Zweiter Auftritt

[316] Baldinger. Freiherr von Wildenhain und Herr Welting kommen aus der Fallthür.


WILDENHAIN. Das war das Burgverließ. Romantisch, nicht wahr?

WELTING. Ja, und staubig. Stäubt sich ab.

WILDENHAIN. Feudalstaub, Herr, zerbröckelte Sagen der Vorzeit, Mittelalter in Atome aufgelöst. Herr Baldinger, was sagen Sie zu dem Burgverließ meiner Ahnen?

BALDINGER. Daß es ein vortreffliches Magazin abgeben wird.

WILDENHAIN. Ein Magazin! O heilige Romantik, wo findest du noch ein Asyl? Nach Trapezunt und Famagustä, in die Länder der Mährchen, fährt man auf Dampfschiffen,[316] in Algier spielen sie französische Vaudevilles, und im Innern des heißen Afrika haus't Semilasso mit seinem Comfort. Nichts, überall Nichts, wohin ich mich wenden mag, als nüchterne Nützlichkeit und prosaische Bequemlichkeit. Wie sehn' ich mich hinweg von Euern brausenden Kesseln und ächzenden Maschinen und schmachte nach einem erquickenden Tropfen aus dem vollen Becher des Lebens, nach einem Hauch von Poesie – aber umsonst! Die alte poetische Zeit ist hinabgesunken mit ihren Fehden und Turnieren, mit Rittern und Minnesängern, romantischer Liebe und zarter Galanterie – und die neue Aera stieg herauf mit Dampf, Geprassel, Aktien, politischen Abhandlungen, schwarzen Cravaten und Vernunftheirathen. Eine Aktiengesellschaft will Jerusalem befreien, die altdeutschen Röcke und Gesinnungen werden verboten, und Fouqué's Adelszeitung findet keine Pränumeranten.

WELTING. Ja, und der Abkömmling der Wildenhains, die in's gelobte Land zogen, ist in den Händen Derer, die aus dem gelobten Lande abstammen.

WILDENHAIN. Die Welt ist rund, die Kugel dreht sich, und die tief unten sind, können wieder einmal herauf kommen.

WELTING. Bravo! Das hör' ich gern. Ein junger Cavalier ist doch immer guten Muth's.

WILDENHAIN. Nun, Herr Welting, Sie haben alle die Herrlichkeiten gesehen: Burg und Zwinger, sogar mit einem Hausgespenst, einer weißen Dame, die sich bei großen Familien-Calamitäten zu melden pflegt; Felder und Wälder, Dienstbarkeiten und Gerechtsame – was geben Sie dafür in Pausch und Bogen, die weiße Frau mit eingerechnet?

WELTING. Wie? Sie wollen Wildenhain, Ihre Standesherrschaft verkaufen?

WILDENHAIN. Aufrichtig: das Wasser läuft mir in den Mund.

WELTING. Ei, ei, Baron! Warum haben Sie meinen vortheilhaften Antrag von der Hand gewiesen?

WILDENHAIN. Mir fehlt das Speculations-Organ. Aber geschwinde, geschwinde, Herr Welting, was bieten Sie?

WELTING. Ich übernehme Ihre Schulden – die betragen etwa 300,000 Thaler –

WILDENHAIN. Auf's Haar getroffen!

WELTING. Dagegen zahle ich Ihnen eine Leibrente von – fünfhundert Thalern.

WILDENHAIN mit einem Blick auf Baldinger. Fünfhundert Thaler? Und die weiße Frau, das Hausgespenst, vielleicht das einzige, das in unserm Lande voll Aufklärung zu finden ist?

WELTING. Das mögen Sie behalten. Wenn ich Gespenster brauche, kann ich sie aus Weinsberg verschreiben. Justinus Kerner liefert sie exakt und von bester Qualität.

WILDENHAIN. So ein Börse-Spekulant weiß sich doch Alles zu verschaffen! Gespenster und Papiere: Papier ohne Geld und Geld ohne Papier.

WELTING. Recht witzig – für einen ruinirten Cavalier.

WILDENHAIN. Ruinirt? – Bleibt doch der Cavalier! – Ruinirt? Sie irren, Herr Welting, dieser brave Mann hat mich gerettet.

WELTING. Sie, Herr Baldinger?

WILDENHAIN. Die Industrie that mir ein besseres Anbot als die Börse. Meine Herrschaft geht in Herrn Baldinger's Hände über.

WELTING. In Herrn Baldinger's –!

BALDINGER. Ich habe den Herrn Baron rangirt, und wir wurden Handels einig.

WILDENHAIN. Die Regierung hat eingewilligt, der Kaufbrief ist ausgefertigt; es fehlen nur die Unterschriften. Herr Baldinger, ich hole den Justitiär, um die Sache vollends in's Reine zu bringen. Es ist ein alter Mann, der uns keine Förmlichkeit ersparen wird, mit dem Sie Geduld haben müssen. Ich gehe. Geht, besinnt sich. Ist es doch eine eigene Empfindung, von der Wiege unserer Kindheit und unsers Geschlechts so mit Einem Ruck für immer zu scheiden! Er faßt eines der Bilder an. Alter Balduin von Wildenhain, Anherr unseres Hauses, was sagst Du zu Deinem Enkel?

WELTING. Er sagt nichts – er denkt sich seinen Theil.

WILDENHAIN wie oben. Ich trage Dich lebendig im Herzen, wozu brauch' ich Dich gemalt an der Wand? Fahr' hin! Er läßt das Bild mit einiger Heftigkeit los, welches mit Geprassel von der Wand fällt. Er stutzt, und sagt dann lachend. Meine Ahnen werden wirklich lebendig. Ab.


Quelle:
Dichtung aus Österreich. Anthologie in drei Bänden und einem Ergänzungsband, Band 1, Wien und München 1966, S. 316-317.
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