Dritte Szene.

[292] Rat. Rätin. Cäcilie.


RAT steht auf, gähnend. Ein seelenguter Mensch, der Sittig, seinen Liberalismus abgerechnet. Er wird dich einmal auf den Händen tragen, meine Tochter. – Erst neun Uhr! Was soll man nun den ganzen Vormittag machen?

RÄTIN steht gleichfalls auf. Bewegung, mein Schatz. Komm, wir begleiten dich. Nicht wahr, Cäcilchen?

CÄCILIE. Ja, Mama! Steht auf.

RAT. Diese ungeschickte Badekur! Da jagen einen die Ärzte vor fünf Uhr aus dem Bett, und nun kriegt der übrige Tag eine Länge und eine Langeweile –

RÄTIN. Die dir sehr heilsam ist. Du siehst weit besser aus; deine Appetit wächst.

RAT. Was hilft's? Die Bissen werden uns ja von den Söhnen Äskulaps so knapp zugeschnitten! Ich hungere wie ein Jagdhund.

RÄTIN. Das ist ein gutes Zeichen.

RAT. Das ist ein Zeichen, daß ich essen soll, aber ich kriege nichts.

RÄTIN. In einer Stunde bekommst du eine Handvoll Kirschen und ein Stück Brot. Jetzt gehen wir langsam nach der Aussicht, und setzen uns in den Schatten. Du rauchst deine Pfeife, ich stricke, Cäcilie liest uns vor. Später spazierst du auf ein halbes Stündchen in das Kaffeehaus und dikurierst mit den Gästen; dann kommst du nach Hause und fütterst die Vögel. So wird es zwölf Uhr. Dann zu Tisch; hierauf wieder ein Pfeifchen, ein Schläfchen, dann die Promenade, der Milchkaffee, ein Spielchen, ein leichtes Nachtessen – um halb zehn Uhr zu Bette. So leben die vernünftigen Leute.[292]

RAT. Ja, und hungern ganz unmenschlich dabei, und ennuyieren sich zu Tode.

CÄCILIE. Aber was haben Sie denn nur anderes in der Stadt?

RÄTIN. Das sag' ich ja auch!

RAT. O die Stadt! Das ist ganz was anderes! Erstens ist es – die Stadt. Und dann – kann ich aus dem Fenster sehen.

CÄCILIE. Das tun Sie nicht im ganzen Jahr, Papa.

RAT. Auch mache ich Besuche.

RÄTIN. In der Einbildung. Du versäumst alle deine Bekannte. Glaube mir, nichts anderes liegt dir am Herzen als deine albernen Akten, die dich krank machen. Aber jetzt komm!

RAT. Ja, ja, meine lieben Akten!

CÄCILIE. Kommen Sie, Papa!

RÄTIN. Komm! Komm!

RAT. Wenn ich nur wenigstens vormittags auf ein paar Stunden ins Bureau gehen könnte! Alle ab.


Quelle:
Eduard von Bauernfeld: Ausgewählte Werke in vier Bänden. Band 1, Leipzig [o.J.], S. 292-293.
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