[113] Vorschreitende Dämmerung. Berghang mit niedrigem Gebüsch. Vor einer kleinen Einsiedlerhöhle. Links ein Altar aus Steinen, darauf ein Totenkopf und ein Kruzifix, darüber eine kleine ewige Lampe. Der Ritter, der Schulmeister und die Überlebenden der Studentenschar.
DER RITTER.
... Sind alle Wachen drauß'?
Der Heinz am Abhang, Franz rechts an der Fichte,
Weißmann am Pfad, Lothar am roten Bach?
DER ÄLTESTE DER STUDENTEN.
Ich kenn die Gegend doch, wie, Hauptmann, Ihr!
RITTER.
So ruht 'ne Weile, meine tapfern Jungen ...
Wie ihr euch durchschlugt! Nein, hätt's nicht gedacht,
Daß das die Jugend kann! ... Zwei Meilen sind's
Zu meiner Burg, die euch beschützen soll,
Der Feind belagert sie, ein Stündchen Wegs
Bringt uns zum Kampf. Erschlaft die Kraft dazu!
Sie verteilen sich im Hintergrunde und strecken sich aus. Der Hauptmann geht mit verschränkten Armen auf und ab. Der Schulmeister nimmt, vorn zur Seite, vom schwachsinnigen Eremiten unbeholfen
unterstützt, dessen Kessel, gießt Wasser ein, macht Feuer darunter. Der Hauptmann bleibt bei ihm stehn.
Und war doch alles auf so gutem Weg!
Im Rat der Reichsstadt hatt ich lang gesprochen
So warm, wie's kommt, wenn leuchtend das Gesicht
Der Hörer selbst dich wärmt. Sie lauschten treu
Und nickten gut. Da kam der Bote mit
Der Teufelskunde, und was mußte, kam:
Befreier gestern, sind wir heut Zerbrecher,
Und von dem Umbau aller deutschen Welt
Bleibt uns als Aufgab: die paar Knaben dort
Zu retten.[114]
SCHULMEISTER der beim Feuer fertig geworden ist, zum Eremiten, der das Kruzifix heimlich weggenommen hat.
Zeig, womit spielst du da?
Nimmt ihm sein Kruzifix aus der Hand.
EREMIT ängstlich.
Das Glück, das Glück!
SCHULMEISTER.
Bleibt deins! ... Da schau, die Rückwand läßt sich schieben,
Und drinnen ist, ei Blitz, Goldfiligran
Um ein klein Löcklein Frauenhaar!
EREMIT weinerlich, wie gelernt.
Reliquie der heiligen Kathrein.
SCHULMEISTER klopft ihm auf die Schulter.
Ich weiß von deiner heiligen Kathrein,
Du warst ein feiner Goldschmied, sie war schön ...
Schiebt es zusammen und gibt's ihm wieder.
Hier hast du deine heilige Kathrein!
Zum Hauptmann.
Und machen wir's nicht all' ein bissel so:
Was wir geliebt, das heiligen wir zurecht?
Das Bild, das wir vom deutschen Reich ersehn,
In uns ersehn, wir hielten's für des Reichs
Lebendgen Kindskeim in der Zukunft Schoß
Und meinten: die Geburtshilf' will's von uns.
Es war kein Kindskeim, Freund, es war ein Bild,
Erträumt von uns im Wirrschlaf dieser Zeit.
RITTER.
Wird's auch mit uns vergehn?
SCHULMEISTER.
Steht eine Weid' am Fluß und spiegelt sich.
Die Well, die hebt ihr Bild, die Weide schaut's,
Die Welle geht, das Bild zerbricht, die neue
Hebt wieder eines auf und bricht's aufs neu.[115]
Der Baum trinkt von der Welle, und er bleibt,
Verändert sich, und wächst, und andre Bilder
Nun schon vom größern Baume hebt's ihm zu
Dort aus dem Fließenden. Keins nimmt er an,
Aus aller Bilder Wellen aber trinkt er.
Die Wellen heben, spiegeln und vergehn,
Der Baum wird groß.
RITTER.
Ein Bilderspiel, ist's mehr?
SCHULMEISTER.
Zum Zeitvertreib, rein gar nichts mehr.
FAUST ist mittlerweile hereingekommen und hat im Dunkeln zugehört. Vortretend, hart.
Ein Tand!
Vom Wasser wächst der Baum, nicht vom Gespiegel.
SCHULMEISTER.
Ich gönnte dir die Freud' am Taugeglitzer,
Am Nebelsilber und am Spiegelspiel.
FAUST.
Ich will kein Spiel. Das will ich, daß mein Auge
Den Trug durchbohren lern in allem Schein.
SCHULMEISTER.
So lang du Körper, ist dein Auge weich.
FAUST.
Drum ist mein Leben Schmiede für den Geist.
RITTER.
Faust, bringst du Hilfe?
FAUST.
Nein, ich bringe Hohn,
Verdienten, daß ich nicht beim Leisten blieb,
Magister schustern, Pfaffen ölen half,
Und schließlich gar der Wahrheit nützen wollte,
Statt schön zu predigen, daß sie allzeit herrscht.[116]
RITTER.
Was sahst du unterwegs?
FAUST nebenhin.
Beim Nepomuk
Besetzten sie die Brücke.
RITTER.
Das versperrt
Den Seitenweg.
Die Studenten schlafen nicht. Ein Student hat die Laute gestimmt und beginnt nun.
Stelzt vor dem Zug ein langer Mann,
Ei, wie der trommeln und pfeifen kann,
Und wenn der pfeift, so singt wer dazu ...
Und wenn der trommelt, springt wer dazu ...
Aufs Wohl, Kamerad!
Im Graben steht er auf jeder Wacht,
Warum er wohl herüberlacht?
Sein Bruder lacht auf der andern Seit,
Und wer den sieht, dem kam die Zeit ...
Aufs Wohl, Kamerad!
Im Lager hockt er mit im Kreis –
Du, wie der zu erzählen weiß!
Du, was der spricht, das lacht und weint,
Als wenn es einen selber meint,
Aufs Wohl, Kamerad!
Ein älterer zu ihm.
Mußt's muntrer singen. Hans.
Der jüngere nickt ihm zu. Der ältere reicht ihm die Hand.
WACHE VON DRAUSSEN.
Da glimmt ein Schein
Talaufwärts. Späht doch hin!
Sie gehn nach einem freien Punkt.
RITTER.
Ein Lagerfeuer
Vor meiner Burg ... Zwar, etwas hoch dafür ...
[117] Sie beobachten weiter, plötzlich starke Bewegung, Rufe durcheinander.
Ein Feuerstreif! ... Stichflammen! ... Was, die Burg?
Herrgott, die Burg brennt!
RITTER.
Und das sagt: Verrat.
Hin! hin!
Bewegung.
Nein, bleibt! Was könnt ihr, wenn die ... Bleibt!
Verrat von drinnen. Vetter, das bist du!
Die andern treten teils scheu zurück, teils wollen sie trösten. Der Ritter setzt sich und starrt. Pause. Weiter der Ritter.
Ja, Vetter, du. Seht ihr den Erker dort?
Dahinter wuchsen wir, mir war er Bruder,
Und seine Schwester war dabei, das blonde
Stolzschlanke Dirnlein mit den krausen Lippen.
Stolz blieb sie, und zum Bruder wandt' sie sich
Vom Pöbelfreund, von mir. Seht ihr sie da?
Sie zieht an seiner Hand ins andre Lager!
Sie nimmt mir's ab, um sie besorgt zu sein.
Seht ihr sie da? ... Verzeiht, wie schwatz ich dumm,
Ich seh sie, doch es sind zwei Meilen hin –
Du Väterschloß, die Liebe zieht dich nah –
Ei was, du bist Gerümpel. So verbrenn. –
Was macht die Laute, Bursch, fahr fort im Lied!
Der Bursch wieder zur Laute.
Von meiner weiß er dies und das,
Von jedem seiner weiß er was,
Und wie daheim die Wiese steht,
Und wie der Wind durch die Blumen geht ...
Aufs Wohl, Kamerad!
Rumplum, sissidi, die Nacht ist rot,
Erzähl nur weiter, Kamerad Tod!
Bist überall wie heut und hier ...
Fragt nit, wie lang noch leben wir?
Aufs Wohl, Kamerad!
Unruhe draußen. Kurzes Waffengeräusch. Ruf: »Wer bist du?« und Antwort: »Wer, der sich ergibt!« Stille. Sie führen den Bruder her.
[118]
BRUDER zu seinem Führer.
Mach dir kein Unruh ob dem schnellen Hieb,
Der traf mich nur am Arm, ich hab 'nen andern
Von gestern schon, und der gibt mir den Rest.
Ich will zu Faust!
Faust macht eine abweisende Gebärde. Bruder wie verwundert, dann wehmütig lächelnd.
Ja so, du bist noch hier.
Ich bin mehr drüben. Hass', verachte mich –
Das ist jetzt eins. Wie auf der Fahrt gen Rom
Lieb ich dich heut noch – das ist meine Sach.
Hör: gestern haben auf dem Platz am Stein
Den Denker sie verbrannt.
Erregung. Studenten zürnend gegen den Bruder.
RITTER.
Schutz ihm, er ist Gefangener!
FAUST.
Und was willst du – der ihm das angetan?
BRUDER ruhig, liebevoll.
Ich mußt ihn nennen, Faust, mein Glaube wollt's –
Verstehst du's hier nicht, drüben wirst du's tun! ...
Mir sollt er beichten, bessre lehnt' er ab,
Gebeichtet, trotzdem, Faust, hat er mir nicht.
Doch fragt' er: »Mann, versprichst du mir, ein Wort
Als mein Vermächtnis Faust zu bringen?« Ich
Sagt' zu. Da sprach er: »Sie bewegt sich doch«.
Lange Pause, der Bruder sinkt zusammen.
SCHULMEISTER.
Ich bin Geweihter deines Glaubens, komm:
Wir wollen miteinander reden, Sohn!
Sie tragen den Bruder auf ein Lager. Im Verlauf des Folgenden zündet der Schulmeister an der ewigen Lampe einen Span als Sterbekerze an, der Eremit assistiert ihm so gut er's kann.
[119]
RITTER zu den Studenten.
Ich, der euch schützen wollte, kann's nicht mehr,
Die Burg sinkt ein, und wenn der Morgen kommt,
Kommt her der Tod. Der Rückweg ist noch frei ...
Sie schweigen, er fährt fort, mit der Hand brandabseits weisend.
Dort sind die Eltern, dort ist Bruder, Freund,
Dort ist die Lieb, das Leben dort, das lange,
Das warme, sonnige ...
EINER.
Hauptmann, gebt's auf –
Wir haben's eh bedacht und lang gewählt.
RITTER.
Ihr zogt zum Kampf, den einen Mann zu retten,
Der frei und groß und euer Vorbild war.
Der ist dahin. Die Jugend will Person.
EIN ANDRER.
Er hat gelehrt: nur wenn Person und Sache
Unteilbar eins, lebt sie für mehr als Zeit.
RITTER.
So seid ihr Männer worden durch den Streit!
Das zeigt den Mann, daß er die Sache fühlt
Nicht als ein Totes, nein, als lebend Ich,
Das liebend über ihm als Vater waltet,
Erfreut, erzieht, auch heischt, doch dreimal schenkt,
Und alles, was ihn ehdem fremd umstand,
Einzieht ins gleiche Aderwerk mit ihm.
EINER.
Was wird aus dem, wofür wir fochten, Hauptmann?
RITTER langsam.
Freund, gar die Sach, um die gestorben wird,
Ist erst ein seltsam Ding: die ist gefeit.
Während er herumgeht und jedem die Hand gibt.
Ein seltsam Ding, um was gestorben ist!
Und ob's verborgen durch die Menge geht,[120]
Verliert sich's nie, es finden's Augen auf
Und sehn ums Haupt ihm eine Strahlenschrift:
Hier ist ein Ding, um das gestorben ward.
FAUST schreitet plötzlich zum sterbenden Bruder.
So knietest du, als einstmals du mich fandest,
So nahmst du meinen Kopf in deinen Schoß.
Der Bruder tastet nach ihm. Faust streicht ihm übers Haar. Der Bruder stirbt. Der Schulmeister schlägt das Kreuz. Kurzes Gebet.
RITTER.
Ihr Freunde, Schönres bringt das Leben nicht,
Als daß es die einander finden läßt
Aus seinen Wirrn, die zu einand gehören.
Kommt, laßt uns ruhvoll schlafen diese Nacht!
Sie verteilen sich und strecken sich in der Klause und im Gebüsch zum Schlafe aus, sodaß die eigentliche Bühne frei bleibt.
Nacht mit noch bedecktem Himmel. Faust allein. Ein leises Rauschen in der Luft wächst an und schwillt wieder ab.
FAUST.
Ein Vogelzug, der noch zum Süden strebt
Hin ob den Bränden, ob den Kämpfen hin,
Geruhsam hin! Für hundert Gottgeschöpfe
Trägt er ihr Leben – ihnen ist der Brand,
Der dir das Heim zerfrißt, ein Schimmer Lichts,
Dir sind sie selbst ein flüchtiger Laut im Ohr.
Wir sind uns fremd. Wenn ihr im Frühling singt,
Wenn Blumen-Holdheit unsre Kunst beschämt,
Wenn uns der Schmetterling mit einer Pracht,
Uns unnachschaffbar durch die Blicke spielt –
Ists nur ein Zittergruß von Fäden Seins,
Die sich durchschneiden, wie der Strahl den Strahl,
Doch von einand nichts kennen als den Schnitt.
Du Schweigensreich, das jeden Tag durchdüstert,
Und unser ganzes Erdendasein hin
Auch in der Stunden alleredelster
Kaum flüstert,[121]
Du Erdgeistreich, das tausend goldne Sphären
In heilgem Ineinander schwingt,
Doch nur in sich die großen Harfen klingt –
Dich zu erfassen, Weltenwelt, betasten
Wir einen Strahl ...
In den Büschen dämmert ein feiner Lichtschein auf und nimmt die Gestalt Gretchens an. Ein leiser Ruf.
Heinrich!
FAUST mühsam gefaßt.
Dich hab ich einst gekannt!
GRETCHEN mit heiterer Freundlichkeit.
Gelt du, dann konnt ich mich besser verstecken,
Als damals beim Necken
Zwischen Frau Martens Hecken?
FAUST.
Gretchen, ich sah dich beim Hochgericht!
GRETCHEN.
Mich nicht,
Dich sahst du hinaus und deine Schrecken,
Mitleidig.
Das nahmst du für mich.
Aber all deine ganze Krankheit lang
Bin ich um dich geschlichen,
Und nie gewichen –
Bei deinem Erbarmen
Mit den Armen,
Durch ihr Gesicht
Sah ich dich an –
Heinrich, erkanntest du mich denn nicht?
Freilich, noch mußt' ich ja immer schweigen.
Aber jüngst, als das große Brausen war
Vom Bösen,
Und ich nun wußte: du bist genesen,
Und es dann jauchzte, das heilige Licht,
Kam auch zu mir das Erlösen:
Schau, eh ihr das tut, was sie sterben nennen,
Darf mit altem Aug und Mund
Jede zu dem noch einmal kommen,
[122] Leiser.
Der ihr einst das Herz genommen ....
Verhallend.
Eh ihr das tut, was sie sterben nennen ...
Sie neigt sich über ihn, küßt ihm die Stirn und verschwindet. Faust sinkt, die Hände vor den Augen, in sich zusammen und bleibt so; nah beim Kruzifix, links im Vordergrund. Nach einer Weile sieht man im Hintergrunde Mephistopheles schleichen, wie er sich bei den Hingestreckten heimlich zu schaffen macht.
MEPHISTOPHELES.
Nun wedelt euch zum letztenmal der Schlaf
Mit seinem bunten Traumtuch weg, was ist.
Hei, was als Jugend prahlt, als Schönheit, Kraft,
Gewandtheit und Gescheitheit, Güte, Mut,
Das Morgen kehrt das all zusammen weg,
Und nur Kadaver bleiben, Stück für Stück
Vier Groschen Dung wert.
Er spritzt auf die Schlafenden.
Da, ich helf noch nach
Mit Mohn aus eignem Bau – schlaft tief und stört
Mir nicht mein Fest,
Er blickt grimmig auf Faust.
Mein Fest trotz alledem!
Kleine Pause, dann düster.
Dich glaubt ich endlich reif, da sagt ich's ihm,
Dem Herrn der Nacht ...
Wieder im Spotton.
dem Chef,
Wieder düster.
und wie zu Jenem
Im Judenland einst auf den Berg er trat,
Kam Satan hin zu dem
Wieder in leichtem Spotton.
und macht' Offert
Wieder düster.
Und alles, was er bot, und alles, was
Die Hölle nur zu bieten hat, und alles,
Wofür wir alles gaben – Alles – Alles ...
Für einen Teil wovon schon ich dereinst ...
Zwingt den Gedanken weg. Knirschend.
Ihm war's noch nicht das Knie zu beugen wert.
Für andre seine Seligkeit! Und bietet
Sie uns: »da nehmt – ich geb's für andre!« Grausen[123]
Macht mich das Wort: für andre. Was durchglüht
Von ihm, für uns geladen ist's mit Blitz ...
Sich fassend, wieder in leichtfertigem Spotton.
Mein Fest trotz alledem! Ich geb dich auf
Für später, Faust, hier aber hab ich dich
Und will ihn kosten, meinen Teil vom Pakt,
Will kosten sie, die Lust an deiner Qual
Vom Leckersten in dir, von dem in dir,
Was der da oben dir hineingeschenkt.
Er tritt an Faust heran. Dieser bemerkt ihn jetzt erst.
FAUST.
Wie kommst du her?
MEPHISTOPHELES.
Interessiert's den Herrn?
Die Raben fliegen und die Haie schwimmen,
Ich stech mich durch den Grund – 's ist halt 'ne Technik!
Heut ist der Tag, da unser Pakt begann.
FAUST.
Hast du ihn denn erfüllt? Wo ist das Faulbett,
Drauf ich mich dehne, vom Genusse fett?
MEPHISTOPHELES nah an ihn heran.
Mein Doktorchen, der Pakt ist nett und rund:
Ich amüsier dich erst, und dann mich du,
Doch kaum hast du den ersten Braten drin,
Schreist du: »Genug!« Was hast du vom Verzicht,
Die ganze Menschheit geilt doch oder frißt,
Normale tuns mit dem, was dazu da,
Verrückte geil' und fressen mit dem Hirn,
Doch immerhin: für sich. Du willst's für Andere
Drum schob ich meinen Karrn auf neuen Weg
Und hol mir so herum mein Teil vom Pakt.
FAUST.
Meinst du, ich sah das nicht, wie jedes Werk
Du mir verdarbst? ...[124]
MEPHISTOPHELES.
Der Spaß allein, daß du mich wieder riefst! ...
FAUST.
Wie deine Wonne war, die Seele mir
Am Heiligsten zu quälen?
MEPHISTOPHELES.
Himmelsmann,
Sieht sich dein Haupt über den Wolken um,
Ist das ein bißchen hoch, die Beine zappeln
Dann in der Luft – das sah mir lustig aus.
Nach Wahrheit gierst du ja, die Wahrheit, gut,
Die sollst du sehn, die sollst du sehn, und die
Brennt dir die Seele,
Gemütlich.
wie die Feuerchen
Die Leiber mir in meinen Töpfen kochen.
Lachend.
So dacht ich. Offne reden vom Geschäft.
Und wer wie du, will trotzdem meinen Dienst!
FAUST.
Ich will der Menschheit Zukunft sehn!
MEPHISTOPHELES.
Die deine?
FAUST.
Nein, Menschheitzukunft!
MEPHISTOPHELES.
In die Hölle sehn
Willst du schon jetzt? Das, Doktor, schaff ich dir!
Er dreht sich um und pfeift in die Tiefe der Bühne einen grellen Pfiff, der, vom Echo an den Hängen herumgeworfen, sich zu verstärken, zu vervielfachen scheint, in Windheulen übergeht und als solches die Szene begleitet. Mit ihm gemischt und an den Höhestellen ihn verdrängend tauchen all die Geräusche auf, auf welche die Worte deuten. Aber alles unbestimmt, auch die Bilder nur als Rauch-und Dunstgebilde.
Ihr Unsichtbaren um mich habt's gehört!
Die ihr gewesen seid, Uralte ihr,
Und heute seid und morgen werdet – her,
Heraus für Menschenaugen!
[125] In der Landschaft hinten beginnt ein graues Brauen, das dann und wann bis um die beiden brodelt und durch die Szene in steter Bewegung bleibt. Mephisto zu Faust.
Sieh in den Grund,
Er ist nicht, wie noch eben:
Den Urbrei siehst du,
Draus es kriecht, das Leben –
Ist's Dunst, ist's Land, ist's Wasser,
Was drum wallt?
Doch bald, –
Da ist's schon! –
Zeigt sich auch Gestalt.
Im Wuchern der Lachen
Schnappt's auf mit ungeheurem Rachen:
Das Freßtier ist's,
Das frühste auf der Welt,
Und schlingt und schlingt,
Was nur der Wanst ihm hält.
Sieh, schon ist's mehrfach,
Eins des andern Schreck –
Paß auf, bald frißt
Den Fresser selbst wer weg:
Das Raubvieh ist's –
Noch lauert's –
Das mitten in der Mast –
Jetzt kauert's
Zum kecken Satz –
Hei, wie's die Gurgel faßt!
Und siehst du dort,
Was noch am Boden kriecht?
Man sieht's nur schwer,
Weil's fremde Farben lügt:
Das Schlautier ist's,
Das alles noch besiegt.
Versteh's: die Welt wird dadurch, daß, was ist,
Sich frißt.
FAUST.
An allen Stellen
Rasch wandelt sich's ...[126]
MEPHISTOPHELES.
Wie nichts war, du,
Gab's Ruh:
Das war die Hoch-Zeit,
Abwärts geht's im Schnellen ...
FAUST.
Wie starre Wellen
Was bleibt da stehn?
MEPHISTOPHELES.
Der See sinkt weg,
Da wird zum Berg der Dreck.
FAUST.
Was ist das drauf?
MEPHISTOPHELES.
Aha,
Das ist sein Nest –
Der Mensch ist da!
Die Bestie, die
Sich stets hinauf vermißt
Und alle frißt.
Doch das versteh:
Die Welt ist nicht so dumm,
Es kommt nichts um,
Wie er die Leiber aufgeräumt, vergaß er
Die Seelen nicht,
Der Viecher-Seelen auch,
Die fraß er:
Er fraß sie mit,
Sie sind nun in ihm drin –
Jetzt wie ein Raubdrach
Giert er in der Höhle,
Doch in ihm selber
Giert die Drachenseele ...
FAUST für sich, hingerissen.
Wie's webt, wie's wirkt![127]
MEPHISTOPHELES.
Jahrtausende verhuschen –
Nun stehn schon Gaue
Wider sich im Kampf,
Und was hierher weht,
Stinkt von Pulverdampf,
Zum Trost dir, Faust:
Die Urviehseelen kamen
So mit der Zeit zu allerfeinsten Namen:
Die Raubtierseele prellt
Dir vor, sie wäre Mut,
Und nennt sich Held,
Das Wutvieh,
Nun heißt's Feuerblut:
Das Wanstvieh frißt,
Was alles macht, das Geld,
Man nennt das Wirtschaft,
Und das fleckt:
Der Geldsack selber heckt!
Schau, erdteildick
Hat schon die Vielfraßseele ihren Bauch,
Ihr Salbungsmaul
Schleimt erst die Länder ein,
Dann rutschen sie
Ihm glatt zum Schlund hinein:
»Fräß' es die Welt!«,
Hörst du begeistert schrein,
Denn wird erst die Gemeinheit kolossal,
Heißt sie ein Ideal ...
FAUST.
Wovon wird's heiß?
MEPHISTOPHELES.
He, Freundchen, merkst du was?
Die Feuerdrachenseele macht's, der Haß,
Den züchten sie
Als Hausvieh sich an Ketten,
Und letzen[128]
Sich d'ran, wie's bellt,
Und hetzen,
Wenn's ohnehin schon alles übergellt,
Doch bricht er los,
So bleibt nicht viel zu retten.
Hoho, hoho,
Jetzt hetzt er aus dem Stall
Die alten Vier,
Die Reiter hin ins All:
Der Lärm der Dämonen steigert sich und gipfelt.
Der Hunger märkelt
Die Knochen aus,
Die Seuche werkelt
Sich Tanzklöppel draus,
Spielt auf, spielt auf
Zum Krieg
Dem auf dem Klepper zum Sieg!
Zertanzt, was noch hält,
Und sind zerschellt
Noch die Trümmer der Welt –
Allher zusammen,
Sieh, springt die Flut,
Sind's Wellen, sind's Flammen,
Ist's Glut oder Blut?
S'ist Wut! ...
Das sind, die du liebst, Faust,
Das sind, für die du alles gibst, Faust,
Heia, macht dir's nicht wohlgemut?
Über allem wächst am Horizont ein riesengroßes wahnsinnverzerrtes Menschengesicht herauf.
FAUST.
Was wächst entsetzlich dort herauf?
MEPHISTOPHELES.
Merk auf:
Das ist der Direktor.
FAUST.
Der Satan selber wär's?[129]
MEPHISTOPHELES.
Ah nein, oh nein:
Das ist der heiligen Menschheit Haupt –
Nur leider der Vernunft beraubt:
Die Viecherseelen,
Die sein Hirn besessen,
Sie haben's mit der Zeit
Ihm ausgefressen,
Das aber heißt:
Zum feinsten präpariert –
Hohl erst ward's reif,
Daß es die Welt regiert!
Losbrechend.
Würg es hinein, das Bild, und dran verrecke!
FAUST zum Gesicht.
Ich will dich sprechen.
MEPHISTOPHELES.
Mensch, das wär' dein Ende!
FAUST zum Gesicht.
Wer bist du, Spuk?
MEPHISTOPHELES spottend.
Ein Spuk mit Erz und Stahl,
Pest und Verhungern, Gift und Feuerstrahl!
Das Gesicht beginnt sich zu verändern, indem sich seine Verzerrtheit mindert.
FAUST.
Wer zeugte dich?
GESICHT anfangs lallend, mühselig, wie einer im Traum unterm Alb.
Die Ehre ...
Ringend.
mit ... der Gier ...
FAUST.
Wer säugte dich?
GESICHT.
Im Menschen ... war's ... das Tier ...[130]
FAUST.
Wer tränkte dich?
GESICHT.
Der Opf'rer ... eignes Blut ...
FAUST.
Wer lenkte dich?
GESICHT.
Die Liebe ... und die Wut ...
MEPHISTOPHELES.
Genug geläppischt, euer Hü und Hott!
FAUST ihn nicht beachtend, zum Gesicht.
Bist du vom Teufel?
GESICHT sich freier ringend.
Und ich bin von Gott!
Und hab gemein mit Höchstem einen Ahn,
Vom Sehnen stamm ich ...
FAUST hell und laut.
Ja, du bist der Wahn!
Im Gesicht wächst die Veränderung, die kranken Züge vergehen, Klarheit und Ruhe breiten sich aus.
FAUST.
Haupt, du veränderst dich, in deine Züge strebt
Ein Innres auf, darin das Edle lebt –
MEPHISTOPHELES für sich.
Den kenn ich doch, den niederträchtigen Schein ...
FAUST.
Wahn, beides ist in dir!
MEPHISTOPHELES höchst unruhig.
Pfuscht mir ... der ... Andre ... drein?
FAUST.
Du wärst der Wahn? So bist du Wahn, der hehr!
Du warst der Wahn, du bist der Wahn nicht mehr!
O Menschenleid, um eine Wahrheit warben
Die Sucher auch, die um ein Wähnen starben,[131]
Und selbst wenn mordend sich die Welt zerfleischt,
Ist Sehnen drin, das Recht und Frieden heischt ...
MEPHISTOPHELES schreiend.
Verschwinde, Bild!
FAUST aufjubelnd.
Dämon! Es bleibt! Es bleibt!
Nicht du, nicht du bist's, der die Erde treibt!
Das Sehnen ist's, und wenn's den Leib zerreibt,
Das Schaffen wird, und ewig formend hebt,
Gott ist's, der lebt!
Zum Gesicht.
Du bist die Menschheit, die im Suchen irrt!
GESICHT.
Ist mittlerweile zu einem überaus edeln Haupt geworden, das an den Goethe seiner reifsten Zeit erinnern mag.
Es baut der Gedanke
Ahn auf Ahn,
Wie er auch ranke,
Sich Wahn über Wahn –
Was dunkelt,
Sinkt heim in den schaffenden Schoß,
Was leuchtet,
Leuchtet die Wahrheit groß ...
Die Gottheit bin ich, die im Menschen wird.
Das Gesicht taucht langsam ins Dunkel zurück, an seiner Stelle beginnen die Sterne durchzubrechen.
FAUST hebt sich zu vollster Höhe mit erhobenen Händen beseligt auf.
In mir auch wird!
Wie sucht ich, Gott, nach dir,
Und was mich suchen hieß,
Warst du in mir!
Jetzt gewahrt er plötzlich den Mephisto, der ihn wie eine Hyäne die noch lebende Beute umschlichen hat. Wie der Dämon sich gesehen fühlt, hält er lauernd an, so daß eine kurze Weile beide starr einander gegenüberstehn.
Du da, du bist nicht mehr!
[132] In entfesselter Wut springt die jetzt ganz teuflische Dämongestalt auf Faust zu und schlägt ihn mitten auf's Herz. Dann wühlt sie sich, verschwindend, schnell in den Grund. Am Himmel sind überall die Sterne durchgedrungen.
Das traf den Leib, die Seele traf es nicht!
Faust stützt sich.
Er ist erlebt, der höchste Augenblick
Faust sinkt nieder.
Und gütig zieht den Leib zur sanften Erde
Das Alles neu verwandelnde Geschick.
Ihr Sterne, die ihr aus dem Dunkeln taucht,
Ihr haucht
Mir Atem zu ... Ich fühl durch mich das Rinnen
Der Kräfte, die durch Welten spinnen ...
Was jemals wird, dort webt
Und wirkt es schon,
Und noch, was je gelebt ...
So löse mich in deinen Wogen auf,
Heiliger Schöpferstrom von Nacht und Licht!
Er stirbt. Nichts ist zu sehn als weiter Himmel in feierlicher Größe mit blinkenden Sternen aus blauer Nacht. Tiefste Ruhe. Nach einer langen Pause sinkt langsam der Vorhang.
Ende
[133]
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