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[114] Gelobt sei Amerika! rief der Nachtwächter zum Ergötzen Aller mehrere Nächte beim Stundenanrufen aus, statt des üblichen Dankspruches gegen Gott. Und der Krappenzacher, der, weil er selber nichts galt, gern bei den »rechten« Leuten auf die Armen schimpfte, sagte am Sonntag beim Ausgang aus der Kirche und Nachmittags auf der langen Bank vor dem Auerhahn: »Der Columbus ist ein wahrer Heiland gewesen. Von was kann der Einen nicht Alles erlösen! Ja, das Amerika ist der Saukübel von der alten Welt, da schüttet man hinein, was man in der Küche nicht mehr brauchen kann: Kraut und Rüben und Alles durcheinander und für die, wo im Schloß hinterm Haus wohnen und Französisch verstehen oui! oui! ist es noch ein gutes Fressen.«
Bei der Armuth an Gesprächstoffen war natürlich der ausgewanderte Dami geraume Zeit Gegenstand der Unterhaltung; und wer zum Gemeinderath gehörte, pries seine Weisheit, daß er sich von einem Menschen befreit habe, der gewiß einmal der Gemeinde zur Last gefallen wäre. Denn wer in allerlei Gewerben herumkutschirt, fährt in's Elend.
Natürlich gab es viele gutmüthige Menschen, die Barfüßele Alles berichteten, was man über ihren Bruder[115] sagte und wie man über ihn spottete. Aber Barfüßele lachte darüber, und als von Bremen aus ein schöner Brief von Dami kam – man hätte es gar nicht geglaubt, daß er Alles so ordentlich setzen kann – da triumphirte sie vor den Augen der Menschen und las den Brief mehrmals vor. Innerlich aber war sie traurig, einen solchen Bruder wohl auf ewig verloren zu haben. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie ihn nicht genug habe aufkommen lassen, daß sie ihn nicht genug vorn hin gestellt habe; denn das zeigte sich jetzt, welch ein geweckter Bursch der Dami war und dabei so gut. Er, der von Allem im Dorf hatte Abschied nehmen wollen wie von dem Stock an der Gemarkung, füllte jetzt fast eine ganze Seite mit lauter Grüßen an Einzelne und Jeder hieß der »Liebe« und der »Gute« und der »Brave« und Barfüßele erntete viel Lob, überall wo sie die Grüße ausrichtete und dabei immer genau zeigte: »Seht, da steht's!«
Barfüßele war eine Zeitlang still und in sich gekehrt, es schien sie zu gereuen, daß sie den Bruder fortgelassen oder nicht mit ihm gegangen war. Sonst hörte man sie in Stall und Scheune und Küche und Kammer und beim Ausgang, mit der Sense über der Schulter und dem Grastuch unter'm Arm, immer singen; jetzt war sie still. Sie schien das gewaltsam zurückzuhalten. Aber es gab ein gutes Mittel, die Lieder wieder hinaustönen zu lassen. Am Abend schläferte sie die Kinder des Rodelbauern ein und dabei sang sie unaufhörlich, wenn die Kinder auch schon lange schliefen. Dann eilte sie noch zur schwarzen Marann' und[116] versorgte sie mit Holz und Wasser und Allem was sie bedurfte.
An Sonntag-Nachmittagen, wenn Alles sich vergnügte, stand Barfüßele oft still und unbewegt an der Thürpfoste ihres Hauses und schaute hinein in die Welt und den Himmel und sah wie die Vögel flogen und träumte so vor sich hin, bald hinaus in's Weite, wo der Dami jetzt sei und wie es ihm ergehe, und dann konnte sie wieder unverwandten Blickes lange Zeit einen umgelegten Pflug betrachten und einem Huhn, das sich in den Sand eingrub, zuschauen. Wenn ein Fuhrwerk durch's Dorf fuhr, schaute sie auf und sagte fast laut: »Die fahren zu Jemand! Auf allen Straßen der Welt geht kein Mensch zu mir, denkt kein Mensch an mich; und gehör' ich denn nicht auch her?« Und dann war's ihr immer als erwarte sie Etwas, ihr Herz pochte schneller wie einem Ankommenden entgegen. Und unwillkürlich sang sie:
Alle Wässerlein auf Erden
Die haben ihren Lauf;
Kein Mensch ist ja auf Erden,
Der mir mein Herz macht auf.
»Ich wollte, ich wäre so alt wie Ihr,« sagte sie ein mal aus solchen Träumen heraus, als sie bei der schwarzen Marann' ankam.
»Sei froh, daß der Wunsch kein Wahr ist,« erwiderte die schwarze Marann'. »Wie ich so alt war wie du, da war ich lustig und hab' drunten in der Gipsmühle 132 Pfund gewogen.«[117]
»Ihr seid doch Einmal wie das Andermal und ich bin gar nicht gleich.«
»Wenn man gleich sein will, muß man sich die Nase abschneiden, da ist man im ganzen Gesicht gleich. Du Närrle, gräm' dir deine jungen Jahre nicht ab, es giebt sie dir Keiner wieder heraus. Die alten kommen schon von selber.«
Es gelang der schwarzen Marann' leicht, Barfüßele zu trösten. Nur wenn sie allein war, lag noch ein seltsames Bangen auf ihr. Was soll das werden?
Ein wunderliches Hin- und Herreden ging durch das Dorf. Man sprach seit vielen Tagen davon, daß es in Endringen eine Nachhochzeit gebe, wie seit Menschengedenken keine in der Gegend gewesen sei. Die älteste Tochter des Dominik und des Ameile heirathete einen reichen Holzhändler im Murgthal und man sagte, das gäbe eine Lustbarkeit wie man sie noch nie erfahren.
Der Tag rückte immer näher heran. Wo sich zwei Mädchen begegnen, ziehen sie sich hinter eine Hecke, eine Heuflur und können gar kein Ende finden und behaupten doch stets, daß sie gewaltig Eile hätten. Man sagt, es käme Alles aus dem Oberlande und aus dem ganzen Murgthal und von dreißig Stunden Wegs her, denn das sei eine große Familie. Am Rathhausbrunnen, da war erst das rechte Leben, da wollte kein Mädchen ein neues Kleidungsstück haben, um sich andern Tages umsomehr an der Ueberraschung und dem Staunen zu erfreuen. Vor lauter Fragen und Hin-und Herreden vergaß man das Wasserschöpfen, und[118] Barfüßele, die am spätesten gekommen war, ging am frühesten mit vollem Kübel wieder heim. Was ging sie der Tanz an! Und doch war's ihr immer, als hörte sie überall Musik.
Am andern Tag hatte Barfüßele viel im Hause hin und her zu rennen, denn sie sollte die Rosel aufputzen. Sie erhielt manchen heimlichen Knuff beim Zöpfen, aber sie ertrug es still.
Die Rosel hatte ein gewaltiges Haar und das sollte auch gewaltig prangen. Sie wollte heute etwas Neues damit probiren. Sie wollte einen Maria-Theresienzopf haben, wie man hier zu Lande ein kunstreiches Geflecht aus vierzehn Strängen nennt, das sollte als neu Aufsehen erregen. Es gelang Barfüßele das schwere Kunstwerk zu Stande zu bringen; aber kaum war es fertig, als die Rosel es im Unmuth wieder aufriß und sie sah wild aus wie ihr die Stränge über den ganzen Kopf und über das Gesicht hingen, dabei war sie aber doch schön und stattlich und gewaltig im Umfang, und ihr ganzes Gebühren sprach es aus: minder als vier Rosse können nicht in dem Hause sein, in das ich einmal heirathe! Und in der That warben viele Hofsöhne um sie, aber sie schien noch keine Lust zu haben, sich für irgend Einen zu bestimmen. Sie blieb nun bei den landesüblichen zwei Zöpfen, die den Rücken hinabhingen, mit eingeflochtenen rothen Bändern, die fast bis an den Boden hinabreichten. Sie stand fertig geschmückt da und nun verlangte sie einen Blumenstrauß. Sie selbst hatte die ihr zugehörigen Blumen verwildern lassen, und trotz aller Einsprache mußte Barfüßele doch[119] endlich nachgeben und ihre schöngehegten Blumen vor dem Fenster fast aller Blüthen berauben. Auch das kleine Rosmarinstöckchen verlangte Rosel zu haben, aber Barfüßele wollte sich eher zerreißen lassen, ehe sie das hergab; und die Rosel spottete und lachte, schimpfte und schalt über die einfältige Ganshirtin, die so eigenwillig thue und die man doch um Gotteswillen im Hause habe. Barfüßele antwortete nicht und sie sah Rosel nur an mit einem Blick, vor dem Rosel die Augen niederschlug. Jetzt hatte sich eine rothe Wollrose auf dem linken Schuh verschoben und Barfüßele war eben niedergekniet, um sie behutsam festzunähen; da sagte die Rosel halb in Reue über ihr Benehmen, halb doch noch im Spott:
»Barfüßele, heut' thu' ich's nicht anders, heut mußt du mit zum Tanz.«
»Spotte nicht so, was willst du denn von mir?«
»Ich spotte nicht,« betheuerts die Rosel noch halb neckisch, »du solltest auch einmal tanzen, bist ja auch ein junges Mädle, und es wird auch Deinesgleichen auf dem Tanz sein; unser Roßbub geht ja auch und es kann auch ein Bauernsohn mit dir tanzen, ich will schon einen Ueberzähligen schicken.«
»Laß mich in Frieden oder ich steche dich,« mahnte Barfüßele am Boden, zitternd vor Freude und Trauer.
»Die Schwägerin hat Recht,« nahm die junge Bäuerin nun das Wort, die bis jetzt zu Allem geschwiegen hatte, »und ich gebe dir kein gutes Wort mehr, wenn du heute nicht mit zum Tanz gehst. Komm, da setz' dich hin, ich will dich auch einmal bedienen.«[120]
Und einmal über das andere übergoß Barfüßele eine Flammenröthe, wie sie so da saß und ihre Meisterin sie bediente; und als sie ihr die Haare aus dem Gesicht that und sie alle nach hinten wendete, wollte Barfüßele fast vom Stuhl sinken, da die Bäuerin sagte: »Ich zöpf' dich, wie die Allgäuerinnen gehen. Das wird dich ganz gut herausputzen, und du siehst auch so aus wie eins Allgäuerin; so untersetzt und so braun und so kugelig; du siehst aus wie die Tochter von der Landfriedbäuerin in Zusmarshofen.«
»Was die? warum wie die?« fragte Barfüßele und zitterte am ganzen Leib. Was war's, warum sie jetzt gerade an die Bäuerin erinnert wurde, die ihr von Kind auf im Sinne lag und die ihr damals erschienen war wie eine wohlthätige Fee aus dem Märchen? Aber sie hatte keinen Ring den sie drehen konnte, damit sie erscheinen müsse; sie konnte sie nur innerlich herbannen, und das geschah oft fast unwillkürlich.
»Halt' dich ruhig, sonst rupf' ich dich,« befahl die Bäuerin, und Barfüßele hielt still und athmete kaum. Und wie ihr die Haare so mitten durch getheilt wurden, und wie sie so da saß, die Hände zusammengepreßt und Alles mit sich machen lassen mußte, und die hochschwangere Frau sie bald warm anhauchte, bald an ihr herumbosselte, da kam sie sich vor als würde sie plötzlich verzaubert, und sie redete kein Wort, als dürfe sie den Zauber nicht verscheuchen, und senkte demüthig den Blick.
»Ich wollt', ich könnte dich zu deiner Hochzeit so einkleiden!« sagte die Bäuerin, die heute von lauter[121] Güte überfloß. »Ich möchte dir einen rechtschaffenen Hof gönnen und es wäre Keiner mit dir angeführt; aber heutigen Tages geschieht das nicht mehr. Da springt das Geld nach dem Geld. Nun sei du nur zufrieden. So lang mir ein Auge offen steht, soll dir bei mir nichts fehlen, und wenn ich sterbe – ich weiß nicht, es ist mir dießmal so bang um die schwere Stunde – gelt, du verläß'st meine Kinder nicht und vertrittst an ihnen Mutterstelle?«
»O Gott im Himmel, wie könnt Ihr nur so was denken!« rief Barfüßele und Thränen rannen ihr aus den Augen. »Das ist eine Sünde, und man kann auch sündigen, daß man Gedanken über sich kommen läßt, die nicht recht sind.«
»Ja, ja, du hast recht,« sagte die Bäuerin, »aber wart' noch, sitz' noch still, ich will dir meinen Anhenker holen und den will ich dir um den Hals thun.«
»Nein, um Gotteswillen nicht; ich trage nichts was nicht mein ist. Ich thät' mich in den Boden hinein schämen vor mir selber.«
»Ja, aber so kannst du nicht gehen. Oder hast du vielleicht noch selber Etwas?«
Barfüßele erzählte, daß sie allerdings einen Anhenker habe, den sie als Kind von der Landfriedbäuerin erhalten, der aber wegen Dami's Auswanderung verpfändet sei bei der Wittwe des Heiligenpflegers.
Barfüßele mußte nun stillsitzen und versprechen, sich nicht im Spiegel zu sehen, bis die Bäuerin wieder käme, die nun forteilte, um das Kleinod zu holen und selber für das Darlehen zu bürgen.[122]
Welche Schauer flossen nun durch die Seele Barfüßele's, wie sie so da saß, sie, die allzeit Dienende nun bedient, und in der That fast wie verzaubert. Sie fürchtete sich fast vor dem Tanz, sie war jetzt so gut und so freundlich behandelt – wer weiß wie sie herumgestoßen wird und Keiner sieht nach ihr um, und all ihr äußerer Schmuck und ihre innere Lust ist vergebens! »Nein,« sagte sie vor sich hin, »und wenn ich weiter nichts habe als daß ich mich gefreut habe, das ist auch genug; und wenn ich mich gleich wieder ausziehen und daheim bleiben müßte, ich wäre schon glückselig.«
Die Bäuerin kam mit dem Schmuck und das Lob des Schmuckes und Schimpfen auf die Heiligenpflegerin, die einem armen Mädchen solche Blutzinsen abnehme, ging seltsam durcheinander. Sie versprach, noch heute das Darlehen zu bezahlen und es Barfüßele allmälig am Lohn abzuziehen.
Jetzt endlich durfte Barfüßele sich betrachten. Die Frau hielt ihr selber den Spiegel vor und aus den Mienen Beider glänzte es und sprach es wie ein jauchzender Wechselgesang der Freude.
»Ich kenn' mich gar nicht! ich kenn' mich gar nicht!« sagte Barfüßele immer und betastete sich auf und nieder mit beiden Händen im Gesicht. »Ach Gott, wenn nur mein' Mutter mich so sehen könnte! Aber sie wird Euch gewiß vom Himmel herab segnen, daß Ihr so gut zu mir seid, und sie wird Euch beistehen in der schweren Stunde; brauchet nichts zu fürchten.«
»Jetzt mach' aber ein ander Gesicht,« sagte die[123] Bäuerin, »nicht so ein Gotteserbarm; aber es wird schon kommen, wenn du die Musik hörst.«
»Ich mein', ich höre sie schon,« sagte Barfüßele. »Ja, horchet, da ist sie.« In der That fuhr eben ein großer Leiterwagen mit grünen Reisern besteckt durch das Dorf und darauf saß die ganze Musik, und der Krappenzacher stand mitten zwischen den Musikanten und blies die Trompete, daß es schmetterte.
Nun war kein Halt mehr im Dorf, Alles machte sich eilig davon. Die Bernerwägelein, einspännig und zweispännig, aus dem Dorf selber und aus den benachbarten, die hier durch mußten, jagten einander fast wie im Wettrennen. Rosel stieg zu ihrem Bruder auf den Vordersitz und Barfüßele saß hinten im Korbe. Sie schaute immer vor sich nieder, so lange man durch das Dorf fuhr, so schämte sie sich. Nur beim Elternhause wagte sie aufzublicken: die schwarze Marann' grüßte heraus, der rothe Gockelhahn krähte auf der Holzbeuge und der Vogelbeerbaum nickte: »Glück auf den Weg!«
Jetzt fuhr man durch das Thal, wo der Manz die Steine klopfte, jetzt über den Holderwasen, wo eine alte Frau die Gänse hütete. Barfüßele nickte ihr freundlich. Ach Gott, wie komm' denn ich dazu, daß ich hier so stolz und geschmückt vorbeifahre, und ist's denn nicht eine gute Stunde bis Endringen und man meint doch, man wäre kaum eingesessen und jetzt heißt's schon absteigen! und die Rosel ist schon begrüßt und umstanden von allerlei Gefreundeten und: »Ist das eine Schwester deiner Schwägerin, die du da bei dir hast?« heißt es vielfach.[124]
»Nein, es ist nur unsere Magd,« antwortete Rosel. Mehrere Bettler aus Haldenbrunn die hier waren, betrachteten Barfüßele staunend; sie kannten sie offenbar nicht und erst als sie sie lange angesehen hatten riefen sie: »Ei, das ist ja das Barfüßele.«
»Das ist nur unsere Magd.« Dieses Wörtchen »nur« war Barfüßele tief in's Herz gedrungen, aber sie faßte sich schnell und lächelte, denn in ihr sprach es: »Laß dir nicht von einem Wörtchen deine Freude verderben. Wenn du das anfängst, da trittst du überall auf Dornen.« Die Rosel nahm Barfüßele bei Seite und sagte:
»Geh' du nur einstweilen auf den Tanzboden, oder anderswohin wenn du sonst Bekannte im Ort hast. Bei der Musik sehe ich dich hernach schon wieder.«
Ja, da stand Barfüßele wie verlassen und sie kam sich vor, als hätte sie ihre Kleider gestohlen und gehöre gar nicht daher, sie war ein Eindringling. »Wie kommst du dazu, daß du zu so einer Hochzeit gehst?« fragte sie sich und sie wäre am liebsten wieder heimgekehrt. Sie ging durch das Dorf aus und ein, dort an dem schönen Hause vorbei, das für den Brosi erbaut worden war und worin auch heute viel Leben sich zeigte; denn die Oberbauräthin hielt mit ihren Söhnen und Töchtern hier ihre Sommerfrische. Barfüßele ging wieder das Dorf hinein und schaute sich nicht um und doch wünschte sie, daß Jemand sie anrufe, damit sie sich zu ihm geselle.
Am Ende des Dorfes begegnete ihr ein schmucker Reiter auf einem Schimmel, der das Dorf hereinritt.[125] Er trug eine fremde Bauerntracht und sah stolz drein; jetzt hielt er an, stemmte die Rechte mit der Reitgerte in die Seite, mit der linken klaschte er den Hals seines Pferdes und sagte: »Guten Morgen, schönes Jungferle! Schon müde vom Tanz?«
»Das ist leicht gefragt vom Gaul herunter,« lautete die Antwort.
Der Reiter ritt davon und Barfüßele saß lange Zeit hinter einer Haselhecke und mußte Allerlei in sich hineindenken und ihre Wangen glühten von einer Röthe, die der Aerger über sich selbst, über die spitze Antwort auf eine harmlose Frage, die Betroffenheit und ein unbegreifliches inneres Wogen anfachte: Was kann der gute Mensch dafür, daß du so verdrießlich bist? Und gut ist er. Er hat so eine herzliche Stimme gehabt. Und schmuck ist er auch. Aber was geht das Alles mich an? Ich will von der ganzen Welt nichts mehr, von gar nichts ...
So zu Jubel gespannt hatte sie den Tag begonnen und jetzt wünschte sie sich den Tod. »Hier hinter der Hecke einschlafen und nicht mehr sein, o wie herrlich wäre das! Du sollst keine Freude haben, warum noch so lange herumlaufen?« Wie zirpen die Heimchen im Grase und ein warmer Dampf steigt auf von der Erde und eine Grasmücke zwitschert immer fort und es ist als ob sie mit ihrer Stimme immer in sich hinein lange und frische noch innigere Töne heraushole und sich gar nicht genug thun könne, das so recht von ganzem Herzen zu sagen was sie zu sagen hat, und droben singen die Lerchen und jeder Vogel singt für[126] sich und Keiner hört auf den Andern und Keiner stimmt dem Andern bei und doch ist Alles ...
Noch nie in ihrem Leben war Amrei am hellen Tag und nun gar des Morgens eingeschlafen und jetzt, sie hatte ihr Kopftuch über die Augen gezogen, und jetzt küßte der Sonnenstrahl ihre geschlossenen Lippen, die im Schlafe noch immer wie trotzig gepreßt waren und die Röthe auf ihrem Kinn färbte sich röther. Sie schlief wohl eine Stunde, da wachte sie zuckend plötzlich auf. Der Reiter auf dem Schimmel war auf sie zugeritten und jetzt eben hob das Pferd seine beiden Vorderfüße, um sie auf ihre Brust zu stellen. Es war nur ein Traum gewesen und Amrei schaute sich um, als wäre sie plötzlich vom Himmel gefallen; sie sah staunend wo sie war, betrachtete verwundert sich selbst; aber Musikklang aus dem Dorfe weckte schnell Alles und sie ging neu gekräftigt in's Dorf zurück, wo bereits Alles noch lebendiger geworden war. Sie spürte es, sie hatte sich ausgeruht von dem Allerlei was heute schon mit ihr vorgegangen war. Jetzt sollten sie nur kommen die Tänzer! Sie wollte tanzen bis zum andern Morgen und nicht ausruhen und nicht müde werden.
Die frische Röthe eines Kinderschlafes lag auf ihrem Angesicht und Alles sah sie staunend an. Sie ging nach dem Tanzboden; da tönte die Musik, aber in den leeren Raum, es waren keine Tänzer da. Nur die Mädchen, die heute zur Bedienung der Gäste gedungen waren, tanzten miteinander herum. Der Krappenzacher betrachtete Barfüßele lange und schüttelte den Kopf. Er schien sie offenbar nicht zu kennen. Amrei drückte[127] sich an den Wänden hin und wieder hinaus. Sie begegnete Dominik dem Furchenbauer, der heut' in voller Freude strahlte.
»Mit Verlaub,« sagte er, »gehört die Jungfer zu den Hochzeitgästen?«
»Nein, ich bin nur eine Magd, und bin mit meiner Haustochter, des Rodelbauern Rosel gekommen.«
»Gut, so geh' hinauf auf den Hof zur Bäuerin, und sag' ihr, ich schick' dich, du wolltest ihr helfen; man kann heute nicht Hände genug in unserm Hause haben.«
»Weil Ihr es seid, recht gern,« sagte Amrei und machte sich auf den Weg. Unterwegs mußte sie viel daran denken, daß der Dominik auch Knecht gewesen sei und ... »Ja, so Etwas kommt nur alle hundert Jahr' Einmal vor. Und es hat viel Blut gekostet ehe er zu dem Hof gekommen ist, daß ist doch arg.«
Die Furchenbäuerin Ameile hieß die Ankommende, die im Anerbieten ihrer Dienste zugleich die Jacke abzog und sich eine große Schürze mit Brustlatz ausbat, freundlich willkommen; aber die Bäuerin that es nicht anders, Amrei mußte vorher selber sattsam Hunger und Durst stillen; bevor sie Andere bediente. Amrei willfahrte ohne viel Umstände und schon mit den ersten Worten gewann sie die Furchenbäuerin, denn sie sagte: »Ich will nur gleich zugreifen, ich muß gestehen, ich bin hungrig und ich will Euch nicht viel Mühe machen mit Zureden.«
Amrei blieb nun in der Küche und gab den Auftragenden Alles so geschickt in die Hand und wußte[128] bald Alles so zu stellen und zu greifen, daß die Bäuerin sagte: »Ihr beiden Amrei's, du da und meine Bruderstochter, Ihr könnt jetzt schon Alles machen und ich will bei den Gästen bleiben.«
Die Amrei von Siebenhöfen, die sogenante Schmalzgräfin, die weit und breit als stolz und trotzig bekannt war, benahm sich ausnehmend freundlich gegen Barfüßele und die Furchenbäuerin sagte einmal zu Barfüßele: »Es list schad, daß du kein Bursch bist; ich glaub', die Amrei thät' dich auf dem Fleck heirathen und dich nicht heimschicken wie alle anderen Freier.«
»Ich hab' einen Bruder, der ist noch zu haben, aber er ist in Amerika,« scherzte Barfüßele.
»Laß ihn drüben,« sagte die Schmalzgräfin, »am besten wär's, man könnte alle Mannsleute hinüberschicken und wir blieben allein da.«
Amrei verließ den Hof nicht, bis wieder Alles an Platz gestellt war und als sie ihre Schürze auszog, war sie noch so weiß und unzerknittert wie beim Anziehen.
»Du wirst müd sein und nimmer tanzen können,« sagte die Bäuerin, als Amrei endlich mit einem Geschenk Abschied nahm, und diese sagte:
»Was müd sein? Das ist ja nur gespielt. Und glaubet mir, es ist mir jetzt wohler, daß ich heut schon Etwas geschafft habe. So einen ganzen Tag blos zur Lustbarkeit, ich wüßt' ihn nicht herumzubringen, und das ist's gewiß auch gewesen, warum ich heute Morgen so traurig war, es hat mir was gefehlt; aber jetzt bin ich vollauf zum Feiertag aufgelegt, ganz aus dem[129] Geschirr, jetzt wäre ich erst recht aufgelegt zum Tanzen – wenn ich nur Tänzer kriege.«
Ameile wußte Barfüßele keine bessere Ehre anzuthun, als indem sie sie wie eine vornehme Bäuerin im Hause herumführte und in der Brautstube zeigte sie ihr die große Kiste mit den Kunkelschenken (Hochzeitsgeschenken) und öffnete die hohen, blaugemalten Schränke, drauf Name und Jahrzahl geschrieben war und darin vollgestopft die Aussteuer und zahlreiches Linnenzeug, Alles mit bunten Bändern gebunden und mit künstlichen Nelken besteckt. Im Kleiderschranke mindestens dreißig Kleider, daneben die hohen Betten, die Wiege, die Kunkel mit den schönen Spindeln um und um mit Kinderzeug behangen, das die Gespielen geschenkt hatten.
»O lieber Gott!« sagte Barfüßele, »wie glücklich ist doch so ein Kind aus so einem Haus.«
»Bist du neidisch?« fragte die Bäuerin und im Andenken, daß sie das Alles einer Armen zeige, setzte sie hinzu: »Glaub' mir, das viele Sach' macht es nicht aus; es sind Viele glücklicher, die keinen Strumpf von den Eltern bekommen.«
»Ja wohl, das weiß ich, und bin auch nicht neidisch um das viele Gut, weit eher darum, daß Euer Kind Euch und so vielen Menschen danken kann für das Gute, was es von ihnen hat. Solche Gewänder von der Mutter müssen doppelt warm halten.«
Die Bäuerin zeigte ihr Wohlgefallen an Barfüßele dadurch, daß sie ihr das Geleite gab bis vor den Hof, ebensogut als Einer, die acht Roßköpfe im Stall hatte.[130]
Es tummelte sich schon Alles wild durcheinander als Amrei auf den Tanzboden kam. Sie blieb zuerst schüchtern auf der Flur stehen. Wo ist denn die Kinderschaar, die sonst sich hier erlustigte und die Vorfreude des künftigen Lebens im Vorhof genoß? Ach freilich, das ist ja jetzt von der hohen Staatsregierung verboten, das Kirchen- und Schulamt hat die Kinder verbannt, daß sie nicht zusehen dürfen oder gar sich selbst nach den Tanzweisen drehen wie einst noch in der Kinderzeit Amrei's.
Es ist das auch einer jener stillen Mordschläge vom grünen Tisch.
Auf der leeren Flur, über die nur manchmal Einer hin und her eilt, wandelt der Landjäger einsam auf und ab.
Als der Landjäger Amrei so daher kommen sah, wie lauter Licht im Angesichte, ging er auf sie zu und sagte:
»Guten Abend, Amrei! So? kommst auch?«
Amrei schauderte zusammen und stand leichenblaß: hatte sie etwas Straffälliges gethan? Sie durchforschte ihr ganzes Leben und wußte nichts und er that doch so vertraut, als ob er sie schon einmal transportirt hätte. In diesen Gedanken stand sie schaudernd da als müßte sie eine Verbrecherin sein und erwiderte endlich: »Dank' schön, ich weiß nichts davon, daß wir uns dutzen. Wollt Ihr was?«
»Oho wie stolz, ich fress' dich nicht, darfst mir ordentlich Antwort geben. Warum bist denn so bös? Was?«[131]
»Ich bin nicht bös, ich will Niemand was zu leid thun, ich bin halt ein dummes Mädle.«
»Stell' dich nicht so duckmäuserig.«
»Woher wisset Ihr denn was ich bin?«
»Weil du so mit dem Licht flankirst.«
»Was? Wo? Wo hab' ich mit dem Licht flankirt? Ich nehm' immer eine Laterne wenn ich in den Stall gehe.«
Der Landjäger lachte und sagte: »Da, da, mit deinen braunen Guckerle, da flankirst du mit dem Licht, deine Augen, die sind ja wie zwei Feuerkugeln.«
»Gehet aus dem Weg, daß Ihr nicht anbrennet, Ihr könntet in die Luft fahren mit Eurem Pulver da in der Patrontasche.«
»Es ist nichts drin,« sagte der Landjäger in Verlegenheit, um doch Etwas zu sagen. »Aber mich hast du schon versengt.«
»Ich sehe nichts davon, es ist Alles noch ganz. Es ist genug, lasset mich gehen.«
»Ich halt' dich nicht, du Krippenbeißerle; du könntest Einem das Leben sauer machen, der dich gern hat.«
»Braucht mich Niemand gern zu haben,« sagte Amrei und riß sich los, als wäre sie plözlich von Ketten befreit. Sie stellte sich unter die Thüre wo noch viele Zuschauer sich zusammendrängten. Eben begann wieder ein neuer Tanz, sie wiegte sich auf dem Platze nach dem Takt hin und her; das Gefühl, Einen abgetrumpft zu haben, machte sie neu lustig, sie hätte es mit der ganzen Welt aufgenommen und nicht nur mit einem einzigen Landjäger. Dieser war aber auch bald[132] wieder da, und stellte sich hinter Amrei und redete Allerlei zu ihr; sie gab keine Antwort und that als ob sie gar nichts höre, sie nickte den Vorübertanzenden zu als ob sie von ihnen begrüßt worden wäre. Nur als der Landjäger sagte: »Wenn ich heirathen dürfte, dich thät ich nehmen,« da sagte sie:
»Was nehmen? Ich geb' mich aber nicht her.«
Der Landjäger war froh, wenigstens wieder eine Antwort zu haben, und er fuhr fort:
»Wenn ich nur einmal tanzen dürfte, ich thät gleich Einen mit dir machen.«
»Ich kann nicht tanzen,« sagte Amrei.
Eben schwieg die Musik und Amrei stieß die Vordern mächtig an, drängte sich hinein, um ein verborgnes Plätzchen zu suchen; sie hörte nur noch hinter sich sagen: »Die kann tanzen, besser als eine landauf und landab.«
Ausgewählte Ausgaben von
Barfüßele
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