Zehnter Auftritt

[334] Baldinger. Hermine.


BALDINGER. Sieh doch! Der Bär läßt sich zähmen.

HERMINE für sich. Garçon!

BALDINGER. Du hast dem Alten seine vorige Unart verziehen; ich danke Dir dafür.

HERMINE. Höre, Franz, Dein altes Schloß gefällt mir nach und nach immer besser.

BALDINGER. Hab' ich Dir's nicht vorausgesagt?

HERMINE. Allein es ist für weibliche Bewohner nicht eingerichtet, es ist mehr ein Aufenthalt für – Junggesellen.

BALDINGER. Junggesellen?

HERMINE. Nun ja! Der alte Mathematiker, der die Frauen haßt – Du selbst, sein Freund, der in manchen Stücken seine Gesinnung theilt –

BALDINGER. Aha! Ich merke: der Alte hat geplaudert.

HERMINE. Das heißt: er hat mir Dein Geheimniß vertraut.

BALDINGER. So? Er ist mir zuvorgekommen.

HERMINE. Wirklich? Und warum verschlossen bis jetzt? Warum überhaupt so verschlossen? Nur einmal thautest Du auf, als Du von Deiner Jugendfreundin sprachst.

BALDINGER. Von Malvina? Du meinst doch nicht –?

HERMINE scherzend, aber mit Absicht. Ich meine gar nichts, als daß Du Deinem Freunde[334] Dein Wort gegeben, unvermählt zu bleiben, und daß Du Dein Wort gebrochen–aus Liebe zu mir – oder nicht? Wenigstens schmeichle ich mir mit dem Gedanken.

BALDINGER. Dir zu Liebe! Ganz gewiß.

HERMINE. Nun sieh! Ich weiß wohl, ein Mann, wie Du, schließt noch andere Dinge in sein Herz, als ein Weib; ich kenne Dein thätiges Streben, ich verehre es – aber wir Frauen sind einmal so beschaffen: auch wir möchten uns gerne verehrt wissen – allein auf eine ganz andere Art, als alle Dinge – außer uns.

BALDINGER. Ich sehe Dich kommen! Du meinst, ich hätte wohl ein Herz, aber nur für die Industrie?

HERMINE. Nicht doch! Sollt' ich Dich wohl mit Deinem Hubert verwechseln? Und selbst der starre Mathematiker geht in's Feuer. Du hast es gesehen.

BALDINGER. Nur ich – der Mann ohne Leidenschaft – so nanntest Du mich einst – bliebe kalt, empfindungslos? Ein schwerer Vorwurf! Du hältst mich einer Leidenschaft nicht fähig? Was wäre ein Mann ohne Leidenschaft, ohne Enthusiasmus?

HERMINE. Den Enthusiasmus will ich Dir nicht bestreiten –

BALDINGER. Allein Du glaubst, ich liebe nicht, hätte nie geliebt! Du irrst vielleicht. Aber der Mann Hebt anders als der Jüngling. Höre mich an, Hermine. Längst bin ich Dir ein Geständniß schuldig.

HERMINE. Ein Geständniß?

BALDINGER. Das mir immer auf der Zunge schwebte. Dieser Moment, Deine leisen Vorwürfe, erlauben mir nicht länger zu schweigen. Wisse denn, daß Dein ruhiger, besonnener Mann einst nahe daran war, das Opfer einer glühenden Leidenschaft zu werden.

HERMINE rasch. Du? Du warst verliebt?

BALDINGER. In ein reizendes, bezauberndes Geschöpf, in ein Wesen voll Geist, Anmuth, Grazie, des sprühendsten Lebens voll –

HERMINE. Gemach, gemach! Du beschreibst ein wahres Wunder.

BALDINGER. Das Wunder hatte seine Fehler, wie ich erst später einsehen lernte. Sie war übermüthig, launisch – und sie verschmähte mich.

HERMINE. Du hast ihr also Deine Liebe gestanden?

BALDINGER. Mit keinem Wort, keinem Blick. Du weißt, ich war ein blöder, unbeholfener junger Mensch, der sich vor Leuten kaum zu sprechen getraute. Vor meiner Angebeteten verstummte ich völlig. Die glänzende Erscheinung machte mich verwirrt; das Herz pochte mir, so oft ich in ihre Nähe trat – aber ich schwieg. Die überströmenden Gefühle meines Innern fanden keinen Dolmetsch an meiner blöden Zunge. Wie beneidete ich die geistreichen, jungen Männer, die sich in dem Kreise jener holden Zauberin so frei und sicher bewegen konnten! Aber ich hätte sie vergiften mögen für jedes Lächeln, jedes freundliche Wort des reizenden Mundes, das ihnen zufiel.

HERMINE unruhig. Wie hab' ich mich in Dir getäuscht! In der That – Du bist einer Leidenschaft fähig.

BALDINGER. Für mich kein Wort, kein Lächeln – sondern nur ein Lachen des Spottes, der Ironie. Meine Geliebte verlachte mich. Entsetzliches Gefühl, für Liebe Spott, für Anbetung Hohn zu ernten. Ich aß nicht, ich schlief nicht, eine wüthende Eifersucht auf Jeden, der sich ihr näherte, verzehrte mein Inneres. Ein offenbares Zeichen der Verachtung von ihrer Seite brachte mich endlich zu mir selbst: ich ermannte mich und mied ihre Nähe.

HERMINE rasch. Das war recht.

BALDINGER. Aber was unternehmen? Wie ein Leben fortsetzen, das mir jeden Reizes zu entbehren schien? Ein junges, überlanges Leben, ohne Zukunft, voll gleichgültiger Tage! – Da erschien mir zu rechter Zeit jener Erdengeist, welcher den Menschen empfing, als er aus dem Paradiese trat: der harte, mürrische, aber derbe und tüchtige Genius der Arbeit. Laßt einen unglücklich Liebenden, einen Werther der alten Zeit, einen Morgen Feldes umackern, und ich wette, er denkt mit jedem Feierabend etwas kühler an seine Lotte: das tiefe Athemholen beim Pflügen und Graben verhindert die Liebesseufzer, und der Schweiß auf der Stirn ersetzt die Thränen. Aber der Körper nicht allein, auch der Geist muß arbeiten; das liebekranke Herz muß sich in das Stahlbad der Ideen tauchen, wenn es genesen soll. Mein Mittel schlug an. Ich arbeitete, erst aus Instinkt, dann aus Trotz, zuletzt aus Freude und Lust. Wenn die Liebe Dichter und Helden schafft, so machte mich meine Leidenschaft zum fleißigen, thätigen Mann, zum Mann der Industrie. Nach ein Paar Jahren war ich so weit umgewandelt, daß ich mit ziemlicher Fassung, wenn auch mit einigem Herzklopfen vernehmen konnte – meine Geliebte sei vermählt.[335]

HERMINE wie freudig. Vermählt? Faßt sich. Vermählt? So! Und Du sagst, sie erfuhr Deine Neigung nicht?

BALDINGER. Weder sie, noch irgend Jemand; Du bist das erste Wesen, dem ich sie gestehe.

HERMINE. Und jetzt? Du denkst noch an Deine Geliebte?

BALDINGER. Ja.

HERMINE. Du sahst sie wieder?

BALDINGER. Nach Jahren.

HERMINE. Hast sie nicht vergessen?

BALDINGER. Jeder bedeutende Lebensmoment trägt den Stempel der Dauer in sich.

HERMINE. Du liebst sie also noch?

BALDINGER. Der Stern des Morgens wird später zum Abendstern. Anders Hebt der Jüngling, anders der Mann.

HERMINE nach einer Pause. Ich danke Dir für Dein Geständniß.

BALDINGER. Es sollte Dir die Größe meines Vertrauens darthun.

HERMINE. Wahrhaftig, Du bist einer Leidenschaft fähig!

BALDINGER. Ich habe ein Herz – nicht nur für die Industrie. Noch fehlt Ein's, das Letzte; ein Wort, das sich auf meine Lippe drängt, das ich auszusprechen zage: der Name meiner Geliebten.

HERMINE. Nenne den Namen nicht! Ich will ihn nicht wissen.

BALDINGER. Du willst nicht?

HERMINE ausbrechend. Ach! erspare mir die Qualen – die Du selbst erduldet. Ich liebe Dich unaussprechlich, und Du gestehst mir Deine Leidenschaft für eine Andere!

BALDINGER. Hermine!?


Quelle:
Dichtung aus Österreich. Anthologie in drei Bänden und einem Ergänzungsband, Band 1, Wien und München 1966, S. 334-336.
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