VIII.

[149] Auswärts dinieren. Mit diesem Entschluß kam er heim.

Damit sich ihm nicht erst wieder die Stimmung verdürbe, der Friede, das Behagen.

Er fürchtete sich. Immer, so oft ihm angenehm wurde, kam diese Furcht. In allen Genüssen, wenn er die Empfindung recht sondierte, hatte er eigentlich immer nur Angst vor ihrem Verluste; das herrschte.

Er verwendete viele Mühe, die guten Anwandlungen zu befestigen. Man mußte es nur erst lernen, glücklich zu sein, durch Fleiß, mit Überlegung, aus Erfahrungen. Die Technik des Glückes mußte man erst erwerben, anders ließ es sich nicht gestalten.

Dann hatte man wenigstens ein ruhiges Gewissen, das Seinige gethan zu haben, und ersparte sich die Reue.

Nur das Fremde von der Stimmung verscheuchen, daß sie heimisch werden könnte.

Das Blumenduftige in der Laune bewahren.

Aber er wußte, daß es nicht hielt, wenn sie allein waren.[150]

Er kannte es schon. Nur nicht allein. Man mußte etwas zwischen sie stellen.

Blitzableiter nannte er es.

Sie liebten sich eigentlich nur noch, wenn sie durch andere Beschäftigung verhindert waren, sich zu lieben.

Auswärts dinieren. Boulevard St. Michel, Hotel de Suez – natürlich.

Seine Gewohnheit, immer die gleichen Orte aufzusuchen, sehr konservativ, die Freunde lachten. In einen neuen brachte man ihn schwer, weil alles Fremde ihn gleich verwirrte. Da wurde er, wenn seine Trägheit verstört war, ganz kopfscheu und hilflos, wie eine aufgeschreckte Henne, und lief erst lange draußen um alle Thüren, unentschlossen und dennoch begierig, und wußte sich keinen Rat, ganz verzweifelt.

Und dann war ihm dieses auch das Muster, schlechtweg, ohnegleichen. Er konnte es nicht begreifen, daß für die anderen sich überhaupt noch Gäste fanden. Er hieß es nur: das ideale Hotel – ein besseres war mit aller Einbildung nimmermehr auszudenken.

Erstens, weil die Madame gar so lieb war. Nicht mehr ganz jung, aber mütterlich, schwesterlich, bräutlich, alles zusammen, betraute und pflegte und hätschelte sie einen – ungeheuer nett. Gerade was er brauchte. Es kam ihm weniger auf Liebe und auf Freundschaft an, als daß sie ihm lebhaft und deutlich immer neu versichert und beteuert wurden. Das wollte er: jemanden, der ihm recht schön that; warum und ob es aufrichtig war, das konnte einem zuletzt gleich sein. Aber ohne das war ihm kein Leben schmackhaft.[151]

Und dann Maler, Studenten, vom Theater, leichtes und frohes Völkchen, nicht diese fade und steife Gasthof-Engländerei. Singen, Tanzen, gern Champagner, der reine Murger. Übermut, Ausgelassenheit oft, nie Langeweile.

Durch eine kleine Soubrette vom Cluny, zufällig, ein herziges Mauserl, mit der er einmal bei Bullier angebandelt hatte, lernte er es kennen. Immer kreuzfidel, unverfälschtes Quartier Latin von der alten Marke, wie es sonst bloß noch in Büchern ist, Gauloiserie im Schlafrock. Schade, daß es keine Ateliers gab.

Aber wenn er sich einen guten Tag anthun wollte, kam er dinieren. Das bürstete die Grillen weg. Und die hatten geschaut, wie er Fifi zum ersten Male brachte, im Triumph; Madame war gleich in sie völlig verliebt gewesen.

Nur die armen Löwen verdrossen ihn, daß sie auch heute wieder da waren, welche er nicht leiden konnte. Warum man sie nicht einfach hinausschmiß, begriff er nicht. Sie würden doch am Ende nur noch das ganze Hotel verschandeln, wenn man sie erst einnisten ließ.

Marius war's, der ihnen den Spitznamen aufgebracht hatte, frei nach Augier. Nämlich ein Wiener Commis, mit dem Größenwahn, daß er Pariser sei, in welchem er es durch Fleiß und Ausdauer richtig auch erreicht hatte, nur noch ein ganz jämmerliches Deutsch zu spucken; dann der Herr, der nach Jodoform roch; und der mit der schiefen Nase, links hinüber, welcher bei den Rennen wettete, alle Tage nach dem[152] Gil Blas, gehorsam, fünf Franken auf jedes, was im Ausgleich wöchentlich einen geringen, aber zuverlässigen Gewinn gab, von welchem er Manschettenknöpfe kaufen und die Wäscherin schuldig bleiben konnte. Sie hatten zusammen ein Paar Lackschuhe, eine rote Krawatte und keinen Sou.

Sie karrikierten die Karrikaturen des Pschutt im Journal Amüsant, und jeder hielt im Jockey-Klub einen Schutzheiligen, dessen Wandel zu befolgen sein mutiger Ehrgeiz war. Einmal die Woche mieteten sie zusammen eine Horizontale, damit sie sich mit ihnen drei Stunden in eine geschenkte Loge setzte. Nouvelles à la main holten sie ihre Gespräche.

Schließlich und endlich brauchte er sich ja nicht um sie kümmern. Nur daß Fifi gleich wieder grüßen mußte mit Nicken und mit Knixen und mit Winken wie nach guten Freunden, das giftete ihn. Natürlich klemmte da der Herr, der nach Jodoform roch, sofort das Monocle auf.

»Weißt,« sagte sie, »die schiefe Nase muß ich etwas anblinzeln, anders kann ich mir nicht helfen, es ist zu fesch. Da fängt er dann zu blasen an, daß die Backen wackeln.«

Und sie machte wieder ein gar so liebes Gesichtel, wie sie es zeigte. Wenn nur die anderen Leute nicht gewesen wären, die es doch nicht wissen konnten, daß es bloß zum Spaß war! Und da ärgerte er sich wieder über sich selbst, daß er sich um die anderen Leute kümmerte – unwürdig des Künstlers.

Aber nein, er kümmerte sich nicht um die anderen[153] Leute, gewiß nicht, sondern hatte bloß ein gewisses Gefühl für das Convenable. Worin gerade sich die wahre Bildung zeigt. An diesem Mangel merkte man ihre niedere Herkunft. Das war ihm wieder angenehm, diese Überlegenheit zu empfinden.

Man mußte sie halt erst erziehen. Das durfte er nicht so vernachlässigen. Seine Schuld. Man mußte ihren Geschmack auf das Ernste richten. Und er begann sofort von seinem neuen Bilde zu erzählen und ihr die Aufgabe der modernen Künste zu erklären mit einer feierlichen und sehr lehrhaften Miene.

»Was trinken wir denn?« sagte sie.

Und gleich, ganz empört:

»Nein, danke, den Wein kenne ich. Als ob Du Deine Pinsel ausgewaschen hättest. Eher sterben.«

Darüber stritten sie eine Weile, weil er sein Hotel nicht ungestraft beleidigen ließ, bis die Suppe kalt war. »Na also,« sagte sie dann vorwurfsvoll. »Da hast Du's.«

Aber er, als mit dem Bier die nämliche Geschichte war, weil es nur von den Preußen zur Vergiftung der Menschen erfunden ist – mit männlicher Entschiedenheit:

»Trinkst halt gar nichts – am einfachsten.«

»Natürlich, das wär' Dir das liebste.« Und sie nahm die Opfermiene an. Es offenbarte sich einmal mehr seine ganze Schlechtigkeit und Tücke.

Es ist immer noch besser, eine krumme Nase als ein krummes Herz zu haben. Wenigstens würde die schiefe Nase seine Mätresse nicht verdursten lassen, sicher[154] nicht. Und was das Körperliche betrifft, oh, an das gewöhnt man sich rasch – an ihn hatte sie sich ja endlich auch gewöhnt, und er sollte nur erst einmal in den Spiegel schauen.

Wenn nur die anderen Leute nicht gewesen wären! Da hätte er ihr schon den Herrn gezeigt, und gehörig! Es blieb aber nichts anderes übrig, als sie mit Bitten und Beteuerungen zu beruhigen. Sie war sonst im stande, eine große Scene anzufangen, vor den Löwen ungeniert. Aber warte nur – daheim!

Und daß sie dann gerade am allerbesten gefiel, wenn sie die Rokoko-Lippen aufsteckte, schmollend und hoffärtig!

Sie einigten sich auf Eau de Vichy. Ihr war ja schon überhaupt alles gleich, weil ihr doch einmal alles Glück verwehrt blieb, und sie traute sich kein Wort mehr zu sagen, weil es doch niemals recht war, und eigenen Willen durften ja die unterdrückten Frauen keinen haben, und sie verzichtete schon auf alles und wollte geduldig jede Mißhandlung gern ertragen. Meinetwegen Seinewasser, wenn der Gebieter es befahl – nur Ruhe sollte er ihr endlich geben und nicht erst fragen, da doch das Gegenteil geschah, immer. Bloß Eau de Vichy gerade konnte sie gar nicht vertragen, weil ihr der Magen gleich zu klimpern anfing, und vertauschte es mit Saint Galmier. Und dann trank sie aus seinem Glase seinen ganzen Wein.

Er verbiß seinen Grimm in eine Omelette. Madame brachte sie ihm jetzt immer noch einmal so groß und rühmte sehr mit schlauem und vertraulich pfiffigem[155] Lächeln ihre Wirksamkeit. Da ward Fifi gleich wieder lustig, von lächerlichen Gedanken, und schäkerte viel Übermut.

Jetzt verdroß ihn wieder der April ihrer Laune, daß sie so wendisch und wandelig war. Sie hatte keinen Charakter. Sie war eine moralische Impressionistin.

Erziehen, wiederholte er sich. Aber zuerst wollte er die Omelette verspeisen in Frieden.

Ja, moralische Impressionistin, sagte er noch einmal zu sich selber und kaute lange an dem Wort: das drückte sie vortrefflich aus, ihre ganze Weise, die immer nur von den äußeren Zufällen, nicht von der inneren Natur bestimmt ward, immer Echo, niemals selbstisch und darum niemals zuverlässig, unberechenbar. Sie war immer wie die Dinge um sie. Davon, welchem sie gerade begegnete, hing sie ab. Nur was man in sie hinein trug, konnte sie einem geben, nichts Eigenes. Und darum war es nichts. Das Umgekehrte gerade hätte er gebraucht.

Jede Natur wäre ihm recht gewesen, jede. In jede hätte er sich gefunden. Aber eine Natur mußte es sein, kein Papagei der Ereignisse.

Etwas Bestimmtes, Ausgemachtes und darum Gleichbleibendes. Das Herumspringen von einer Laune zur anderen, daß man in keiner warm und heimisch werden konnte, das vertrug er gar nicht. Es verdarb alle Gemütlichkeit.

Aber er gab sich einen Schups, von diesen Gedanken weg, weil es ihm schon wieder schwarz und kalt in der Seele aufstieg.[156]

Und wenn sie nur wenigstens nicht immer mit dem Messer gegessen hätte! Und natürlich tief gekränkt beim ersten Wort, das er sagte. Es war schrecklich, wie sie den Fisch behandelte. Erst in den Gräten wüst herumgestochert, ohne jedes System, während sie mit der Gabel ungeduldig auf dem Tische trommelte, und plötzlich, schwups! alles auf die Messerspitze zusammengepackt, die Finger mußten nachhelfen, und hinein die ganze Ladung, als ob sie das Messer mit verschlucken wollte, daß einem angst und bange ward um das arme Zünglein. Und nachher natürlich – das war ja sein besonderes Pech, noch dazu, alles voraus zusehen und vor dem wirklichen Leide vorweg schon von der Vorstellung zu leiden – natürlich würde sie dann wieder die Bratensauce mit Brot austunken.

Gewiß, lächerlich, solches so tragisch zu nehmen. Aber wenn der Künstler einmal Aristokrat ist, notwendig, vom Scheitel zur Sohle –! Was ließ sich denn dagegen thun?

Es half nichts, er mußte es ihr doch wieder sagen. Mit Schonung natürlich.

Die Rosenfinger, diese süßen, unheimlich schmalen und, wie Marius sagte, anatomisch unmöglichen Finger in der gelben Sauce – ja, dekorativ wirkte es schon. Sehr. Aber es nützte nichts, er mußte es ihr doch wieder sagen.

Später einmal würde sie es ihm selber danken, die kleine Wilde.

Aber da lachte sie nur und zeigte die blanken[157] Zähne hinter dem Salat, welche sehr schmal und spitz waren, und begann wieder nach der schiefen Nase hin zu äugeln, ganz absichtslos.

Wie er sich zufällig umdrehte, gewahrte er, daß die schiefe Nase die Hand aufs Herz legte und in sein absynthenes Gesicht eine Beteuerung von Liebe schnitt, mit gespitztem Munde.

Am liebsten hätte er den Gecken hinausgeprügelt.

Lächerlich werden?

Davor fürchtete er sich.

Ja, Marius, der so höflich saugrob wurde, famos, und auf einmal lag der andere draußen. Aber das verstand er nicht. Entweder als hätte er nichts bemerkt, oder aber hauen, gleich dreinhauen, ohne lange Einleitung.

Als hätte er nichts bemerkt – immer das Bequemste. Und sich in den Braten vertiefen.

Sie waren auch ganz unschuldig zuletzt. Fifi hatte angefangen.

Freilich, zum Spaß, aus Ubermut bloß, wie sie schon necksüchtig war.

Sie dachte nichts Schlechtes dabei. Dafür kannte er sie genug, um das ganz sicher zu wissen. Wenn es nur auch die anderen gewußt hätten.

Aber da beobachtete vielleicht ein Fremder in einer Ecke irgendwo bloß nach dem Schein, natürlich, und lächelte über ihn und hatte Mitleid.

Wie man es schon macht, leichtfertig, ohne zu prüfen. Und dann werden Geschichten erzählt.

Lächelte vielleicht und hatte Mitleid.[158]

Es wurde ihm ganz kalt. Er aß mit großer Hast mächtige, unzerschnittene Brocken, eilig stopfend. Er schämte sich, daß es ihm jeder ansehen mußte.

Er wußte, daß er ihr vertrauen konnte.

Er wußte, daß er ihr vertrauen konnte.

Er wiederholte es sich immer wieder.

Nein, sie würde es ihm ruhig sagen. Sie würde ihm offen kündigen. Das wenigstens war das Gute bei ihrem Charakter, daß sie nicht log.

Er wußte, daß er ihr vertrauen konnte.

Aber darum handelte es sich gar nicht. Davon hatte man schließlich gar nichts.

Gar nichts, als erst recht Ärger und Verdruß. Denn auf ihre Tugend gerade sündigte sie. Sonst hätte sie sich ganz anders gehütet.

Er fing an die Betrogenen zu beneiden. Weil ihnen jeder Verdacht und Argwohn sorgfältig aus dem Wege geräumt wird. Mit ihnen bloß sind die Frauen wirklich nett.

Und ihr Unglück ist doch wirklich recht platonisch. Wenn sie es nicht wissen –!

Es that ihm leid, daß ihn Fifi nicht betrog. Dann hätte sie ihm alle Reizungen der Eifersucht ersparen müssen.

Freilich, sie hätte ihn dann nicht geliebt. Aber er hätte sie lieben können.

Und das war eigentlich wichtiger, da doch endlich alles Einbildung ist.

Wirklich, je gründlicher er es überlegte, desto angenehmer fand er es mit vielen Vorteilen, betrogen zu[159] werden. Aber dieses Gefühl, für einen Betrogenen zu gelten oder wenigstens solchen Argwohn zu erwecken, war unerträglich.

Die reine Operetten-Figur.

Es ist ja ungerecht und dumm, aber einmal allgemeiner Brauch: man wird ausgelacht, und alles freut sich.

Und jetzt ging sie gar an den Löwentisch hinüber, sich den Senf zu holen.

Er wußte, daß es nichts zu bedeuten hatte.

Es wäre auch zu erbärmlich, mit solcher Spottgeburt. Obwohl man bei den Weibern nie weiß –

Nein, es hatte nichts zu bedeuten, er konnte ganz ruhig sein. Es war nur eine von ihren entsetzlichen Gewohnheiten – er kannte sie doch zur Genüge – daß sie keinen Augenblick still sitzen konnte, sondern jede Gelegenheit ergriff, welche sich bot, herumzuspringen, jetzt vor den Spiegel, wenn eine Masche aufgegangen war, oder um Wasser, Salz, Essig, oder nach der Zeitung, die Theater nachzulesen – und die Locken flogen und sie schwippte, schnalzte mit den Fingern. Wie sie auch auf der Straße niemals ruhig vor sich hin den graden Weg nahm, sondern, alle Schaufenster zu sehen, immer auf beiden Seiten zugleich spazierte, wie es Marius nannte; herüber, hinüber, unaufhörlich, Zick-Zack.

Und dann wollte sie ihn ein bißchen ärgern.

Wahrscheinlich.

Wegen der Vorlesung übers Essen, gegen das Messer.[160]

Das war es.

Das verzieh sie ihm nicht. Sehr empfindlich.

Sie vertrug es nie, wenn er sie ihre geringe Herkunft merken ließ, daß ihr Erziehung fehlte.

Rächte sich.

Da that sie dann alles zu Fleiß.

Aber er würde sich hüten, ihr auf den Leim zu gehen. Da kannte sie ihn schlecht.

Im Gegenteil. Spaß machte sie ihm mit ihren vergeblichen Bemühungen, die er gleich durchschaute.

Fehlgeschossen.

Nur aushalten, ganz harmlos, nichts dergleichen thun. Die waren so schon beim Kaffee. Da wurde sie dann die Blamierte!

Und wie er sie dann auslachen konnte.

Aber nein, weil sie ihm ohnedies schon wieder leid that wegen der Messer-Geschichte, was am Ende doch ganz wurst war. Und sie war gar so lieb, wie sie die Artischocke schälte, bereitete, den Saft kostete, mit diesen spitzbübisch unschuldigen Augen.

Wozu denn quälen? Geduld, Erziehung – und Liebe, viel Liebe.

Man muß die Weiber wie die Kinder behandeln.

Mehr Zuckerbrot als Peitsche.

Für ihn war es ja auch besser, jetzt gerade in den Anfängen der Verdauung.

Die Löwen waren endlich fort, ins Rauchzimmer.

Also beschwichtigen. In ein schönes Theater, wo sie das Neueste spielten.

Und Rosen kaufen. Blumen widerstand sie nie. Alles gleich wieder gut.[161]

Aber da mitten durch seine besten Vorsätze war sie auf einmal weg, mit einem Satz, Sessel überrannt, die Kleider flogen, und die drei Stufen nach dem Salon im Sprung.

Wie ein Vogel aus der Ruhe stößt.

Wie sich ein Stern schneuzt.

Und verschwunden. Nur ihr Kichern blieb, hallte nach.

Nämlich Musik. Und da kam sie aus dem Häuschen, und die Beine liefen ihr durch.

Es war schon ein bißchen unartig gegen ihn. Aber er war ja ihr Geliebter!

Und warum tanzte er nicht, durchaus nicht? Seine eigene Schuld. Solche Marotten.

Sie war nicht die Närrin, sich dadurch das Leben verhunzen zu lassen. Und es geht doch nichts über einen feschen Walzer.

Also hopste sie mit der schiefen Nase, während Jodoform spielte.

Da geriet er in solche Wut, daß er die Cognac-Flasche zertrümmerte.

Hinaus und riß sie dem Tänzer vom Arme weg, daß er taumelte. Wenn er nur etwas gesagt hätte, nur mit einer einzigen Silbe aufgemuckt!

Aber feige Bande, alle miteinander. Gafften nur ganz verblüfft. Und solches Gotterbarm gefällt den Weibern.

Sie wurde nur sehr bleich und biß sich auf die Lippen, nicht zu schreien, wie er sie zerrte, und verschluckte die Thränen, daß er ihr so wehe that.[162]

Er ließ sie nicht los, den ganzen Weg nicht, sondern schleifte sie wie ein störrisches Kalb. Sie wagte kein Wort und nicht laut zu weinen. Sie hatte große Angst und empfand viele Liebe, weil er stark war.

Wie sie heimkamen, war er ganz erschöpft und zitterte und sagte nur: Du Luder!

Da trotzte sie noch einmal auf, ob sie ihn nicht doch erniedrigen könnte, und höhnte ihn: »Du kannst Dir ja auch eine andere suchen, wenn Du nämlich eine findest.«

Da schlug er sie mit der geballten Faust ins Gesicht. Weil sie sich nicht anders wehren konnte, spuckte sie auf ihn.

Die Kleider herunter in Fetzen, bog sie über und mit seiner Hundspeitsche. Er wollte sie ganz verwüsten und entfleischen, bis gar keine Spur mehr übrig und er befreit wäre. Sonst wußte er nichts, als nur diese unnachgiebige Begierde, daß er nicht früher aufhören könnte.

Nur Blut, Blut. Da wurde ihm erst gut, wie es herunter striemte.

Da zwang er sie dann zur Liebe und züchtigte sie mit Küssen, während sie stieß, speichelte und fletschte.

Bis ihnen die Sinne vergingen, wie in den Tod hinein.

Draußen, leise über das helle Dach, glitt ihre Katze, welche entflohen war, unter dem stillen, flimmernden Himmel.

Quelle:
Hermann Bahr: Die gute Schule. Berlin 21898., S. 149-163.
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