1479.

[300] Kranzbier. Das Kranzbier ist zu unterscheiden vom Erntebier. Das Kranzbierfest findet in der Regel nur auf den ritterschaftlichen Gütern statt, und ist der Feier des Erntebieres gleich, nur daß am Kranzbier die Hofarbeiter den Herrschaften den Kranz ›anbeden‹. Diese senden nämlich eine möglichst schmucke, dreiste und beredte Dirne mit dem reichlich mit Bändern und Blumen aufgeschmückten Kranze an die Herrschaften, um ihnen denselben mit einem volksthümlichen Gedichte zu überreichen. Das Mädchen sagt:


Glück zu ins Haus!

Ich bin geschickt aus

Von wegen Vogt und Vormäher,

Von allen jungen Burschen insgesammt;

Ich bringe dem Herrn und der gnädigen Frau einen Aehrenkranz.

Gebratene Gans,

Dann folgt noch ein Ehrenkranz;

Die Tonne mit zwölf Bänden,

Damit haben wir die Ernte vollendet;

Gebratenes Huhn

Kann auch schon was thun.

Ich wünsche dem Herrn und der Frau einen vergoldeten Tisch,

An allen vier Ecken gebratene Hühner und Fisch,

Und in der Mitte darein

Ein Gläschen mit Wein,

Das dem gnädigen Herrn und der gnädigen Frau ihre Gesundheit sein.

So manche Roggenohr,

So manches gaud' Johr;

So manche Hawerwapp,

So manche hunderttausend Daler in den gnädigen Herrn und der gnädigen Frau ihr Schapp.

Dieses Kränzlein ist gemacht

Inmitten der Nacht,[300]

Dabei sind wir gewesen ganz munter und wacht.

Wir haben uns nichts verdrießen lassen,

Wir haben uns nichts genießen lassen.

Dieses Kränzlein ist gemacht von allerlei Korn und Blum',

Das hat der liebe Gott wachsen lassen auf unsers gnädigen Herrn und gnädigen Frau ihr Rum'.

Ist dies Kränzlein wohl nicht gut genug geworden,

So werden es die Kranzjungfern zum andern Jahr wohl besser besorgen.

Denn ich weiß, mein Kränzchen ist schneeweiß beschneit,

Das macht, der Herr ist ganz wohl befreit,

Und sollt' es dem Herrn wohl nicht gelingen,

So möcht' ich wohl wünschen, daß der Herr mit der gnädigen Frau fröhlich ins Bett rein springen.

Und noch eines ist mir bewußt,

Nach einem Glas Wein steht mir die Lust (sie trinkt),

Und eines habe ich noch vergessen,

Einen Apfel möchte ich wohl essen (erhält ihn),

Aus lieblichen Dingen und freundlichen Sachen,

Viele Complimente weiß ich nicht zu machen,

Viele Complimente machen mir kein Wort,

Herzliebes Kränzchen, jetzt mußt du fort.


Nach ›Anbedung‹ (d.h. Anbietung) folgt der Tanz, und darauf theilen die Kranzjungfern an die vornehmeren Gäste Sträuße aus von künstlichen Blumen, natürlich ebenfalls mit einem Reim, wofür sie ein Trinkgeld bekommen, das sie gemeinschaftlich vertrinken.


Ich will dem Herrn einen Strauß verehren,

Der liebe Gott wollte ihnen eine junge reiche Braut bescheren,

Ein Fräulein von vierundzwanzig Jahr,

Mit blauen Augen und blondem Haar,

Aus lieblichen Dingen und freundlichen Sachen,

Viel Complimente weiß ich nicht zu machen,

Viel Complimente machen mir kein Wort,

Liebes Sträußchen, jetzt mußt du fort.


Aus der Elbgegend. Lehrer Kreutzer.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 300-301.
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