Neunte Szene.

[299] Baron Ringelstern. Sittig.


SITTIG eilig. Verzeihung, bester Freund –

BARON. Du ließest lange warten!

SITTIG. Geschäfte hielten mich ab.

BARON. Willst du frühstücken?

SITTIG. Ich danke.

BARON. Nun, was machst du, guter Junge?

SITTIG. Man lebt eben so still fort –

BARON. Du siehst nicht gar fröhlich aus.

SITTIG. Ich? O, ich bin recht zufrieden.

BARON. Wirklich?

SITTIG. Ganz gewiß. – Deine Güter haben sich amelioriert, wie ich höre? Du bist sehr tätig –

BARON. Allerdings. Ich setze Dampfmaschinen und Eisenbahnen in Bewegung, die großen Hebel unseres Jahrhunderts.

SITTIG. Wirst du dich lange bei uns aufhalten?

BARON. Vier Wochen. Wenn ich mich das ganze Jahr auf[299] meinen Gütern herumgeplagt, mit den Verwaltern gezankt und mit den Behörden gestritten, so schenk' ich mir hier Ferien, und gebrauche die Narrenkur. Gewöhnliche Gäste trinken den Brunnen, ich genieße die Narrheiten der Brunnentrinker.

SITTIG. Du hast deine Erholungszeit gut gewählt. Du findest hier eine glänzende und geistreiche Gesellschaft.

BARON. Geistreiche Gesellschaft? Wo ist denn die in unserm lieben Vaterlande zu finden? Ich kenne Eure feinen Cercles. Da wird beiläufig täglich dasselbe gesprochen. Ein paar ästhetische Ansichten, ganz fadenscheinig vom vielen Gebrauch, ein halb Dutzend Koteriespäßchen, sehr viel Tee und wenig Geist – das ist die deutsche geistreiche Gesellschaft.

SITTIG. Du bist ungerecht. Wir zählen so viele verständige und kenntnisreiche Männer unter uns –

BARON. Gewiß! Jeder einzelne ist vernünftig, aber wenn sie zusammenkommen, werden sie alle närrisch. Es ist nicht der rechte Boden für die Geselligkeit. Unser Geist gedeiht nur in der Einsamkeit. In den Treibhäusern der Salons verdorrt er und stirbt ab.

SITTIG. Du magst in gewissem Sinne recht haben. Auch ich habe längst die Gesellschaft aufgegeben. Das stille bürgerliche Leben ist am Ende das beste.

BARON. Das bürgerliche Leben? Du siehst in der Tat recht bürgerlich aus. Höre, Schatz, du hast dich überhaupt sehr verändert!

SITTIG. Wieso?

BARON. Es ist etwas in deinem Wesen, das mir, ehrlich gestanden, schon gestern abends nicht gefiel. Ich fürchte, ich werde dir den Text lesen müssen.

SITTIG. Mir? Hab' ich dich beleidigt?

BARON. Warum nicht gar! Du bist ein wackerer Mensch – ehrlich, bieder, voll Fähigkeiten, mein bester Freund, wenn wir auch in Jahren ungleich sind, ich liebe dich wie einen jüngern Bruder, aber du bist – Hält inne.

SITTIG. Nun, was bin ich denn?

BARON. Du bist ein braver, lieber, seelenguter Junge, doch du schwebst in höchster Gefahr –

SITTIG. In Gefahr?

BARON. Ein vollkommener Spießbürger zu werden, ein ganz unmenschlicher Philister.

SITTIG. Ist's weiter nichts? Hättest du mich doch bald erschreckt!

BARON. Weiter nichts? Mein Freund, es ist das Gefährlichste, was einem vernünftigen Menschen begegnen kann. Darum[300] ist es meine Freundespflicht, dich zu warnen. – Sieh! Ich kenne beiläufig deine Verhältnisse; du willst heiraten. Das ist eben dein Unglück. Wenn du heiraten willst, so tu den Schritt jetzt, in der Jugend, in der Leidenschaft. Jung gefreit, hat niemand gereut. Verliebe dich, womöglich in ein Mädchen, daß man dir nicht geben will, denn Hindernisse müssen da sein, die wecken den Mut, den Geist. Wenn mir die Mutter giftige Blicke zuwirft, wenn mir der Vater die Tür weist, wenn die Gouvernante keift, die Tanten schimpfen, die Bedienten drohen, die Hunde bellen – dann ist's ein Vergnügen. Wachsende Leidenschaft, verstohlene Zusammenkünfte, zugesteckte Briefchen – vielleicht eine Entführung, ein kleines Handgemenge – mit nichts angefangen, alle Kräfte zusammengenommen – das gibt eine glückliche Ehe.

SITTIG. Das hört sich recht lustig an, aber es ist nicht mein Geschmack. Ich bin für das Ordentliche, das Solide. Das Exzentrische sagt meiner Natur nicht zu. Muß man denn eben seine Geliebte entführen? Nun ja, wenn man sie nicht anders bekommen kann! Aber ich darf meine Cäcilie täglich sehen, wir leben miteinander, gewöhnen uns zueinander, wir lernen alle unsere Neigungen kennen, wir wissen, daß wir füreinander bestimmt sind; das gibt eine gewisse Sicherheit, eine Ruhe, ja, das ganze Leben erhält dadurch eine behagliche Färbung. Das Wildleidenschaftliche verliert sich, nur der Segen einer warmen Neigung wirkt wohltätig weiter. Nein, nein, du magst sagen, was du willst, es ist ein schönes, zartes, inniges, reines Verhältnis.

BARON. Wenn du wirklich Cäcilien liebst, wie du sagst –

SITTIG. Ganz gewiß.

BARON. Und – notabene – Cäcilie dich –

SITTIG. O, du kennst sie nicht – du hast eine falsche Ansicht von ihr – so mancher hält sie für kalt, gefühllos – aber wer sie näher kennt – sie ist ein Engel.

BARON. Ich zweifle gar nicht –

SITTIG. Nein, du wirst mich wirklich böse machen, wenn du glaubst, daß Cäcilie –

BARON. Versteh mich nur recht! Wenn ihr euch wirklich liebt, gut für euch. Ich kenne Cäcilien besser als du glaubst. Gewiß, sie ist zur braven Hausfrau geschaffen. Aber sie steht jetzt eben auf dem Punkt, in der Folge vielleicht dich, sich, euch beide unglücklich zu machen. – Brechen wir davon ab. Im ganzen billige ich deinen Wunsch, zu heiraten. Kann ich beitragen, euer Glück zu beschleunigen, so will ich's mit Freuden tun. Hier meine Hand: ich spreche mit meinem Onkel, und zwar so, als ob es für mich selber wäre.[301]

SITTIG. Liebster, bester Freund –

BARON. Genug davon! – Apropos! Heute sollten wir doch den Tag über beisammen bleiben.

SITTIG. Den ganzen Tag? Lieber Freund, das geht nicht. Ich habe nach Tisch Geschäfte.

BARON. Nach Tisch? Nun gut! Aber gegen Abend könnten wir uns finden und uns auf die Berge ergehen. Dort oben spricht sich's besser von der Brust.

SITTIG. Heute abend?

BARON. Ja, wenn's kühler wird, so zwischen sechs und sieben.

SITTIG. Heute abend? – Ja, ja – oder – wär' es dir nicht lieber: morgen abend?

BARON. Nein, das wäre mir nicht lieber.

SITTIG. Also gut: heute abend. – Es ist doch sonderbar, wie unbeständig die Witterung hier ist! Während wir sprechen, ziehen sich dort die Wolken zusammen –

BARON. Wo?

SITTIG. Sieh, dort gegen Norden.

BARON. Ich sehe ein einziges, weißgraues Wölkchen, dort zwischen den beiden Bergen.

SITTIG. Das ist das Wetterloch.

BARON. So?

SITTIG. Ich wette, wir bekommen ein tüchtiges Gewitter.

BARON. So werden wir naß. Schadet auch nicht.

SITTIG. Freilich! Freilich! Aber es kann einen eigentlichen Wolkenbruch absetzen. Sieht nach den Wolken.

BARON nach einer Pause. August –

SITTIG. Lieber Karl –

BARON. Sei aufrichtig! Du willst nicht mit mir gehen.

SITTIG. Wie kannst du glauben –?

BARON. Du hast versprochen, zu deiner Braut zu kommen, nicht wahr?

SITTIG. Wenn ich es gestehen soll –

BARON. Sprich ohne Scheu. Ich entbinde dich deines Versprechens.

SITTIG. Nun sieh! Die alten Leute sind ihre L'hombre-Partie gewöhnt. Wenn ich ausbleibe, fehlt der dritte Mann –

BARON schlägt die Hände zusammen. L'hombre- Partie! Dritter Mann! – August, der Spießbürger ist fertig. Du wirst in deinem eigenen Hause der dritte Mann sein. Ich sehe dein ganzes Leben vor mir, ich sehe dich Zwirn abwinden, höre dich Tagesgeschichten erzählen, du mußt den Mops der Schwiegermama kämmen –

SITTIG. Sie hat gar keinen Mops. Einen Spitz –[302]

BARON. Mußt die Vögel füttern –

SITTIG. Das tut der Alte.

BARON. August, um's Himmels willen, ermanne dich! Noch ist es Zeit. Ich wiederhole es: ich hab nichts gegen deine Liebe, ich bin kein Feind der Ehe, für den man mich ausschreit; aber ein vernünftiger Mann muß seine Frau lenken, nicht sie ihn.

SITTIG. Glaubst du denn wirklich, daß ich –?

BARON. Ich glaube nicht – ich weiß. Ich kenne solche Verhältnisse. Die Weiberchen spinnen ihre Fäden langsam und fein, aber sicher und fest. Wann aber einmal umsponnen ist, gibt's keinen Ausweg. Die Oberaufsicht über alle Handlungen des Mannes ist unwürdig, ja abscheulich. Erst gewöhnt die Frau den Mann an sich, er darf keinen Schritt aus dem Hause tun ohne ihr Wissen, darf mit keinem Freunde umgehen, der ihr nicht zusagt, darf kein schönes Mädchen schön finden. Kunst, Wissenschaft, Geselligkeit, heiterer Lebensgenuß sind verbannt, die Karten müssen alles ersetzen, eine tote Langeweile schleicht sich durch das Haus. Und was ersetzt dem guten, geduldigen Ehemanne den Verlust aller seiner Lebensfreuden? Die kalte, starre, viel gepriesene Tugend seiner Ehehälfte, die ängstliche Häuslichkeit, die an Hymens Fakel ihre Kochtöpfe erwärmt!

SITTIG. Freund – wir sprechen weiter über diesen Punkt, heute abends, auf unserm Spaziergang.

BARON. Wie? Du willst die L'hombre-Partie versäumen?

SITTIG. Ich ziehe die Landpartie vor.

BARON. Fräulein Cäcilie wird mich deinen Verführer schelten?

SITTIG. Das wird sie nicht. Sie soll dich kennen lernen, du sollst sie kennen lernen. Ihr müßt euch gefallen.

BARON. Ich bin zu allem erbötig.

SITTIG. Wir sprechen noch darüber. Wo treffen wir uns?

BARON. Ich denke, hier. Nach sechs Uhr.

SITTIG. Gut. Punkt halb sieben. Umarmt ihn. Lebe wohl, bester Freund! Du sollst deinen Irrtum einsehen, du sollst erfahren, daß du dich in Cäcilien, in uns beiden geirrt hast. Adieu! – Aber du wirst sehen, wir werden naß – Ab.


Quelle:
Eduard von Bauernfeld: Ausgewählte Werke in vier Bänden. Band 1, Leipzig [o.J.], S. 299-303.
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