn Kaplans Martin Sederl zugeteilt ward.

Der junge Kleriker war ein hoch aufgeschossener, derbknochiger Mensch, er trug den Kopf, zu dessen beiden Seiten die Ohren fast platt anlagen, auf vorgerecktem Halse, das kurze, braune Haar fiel ihm struppig in die niedere Stirne, in seinem durch die vortretenden Backenknochen und derben Kinnladen auffallend breiten Gesichte verschwand eine kaum nennenswerte Nase und trat dagegen ein schrecklich großer Mund hervor, dessen Lippen über einem Gebiß von langen, stellenweise mißfärbigen Zähnen fletschten, selbst die glänzenden dunklen Augen machten keinen gewinnenden Eindruck, da er sie beständig rollte; mochte er auch durch dieses unvorteilhafte Äußere gegen mancherlei Anfechtungen gefeit sein, so förderte ihn dasselbe durchaus nicht in seinem Berufe und gab erst vor kurzem den Anlaß, daß er in der benachbarten Diözese, wo er in einem größeren Pfarrsprengel wirkte, das Opfer eines unverzeihlichen Mißgriffes geworden war.

Ein Gutsbesitzer fühlte sich sterbenskrank. Für den Mann blieb sonst die Kirche, wo sie war, nämlich zwei Stunden Weges seitab seiner Straße; aber nun gab er dem Andringen seiner Verwandten und Freunde nach und wollte sich, »der Leute wegen«, die »letzten Tröstungen« gefallen lassen. Es wurde also nach der Pfarre geschickt, und dort dachte man, es sei ganz gleichgültig, wen man abordne; war der berüchtigte Freigeist unbußfertig, dann kam ihm keiner recht, und wollte er sich wahrhaft bekehren, so war dazu jeder gut; es wurde daher ohne weiters der Kaplan Sederl samt dem Kirchendiener in die Kutsche gepackt und an Ort und Stelle spediert.

Als der junge Mann allein an dem Sterbelager saß und sich mühte, dem flachen Gesichte einen salbungsvollen, auferbaulichen Ausdruck zu geben, als er das große Maul öffnete und in einem erschrecklichen Deutsch zu sprechen begann, jeden einzelnen Vokal wie einen Doppellaut dehnend und mit Weiche und Härte der Mitlaute ein bedenkliches Wechselspiel[144] treibend, da geriet der Kranke in eine so ausgelassene Heiterkeit, daß der Kaplan bestürzt und entrüstet die Flucht ergriff. Wenige Tage darnach war der Gutsbesitzer auf dem Wege der Besserung, aber in der Pfarrei vermochte man sich dieses medizinischen Erfolges auf Kosten des theologischen nicht zu erfreuen, und man wäre den im Grunde ganz unschuldigen Martin Sederl gerne losgeworden, hätte man nur gewußt, wohin mit ihm; im Konsistorium, wo die Eingaben der beiden Pfarrämter zusammentrafen, ward die eine durch die andere erledigt, und so kam der hochwürdige Herr Kaplan, schneller als er und andere es dachten, nach Zwischenbühel.

Da saß er nun in der dumpfigen Kanzleistube an dem verstaubten Amtstische und las, da er sich vor Langweile nicht auswußte, die Eintragungen in den Kirchenbüchern, was ihn allerdings längere Zeit beschäftigen konnte, da selbe hundertfünfzig Jahre zurückreichten. Fliegen umschwärmten ihn, und wenn sich eine oder mehrere auf seinem Kopfe tummelten und in dem steifen Haar verwirrten, so schlug er mit der flachen Hand darnach; einem Statistiker würde es nicht schwergefallen sein, durch Ermittlung der Ziffer des Prozentsatzes der Getöteten einem Gesetze auf die Spur zu kommen, das, im Hinblick darauf, daß meist nur die verbuhlten Individuen der Gattung diesem Verderben sich aussetzten und ihm anheimfielen, einer sittlichen Basis nicht ermangelt hätte; aber der Kaplan hielt wenig von den Wissenschaften, von der Statistik das allerwenigste, die Geschicke der Menschen standen ja in Gottes Hand, und erschlagene Fliegen zählt man höchstens, wenn es eine Wette gilt, wer mehr erschlüge.

Er hob eben wieder die Hand, ließ sie aber auf halbem Wege sinken, denn im Flur wurden hastig schlurfende Schritte laut, die Türe öffnete sich, und der Pfarrer schoß herein in die Stube.

»Guten Morgen! Guten Morgen!« rief er dem sich erhebenden Kaplan zu. »Bleiben S' sitzen, bleiben S' sitzen,[145] lieber Sederl! Schau einmal« – er nahm das lange Rohr seiner Pfeife aus dem Munde und deutete mit der Federspule nach den auf dem Boden liegenden Fliegen –, »Sie sein ja so ein arger Fliegentöter, wie der römische Kaiser Domitianus, von dem ein Höfling einm, der a Audienz unter vier Augen wollt, gsagt hat, der wär allein, nit amal a Fliegn bei ihm.«

»So weit hab ich es noch nit gebracht«, meinte der Kaplan, und wenn er sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen, so klang das ganz erträglich. »Seine römische Majestät hat sie wohl bei geschlossenen Fenstern erschlagen.«

»Hm«, der Pfarrer schüttelte den Kopf, »weiß nit, Fensterscheiben hat's damal noch nit gegeben, Fliegengatter vielleicht –«

»Er hat s' wohl mehr im Griff gehabt.«

»So wird's sein«, lachte der alte Herr, schulterte sein Pfeifenrohr und drückte die Asche im Tonkopfe mit dem Daumen zusammen, dann sog er an der Spitze, um zu erproben, ob noch ein Stäubchen glimme; es bekam ihm übel, verkohltes Gekrümel flog ihm in den Mund, er eilte zum Spucknapf und sprudelte und spuckte. »Kreuzdividomini«, schimpfte er, »daß ich allweil vergeß, daß aus aus ist.« Er klopfte mit der Pfeife so energisch gegen das Fensterbrett, daß die Tonscherben hinaus ins Freie sprangen. »Oh, Sakra hnein, jetzt is s' hin auch noch!«

Der Kaplan lehnte sich mit einem überlegenen Lächeln in seinem Stuhl zurück und begann – vermutlich wähnte er, der Geist sei über ihn gekommen – in fremder Zunge zu reden: »Här Bfarrer, Sie zaigen da eihnen so hibschen Zoornesaifer, deer auhf gresere Dünge ankewahndt...«

Der Pfarrer drehte sich auf dem Absatze nach dem Sprecher um. Er kniff die Augen zusammen, als wolle er sich seinen Mann genauer betrachten. »Sein S' gscheit? Sie werdn doch mir kein Predigt halten wolln, Herr Sederl? Wo wolln S' denn hnaus damit?«

Sederl vermied das ihm abträgliche Hochdeutsch, als er[146] fortfuhr: »Nehmen S' 's nit übel, ich bin jetzt lang genug um Sie, seh, daß Sie das Zeug dazu hätten, so recht dareinzuteufeln, aber Sie erhitzen sich über Kleinigkeiten, statt ...«

»Das is a Fehler«, fiel ihm der Pfarrer eifrig ins Wort, »ein leidiger Temperamentsfehler, da habn S' vollkommen recht, mein lieber Sederl! Sooft mir so ein verluderter Ausdruck hrausfahrt, reut mich's und bitt ich unsern Herrgott, daß er mir d' Sünd verzeiht, und schäm mich nit wenig, mich alten – mich alten Menschen über so einer Ungebühr zu ertappen, wogegen ich jahraus und -ein 'n Bauern gute Lehren geb! Nun, Sie habn gsehn, das vorhin war wegn der verhöllten Pfeifen, das is mein Schaden gwest, den ich durch mein Zornmütigkeit nur größer gmacht hab, daß ich mich aber einmeng und dadurch etwa ein fremden vergrößer, da werd ich mich hüten; überhaupt, Gott dienen und Dreinteufeln, stimmt mir nit. Doch weil wir just auf dem Gegenstand sein, reden wir sich aus! Sie sind noch jung, Herr Kaplan, und können zulernen, und ich bin nit zu alt, mich aufklären zu lassen. Reden wir sich aus! Wo nachher, meinen S' denn, daß 'sselbe Dreinteufeln am Ort wär?«

»Der Johann Nepomuk Kleebinder und die Helene Zinshofer haben das einmalige Aufgebot erwirkt und können in wenig Tagen über Hals und Kopf in den heiligen Ehstand treten.«

»Wohl!«

»Nach dem Gemunkel und Gered der Leute dürfte aber eine Entwürdigung des Sakramentes dahinter stecken, die für die Gemeinde vom übelsten Beispiel sein könnte.«

»Versteh, versteh Sie vollkommen, Herr Kaplan. Aber auf Dürfen und Können können und dürfen wir nichts geben. Wo Sie fürchten, in Schmutz zu greifen, da halten S' als reinlicher Mensch die Händ davon. Alles Gred und Gmunkel hat nicht Hellers Wert für mich, erst wenn sich dessen volle Wahrheit im Beichtstuhl erweisen sollt, tritt die Frag an mich heran, wie wohl das räudige Schaf am heilsamsten zu[147] behandeln wär, ob ich 'n Stab Wehe oder 'n Stab Sanft dazu aus 'm Winkel langen soll, und bitte, Herr Kaplan, bitte, sich eben just da an meine Stell zu versetzen. Was würden Sie tun? Würden Sie durch ein besonderes Veranstalten, und wär's auch nur durch ein Verdonnern in der Amtsstube, wo jeds horchen herzurennt, das in der Näh weilt, würden Sie durch so was Vergehen, die schon unters Beichtsiegel gnommen sind, 'n Leuten zu vermerken geben? Wollen Sie die Gfallnen, statt sie aufzurichten, tiefer niederducken und die andern drüber wegsteigen lassen und in ihrer Schadenfreud und Hochmütigkeit bestärken? Wollen Sie einm Gschöpf, das die Unsauberkeit, in der 's bisher gsteckt hat, mit einmal inne wird und sich rechten Wegs besinnt und voll Angst und Verzagtheit auf selbm hinflücht, denselbigen verlegn und erschweren? Wolln Sie das?« Er machte dabei mit dem Pfeifenrohre einen Ausfall gegen den jungen Kleriker und traf mit der Federspule dessen zweiten Rockknopf.

Der Kaplan knickte, beide Hände vorstreckend, in dem Stuhle zusammen, als ob ihn der Stoß niedergeworfen hätte. »Mein Gott, nein«, sagte er.

»Ich denk selber, daß Ihnen dazu 's Herz versaget«, fuhr der Pfarrer fort. »Schaun S', Hasen vom Kohl scheuchen und Gäns in Stall treiben, is halt zweierlei! Um von üble Vorsätz abzschrecken, mag's schon taugn, ein rechten Lärm z' schlagen, aber 'm Gschehnen gegenüber richt mer mit alle Himmelheiligkreuzdonnerwetter nix, und wann einer da werktätig Reu bezeigt, so muß ich trachten, daß ich ihn bei gutm Mut und Willen erhalt! Die Leut sündigen oft in aller Unschuld, will sagen aus purer Dummheit, Bosheit liegt ihnen fern, und 'm Dolus fragt selbst die irdische Gerechtigkeit nach. Nun mag's in dem Fall mit der Braut schlimm gnug bestellt sein, aber 'n Umständen nach is es ausgeschlossen, daß das 'm Bräutigam verborgen bleibt, und der is ein braver Bursch, und wenn der 'n Mantel der christlichen Nächstenlieb über 'n Schaden breit, soll ich 'n nachher aufdecken? Soll ich die Dirn, die sich grad noch rechtzeit, bevor[148] sie sich verloren gibt, auf Zucht und Ehrbarkeit zurückbesinnt, hart anlassen und machen, daß s' auch nur für ein Augenblick ihre guten Vorsätz bereut?« Er reckte die Hand empor und schüttelte mit den gespreizten Fingern. »Ah, nein, nein, mein Lieber! Ich weiß zu gut, was so eine zrückgtretene Reu stiften kann, das is wie bei einm Ausschlag, und die Folg möcht ich nit auf mein Gwissen nehmen!«

»Ich ja auch nit«, seufzte der Kaplan.

»Und was Sie von einm üblen Beispiel und Entwürdigung reden, trifft auch nit zu. So ein ledigs Zsamm- und Auseinanderlaufen findt mer, leider Gotts, gnug da herum in der Gegend, und in dem liegt 's üble Beispiel, nit an denen, die 'n kirchlichen Segen ansuchen. Es kann auch von keiner Entwürdigung des Sakraments die Red sein, denn dem der Eh geht, wie wir wissen, das der Buß voran, auf alle Fälle treten also beide Teile rein vor 'n Altar hin; ins Herz vermag ich keinm z' schaun; steckt noch in irgendeinm Falterl ein Schmutz vom Vorhergegangnen, oder nimmt eins die aufzuerlegende Pflicht nit ernst gnug, so hat das jeds mitm Herrgott allein auszmachen, und dessen is, wie gschrieben steht, das Gericht; wir sind nur seine Gnadnverwalter, und die habn wir auszteilen, wie ich mein, nach der Vorschrift, nit gepfeffert und nit überzuckert.«

Der alte Herr hatte das Pfeifenrohr an den Enden angefaßt und wiegte mit den Armen, jetzt machte er einen heftigen Ruck, daß es sich bog, »knack«, sagte es; er schlug ärgerlich die beiden Stümpfe gegeneinander, schleuderte sie dann nach einer Ecke und bewegte die Lippen, da er sich aber nichts verlauten ließ, so mag es dahingestellt bleiben, ob er nicht etwa im stillen, ganz für sich, einen »verluderten Ausdruck« gebrauchte.

Er warf die Hände über den Rücken, machte ein paar Schritte, räusperte sich und hob wieder an: »Ja, mein lieber Herr Sederl, Sie kennen halt die Menschen noch viel zuwenig und gar erst die Leut, die Leut! Man nennt uns nit umsonst Seelenärzt, wenn auch neuzeit gesagt wird, Seel hätt der[149] Mensch gar keine, das is Wortfechterei und Silbenstechen; der Mensch hat so was wie eine Seel, das sag ich allen gelehrten Herren zu Trutz, ich, der ich jetzt meine guten dreißig Jahr dasitz auf einer und der nämlichen Pfarr und alle meine Patienten vom ersten bis zum letzten, vom ältesten bis zum jüngsten genau kenn! Der Mensch hat eine Seel, die ihm im gsunden Körper verkümmern und übern siechen hinauswachsen kann, ein Ding, das z' tiefinnerst uns per du anredt, und wann das sagt: 'Du Halunk', so gebn wir uns bei alln Reichtümern und Ehren der Welt nit zfrieden, und wann es sagt: 'Du braver Kerl', so halten wir getrost aller Verleumdung und Verfolgung stand. Wenn aber Gottlosigkeit und Zweifel, eigene oder fremd woher, der Seel d' Red verschlagen, so wird sie krank, und wir haben dann die Wahl, wie wir ihr Luft machen wollen, durch die Furcht vorm Teufel und der Höll oder durch d' Hoffnung auf Gottes Erbarmung und das Himmelreich, und da weiß ich's nit anders, als daß der Mensch die Erbarmung sucht; der Sündigste verstockt und verhärtet sich gegen die Furcht, aber die Zeit und die Stund kommt, und wär's seine letzte, wo er sein Ohr der Botschaft von der Gnad und Erbarmnis Gottes zuneigt. Paarmal schon bin ich an die Sterbebetten von Erzhalunken grufen worden und hätt, lieber als nit, gleich nach 'm Sündenbekenntnis davonrennen und sie allein liegen lassen mögen, aber wann s' mich angschaut habn mit Augen wie ein winselnder Hund an der Ketten, der 'n Bauer mit 'm Tremmel herzukommen sieht, ja, du mein Gott, da hab ich alln Trost, mag er gschrieben stehn oder nit, aufgewendt, daß ich ihnen über ihr letzte Not hinweghelf. So was will durchgmacht sein, von dem Augenblick an, wo man sich aus hellem Mitleid um so ein verlornen Menschen zu ängstigen anhebt, bis dahin, wo einm mit einmal hart und leid um ihn gschieht, bis zletzt, wo man sich zugleich mit ihm beruhigt und in selbem gott- und weltergebenen Frieden, wie er von der Erd, aus 'm Haus scheidt. Sederl! Solche Wunder der Barmherzigkeit muß man erlebt und Gott die Ehr dafür[150] gegeben haben, dann entschließt man sich wohl zur eindringlichen Vermahnung, zum aufmunternden Zuspruch, aber aufs Dreinteufeln gibt man nit so viel.« Er schnippte mit den Fingern.

Der Kaplan sah aus dunkelrotem Gesichte mit leuchtenden Augen nach dem Pfarrer. Er erhob sich und streckte ihm die Hand hin. »Verzeihen S'«, flüsterte er.

»Ah, gehn S' mir weg, da gibt's nix zu verzeihen! Sie sind hierorts mein Assistent, als solchen kann ich Sie nit auf eigene Faust herumdoktern lassen und muß Sie wohl über mein Method, die sich d' Jahr her bewährt hat, aufklärn, so wie ich drauf schaun muß, daß Sie erst mit unsere Patienten vertraut werden. Es is gar eigen und merkwürdig mit 'm Volk.« – Er wiegte nachdenklich den Kopf. – »Stelln S' Ihnen vor, was die letzten Tröstungen anlangt, passiert's mehrfach, daß einer, in dessm Herzkammerl es unsauber gnug ausschaut, sich steif und fest 'n Himmel erwart, während ein alts, fromms Mütterl, was nie keiner Fliegn ein Leid angtan, die Höll fürcht, wie nit gscheit. Es is mir unerklärlich, aber es hat ganz 's Ansehen darnach, als wär bei solchn Leuten, die doch nit davon glesen noch ghört habn, von selber der Gedanken erwacht, daß Gott von allm Vorhinein, ohne daß durch 's Menschen eigenes Dazutun dran was z' ändern stünd, ein Teil zur Seligkeit und 'n andern zur Verdammnis bestimmt hätt!«

Der Kaplan machte den Versuch, Runzeln zu ziehen, was aber nicht gelang, da sich die Haut über seine niedere Stirn glatt wie ein Trommelfell spannte. »Ärlauhben, woo aaber füntet sihch teer Getange?« fragte er, erregt und – hochdeutsch.

Der Pfarrer sah ihn mit hoch gehobenen Augenbrauen erstaunt an. »Im heiligen Augustin«, antwortete er, »wenn anders mein Gedächtnis im Behalten nit schwach gwordn ist.«

Sederl sah vor sich hin, er stemmte die Fingerspitzen gegeneinander und drückte langsam Handfläche an Handfläche.[151] »Verzeihen S'«, murmelte er, »'s meinige hatte mich für'n Augenblick verlassen. Übrigens ist diese Meinung ...«

»Nur spekulativ, wie es mehr oder weniger alles is, was in Glaubenssachen übers Credo hnausgeht. Ich hab's nur vorgebracht, weil's mir z' Anfang meiner Seelsorg viel z' denken geben hat, und ich war damal der Meinung, solche Anschauungen unter 'n Leuten hätten ihrn Grund in der Übermütigkeit der einn, denen ihr Lebn lang alls Gute zugflossen is, ohne daß sie ein Finger darnach auszurecken brauchten, und in der Verzagtheit der andern, die von der Wiegn an alls Elend verfolgt hat. Mag schon was Wahrs dran sein, aber für alle Fälle wollt's nit ausreichen, und bei näherm Zusehen bin ich auf welche getroffen, die 'n Katechismus mit gar eigene Augen lesen und für d' Gebote Gottes und die Vorschriften der Kirche völlig farbenblind sein; mit solchen hat mer erst a hells Kreuz, ob s' d' Gnad Gottes mitm irdischen Wohlergehn, die Andachtsübungen mitn guten Werken verwechseln oder anderswas anderswie, das is ein Teufel. Und soviel ich bisher Glegenheit ghabt hab, die Dirn, über die wir 'n Dischkursch führn, zu beobachten, scheint mir, die is eine von derer Gattung. Na, wann s' dö Tag zur Beicht kommt, hörn S' ihr s' ab, Herr Kaplan! Sie können dabei was lernen.«

»Gerne.«

Es pochte, ein halbwüchsiges Dirnchen schlüpfte zur Türe herein, drückte mit einem Stoße seiner Rückseite sie wieder ins Schloß, lief dann auf beide Geistlichen zu und küßte ihnen die Hände.

»Ah, du bist's, Hannerl?« fragte der Pfarrer, die Kleine in die pralle Wange kneipend. »Kann mir's denken, warum d' herlaufst. Hat gwiß der Storch schon a Gschwisterl gbracht?«

Das Kind nickte.

»Is 's a Brüderl?«

Das Kind schüttelte den Kopf.

»Ein Schwesterl also. Sollst wohl d' Tauf ansagn?«[152]

Die kleine Dirne nahm jene schwermütige, einfältige Miene und summende, klagende Sprechweise an, welche sie den Erwachsenen bei Beileidsbezeigungen abgelauscht hatte. »'s Kindl bleibt uns nit, drum is d' Hebmutter mit der Nachbarsliesel als Gödin hraufgrennt, daß's nur gleich gtauft wird. Sie warten in der Kirchen.«

Der Pfarrer stürzte aus der Stube und lief kopfschüttelnd nach dem Gotteshause, um ein Wesen in die christliche Gemeine aufzunehmen, das, ohne in einer Wiege gelegen zu haben, in den Sarg gebettet werden sollte.


Der Kleebinder Muckerl und die Zinshofer Helen waren von der Kanzel geworfen worden. Am darauffolgenden Nachmittage stieg die Dirne die breiten Stufen zur Kirche hinan, langsam, mit gesenktem Kopfe; oben angelangt, wandte sie sich nach links und schritt dem Pfarrhause zu. Dort stand sie eine Weile unschlüssig vor der Türe der Kanzleistube, dann pochte sie leise, auf den Zuruf von innen faßte sie mit unsicherer Hand an die Klinke und trat ein.

Hinter dem Schreibtische saß der Kaplan, den Kopf über einen mächtigen Folianten geneigt, sie sah nichts von ihm als seine großen Hände, mit denen er die Deckel des Buches umklammerte, und seine Schädeldecke mit dem struppigen Haar, in dessen Mitte ein kahler Fleck, die Tonsur, glänzte.

»Gelobt sei Jesus Christus«, sagte sie.

»In Ewigkeit!«

Ein Schwarm von Fliegen surrte an ihr vorüber. Sie wehrte einige ab und sah zu, wie sie sich jagten, zerstreuten und mählich an verschiedenen Stellen wieder zur Ruhe kamen; dann flüsterte sie: »Hochwürden ...«

»Was gibt's?« fragte der Geistliche, ohne aufzublicken.

»Ich bin d' Zinshofer Helen – die Braut –«

»Weiß es.«

»Da wär ich halt und tät gern beichten.«

»Jetzt gleich?«[153]

»Wenn's sein kann und ich nit unglegen komm, Hochwürden, wär mir's lieber, jetzt gleich.«

Der Kaplan nickte, schob das Lineal als Lesezeichen zwischen die Blätter, klappte das Buch zu und erhob sich. Erst jetzt, wo er vor der Dirne stand, richtete er seine unsteten Augen auf sie, sie blickte ihn schüchtern an, da senkten beide die Wimpern und sahen, wie zuvor, nach der Diele.

Der Ton der Stimme klang rauh und die Rede unfreundlich, als der Kaplan sagte: »Geh Sie voraus in die Kirche, sammle Sie sich noch ein wenig, ich komme gleich nach.«

Als sie allein in die leere Kirche trat und selbst ihr leiser Tritt auf den Steinfliesen einen Hall weckte, der in den hohen Gewölben zitternd, wie klagend, erstarb, da blickte sie scheu um sich, atmete schwer auf und preßte beide Hände an das Herz.

Der junge Priester ging an ihr vorüber nach der Sakristei. Er legte sich selbst die Alba, das weiße Chorhemd, an, hing sich die Stola um und setzte das Käppchen auf, dann begab er sich in den Beichtstuhl; das Taschentuch in seiner Linken hielt er vor das Gesicht, mit der Rechten machte er das Zeichen des Kreuzes über die Dirne und neigte das Ohr seitwärts nach dem Gitter, hinter dem es nun zu wispern und zu flüstern begann. – –

Das Tuch ist ein notwendiges Requisit. Die Augen hält der Priester geschlossen, die verraten nichts, die untere Hälfte seines Gesichtes aber deckt das Tuch; gut, wenn es nichts zu verhüllen hat als etwa das Lächeln über naive Geständnisse kindlicher Seelen und nicht das starre Erstaunen, das jähe Erschrecken, den fröstelnden Ekel über ungeahnte Laster, Missetaten und Gemeinheiten.

Bei seinen bisherigen Beichtkindern hätte Kaplan Sederl allerdings des Tuches nicht bedurft. Man hatte ihm jene alten Frauenzimmer zugewiesen, die ihres chronischen Seelenleidens halber allwöchentlich in die Kirche gelaufen kamen und manchen wackern Priester ärgerten; ferner mußte er aushelfen, wenn man die Schulkinder zur österlichen[154] Beichte führte. Die Sündenbekenntnisse, welche er zu hören bekam, waren daher keineswegs aufregender Natur, er war aber auch anderseits ein sehr ernster Mann, der kein Geständnis leichtzunehmen vermochte und jedes in aller Weit- und Breitschweifigkeit behandelte, darum drängten sich die alten Weiber an ihn heran, während Knaben und Mädchen, nur vom Lehrer hingewiesen, sich vor seinem Beichtstuhle anreihten und, wenn es irgend anging, sich sachte wieder davonstahlen; es galt für eine Art Schulstrafe, bei Kaplan Sederl beichten zu müssen.

Was sich nun aber hier, wo er zum ersten Male in der kleinen Dorfkirche zur Beichte saß, an die vorgeschriebene Reue- und Leiderweckung anschloß, war nicht das herabgeleierte, aus dem Beichtspiegel« zusammengesuchte Geständnis eines Kindes, nicht das selbstquälerische, von Seufzern begleitete Geschwätz einer hysterischen Alten, es war das Bekenntnis eines reifen Wesens, das sich bewußt war, gesündigt zu haben, eine Selbstanklage, die in allen Punkten zu Recht bestand und, obwohl stotternd, doch im Tone trockenster Aufzählung vorgebracht wurde.

Heiß und kalt überlief es den jungen Geistlichen. Ihn empörte diese von keiner Regung der Scham begleitete Aufdeckung moralischer Gebreste und Schäden, er vergaß, daß die Vorschrift dem Beichtkinde auftrug, sich dem Beichtiger gegenüber von der Scham nicht beeinflussen zu lassen. Zum ersten Male hatte er Gelegenheit, in die Tiefen eines menschlichen Herzens zu blicken, und er fand da nicht Verlaß noch Treue, ohne daß er ahnte, wie wenig überhaupt davon in der Welt vorkam und fortkam und, schon als zarter Schößling roh unter fremde Füße getreten, mit eigenen Händen, leichtfertig oder verzweifelnd, ausgerauft wurde, da es ja doch keinem zu Nutz noch zu Genuß gedieh.

Er ließ die Hand mit dem Tuche sinken, mit zornigen Augen sah er durch das Drahtgeflechte des Gitters und begann zu eifern.

Damit hatte er es versehen, und doch machte dieses Versehen[155] die Beichte ihm lehrreich und verhalf ihm zu einem der bleibendsten Eindrücke in seiner Erinnerung.

Helene starrte ihn erst erschreckt an, dann begannen sich ihre Augen mit Tränen zu verschleiern. In stammelnder Erregung brachte sie Aufklärungen und Erläuterungen über ihr Tun und Lassen vor, durch welche dasselbe entschuldigt werden, in milderem Lichte erscheinen sollte, immer aber fand sie sich zuletzt einem schlechten Willen, einer sträflichen Schwachheit gegenüber, denen sie nachgegeben hatte, welche ihr selbst unerklärlich waren und nun geradezu wie Eingebungen des Bösen erschienen. Jammernd rang sie die Hände, brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus und stieß sich die Stirne an dem geschnitzten Zierat des Beichtstuhles blutig.

Da überkam, jäh wie eine Offenbarung, den jungen Priester die Erkenntnis, warum der, an dessen Statt er nun des Amtes zu walten vorgab, nicht jene, die vertrockneten oder reinen, unberührten Herzens auf den Höhen des Lebens wandelten, zu sich berufen hatte, sondern die der Führung und des Trostes Bedürftigen, die Kinder, die Mühseligen und Beladenen und die Sünder, und warum die alte Welt bis in ihre Grundfesten erschüttert wurde durch die neue Botschaft, welche an Stelle des starren Gesetzes die Liebe, an Stelle der Strafe die Gnade zu setzen verhieß.

Und nun begann der Kaplan beruhigend und tröstend zuzusprechen, und je leiser das Stöhnen der vor ihm Knienden wurde, je mehr ihre geknickte Gestalt sich aufrichtete, je inniger und vertrauender ihr Blick auf ihm haftete, je überzeugender und eindringlicher ward seine Rede, und nie hatte er, so ganz eingedenk ihres Gewichtes, die Lossprechungsformel feierlicher und andächtiger ausgesprochen.

Als er aus dem Beichtstuhle trat und das junge, schöne Weib zu ihm aufsah mit dem bleichen, reglosen, frommen Antlitze, da meinte auch er sagen zu dürfen: »Wer sich rein fühlt, der werfe den ersten Stein auf sie! Gehe hin und sündige nicht mehr!« Mächtig hob sich seine Brust. Er reckte[156] sich empor. Heiliger Ernst lag über seinen Zügen, und aus seinen Augen blickte eine milde und gelassene Ruhe, als sähe er die Dinge in dem Lichte einer weltentlegenen Sonne, in all ihrem dürftigen Scheine und ewigen Wandelbarkeit. Zu der Stunde war dieser häßliche Mensch schön; schön, wenn es je eine durchgeistigte Form über eine leere vollendete davontrug.

Er trat an die Dirne heran. Die Worte seines Herrn und Meisters zu gebrauchen schien ihm doch eine Entwürdigung. Er berührte flüchtig mit der Hand ihren Scheitel und hieß sie mit leiser Stimme aufstehen und gehen.

Helene raffte sich rasch auf und lief nach der Kirchenpforte, der Kaplan schloß hinter ihr ab, begab sich in die Sakristei, wo er hastig seinen Ornat ablegte und dann durch ein kleines Pförtchen hinaus ins Freie trat.

Es begann zu dämmern.

Hinter der Kirche lief durch dichten Busch ein schmaler Pfad, wenige Schritte lang, bis zur Ecke der niederen Friedhofmauer, dort lehnte sich der junge Geistliche an das Gestein und sah über die Ruhestätte der Toten hinweg, in die Ferne. Einzelne Sterne blinkten dort über den Hügeln.

Und dort in unermessenen Weiten, dahinter dem allem, wo kein Stern mehr kreist, waltet, was die Myriaden Stäubchen aufleuchten, erglühen, wirbeln macht, alle zu sich emporzwingt, und zu dem aller Staub aufstrebt, der tote wie der belebte – jene alleinige Kraft und Macht, die auf öden Gestirnen die Steine klingen läßt und auf bewohnten den Hall atmender Kehlen weckt und die unmittelbar an uns rührt, wenn Hohes, Hehres, Gewaltiges uns in erschauernder Seele erfaßt, von dem wir nicht wissen, woher es uns komme, nur, daß es nicht des Staubes ist!

Aus solch innerster Lohe brach wohl die heilige Flamme der Offenbarung hervor, und für den, der getreulich ihre Wärme und Segnungen spendet, kommt die Stunde, da ein Funke ihrer Glut in seinem Herzen anglimmt und er sich einen Teil jener all-einen Kraft fühlt![157]

Der junge Priester breitete die Arme gegen den Himmel; da raschelte etwas zwischen den Gräbern, eine Maus oder eine Eidechse, er schrak leicht zusammen und sah eine Weile nach dem welligen Rasen hinüber, dann faltete er die Hände und senkte demütig das Haupt.

»Dem Herrn allein die Ehre und mir den Frieden des Wandels nach seinem Worte.«

Ach, nur selten sind jene Augenblicke überwältigender Begeisterung, in denen der Mensch gleichsam einen Weg aus sich heraus und über sich hinweg findet! Rasch zerrt das Alltägliche ihn wieder an sich und stopft ihn unter den gewohnten Hausrat, der fast zu einem Teil des Selbst geworden ist, und je niedriger ein Gerät, um so aufdringlicher erscheint dessen Dienstleistung; es ist, als ob dasselbe spöttisch kicherte: Euer Herrlichkeit geruhten ein wenig Gott zu spielen, haben aber darüber meinen Gebrauch doch nicht verlernt.

Schon am nächsten Nachmittage stak der Kaplan wieder in der dumpfigen Amtsstube. Vor der Türe derselben stand lauschend der Pfarrer. Von Zeit zu Zeit schallte innen ein klatschender Klaps. Als es dem alten Herrn zuviel ward, polterte er lachend hinein. »Lieber Herr Sederl, nein, das kann nit weiter so fortgehen, die Verantwortung nähm ich nit auf mich. Sie legen ja förmlich Hand an sich! Gleich morgen früh schick ich zum Kramer um ein Fliegnpapier, wolln hoffen, daß mer bei dem Spitzbubn ein echts kriegt und wir die Racker loswerdn, denn wenn wir's mitm draufgstreuten Zucker nur füttern möchten, dann hättn mer uns rein noch welche dazukauft.«

Helenens Schreck im Beichtstuhle war ein aufrichtiger, der Ausbruch ihres Jammers kein gemachter, berechneter. Sie fürchtete eine Verweigerung der Absolution, eine entehrende Bloßstellung vor den Leuten oder irgendein anderes, sie wußte selbst nicht, was, das ebenso all ihre Aussichten und Pläne für die Zukunft zernichten konnte. Sie vermochte auch auf dem Heimwege ihrer Aufregung noch nicht Herr zu[158] werden und gelobte dankbaren Herzens, sich von Zeit ab brav und rechtschaffen zu halten, »weil nur diesmal alles gut ausgegangen«.

Zur Stunde aber, wo Kaplan Fliegentöter vom Pfarrer überrascht wurde, musterte sie ihren Brautstaat, der über ihrem Bette ausgebreitet lag, und trällerte dabei und sang Schnadahüpfeln:


»Kein Katz, was nit maust,

Kein Spatz, was nit fliegt,

Kein Bäurin, was haust

Und 'n Mon nit betrügt.«


Das war gestern eine Beicht gewesen! Ei, wohl, eine schwere, harte Beicht. Gott sei Dank, daß es überstanden war!

Der alte Pfarrer kannte seine Beichtkinder und war überzeugt, daß einige von ihnen nur durch geänderte Verhältnisse, in die sie sich wohl oder übel schicken mußten, zur Vernunft zu bringen wären, darum sah er es wohl auch gerne, wenn die Zinshofersche Dirn unter die Haube kam, und darum sagte er bezüglich jener Beichte – da ihn ein leises Mißtrauen gegen einen beidteiligen, nachhaltigen Erfolg derselben beschleichen mochte – zu dem Kaplane: Sie können dabei was lernen!

Damit behielt er recht.

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 139-159.
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