Eilfter Auftritt.

[67] Vorige. Spitz, dann Blase. Später Schmerl und Amalie.


SPITZ. Fräulein! Brauchen Sie Succurs?

AUGUSTE. Bester Herr Spitz! Er wächst mir über den Kopf!

SPITZ. Wie, Herr Baron –?

HERMANN. Herr Spitz! Gerade recht! Geht auf ihn los. Sie such' ich, Ihnen will ich sagen –

SPITZ zieht sich zurück. Sagen?

AUGUSTE. Nur mäßig, lieber Hermann, nur mäßig!

BLASE auftretend. Was für ein Lärmen? – Bester Herr Assessor –

HERMANN. Herr Blase! Gerade recht! Wie oben. Sie wollt' ich finden, Ihnen wollt' ich erklären –

BLASE zieht sich gleichfalls zurück. Erklären?

AUGUSTE. Nur mäßig! Er ist ganz ausgewechselt –

SCHMERL läuft herein, nimmt Augusten beim Kopf. Mein Töchterchen – Ihr Papa!

HERMANN schlägt ihn auf die Achsel. Was soll das, Herr Schmerl?

SCHMERL wendet sich um. Der Brutus! – Was es soll? Amalien entgegen, die eben eintritt. Sie ist mein – nach zwanzig Jahren – durch Beharrlichkeit, durch Ausdauer – durch Opposition. Es lebe die Opposition! Küßt ihr die Hand.

BLASE näher tretend. Ihr seid also ein Paar geworden? Gratulire. Was meinst Du, liebe Nichte? Du solltest das Beispiel nachahmen –

SCHMERL. Ja, ja, nehmen Sie den Brutus. Machen Sie's kurz, Gustchen – wie die Mama. Küßt Amalien die Hand.

AMALIE abwehrend. Herr Schmerl!

BLASE ergreift Augusten's Hand, nähert sich Hermann. Liebe Nichte – bester Herr Assessor –[67]

HERMANN. Halt, Herr Blase! Es scheint, Sie wollen mir die Hand Ihrer Nichte geben?

BLASE. Freilich, freilich! Die Hand meiner Nichte – meiner Tochter – meiner lieben Adoptiv-Tochter, Auguste Blase-Blase. Will Hermann's Hand ergreifen.

HERMANN. Verzeihen Sie, Herr Blase! Diese Heirat wird nicht zu Stande kommen.

BLASE. Nicht? Warum denn nicht?

HERMANN. Weil ich auf die Hand des Fräuleins verzichte.

BLASE. Wie?

SCHMERL. Was?

AUGUSTE halblaut zu Amalien. Mama, er schlägt mich geradezu aus.

AMALIE eben so. Da hast Du's nun!

BLASE. Herr Spitz! Er will nicht heiraten. Es ist klar: er hat den Verstand verloren!

SCHMERL. Das ist noch kein Beweis.

AMALIE strenge. Herr Schmerl!

BLASE. Nicht heiraten! Aber er wird sich besinnen – wird zu sich kommen – bester junger Mann –

HERMANN. Genug, Herr Blase. Mein Entschluß steht fest.

BLASE. Steht fest! Herr Spitz, was sagen Sie dazu?

SPITZ. Daß sich der Herr Baron wie ein Mann benommen hat.

BLASE. Wie ein Mann?

SPITZ. Er will das Herz eines Mädchens nicht zwingen –

HERMANN. So ist es!

SPITZ. Er opfert lieber seine eigene Neigung –

HERMANN. Herr Spitz –

BLASE. Seine Neigung?

SPITZ. Ganz gewiß! denn ich bin überzeugt –

HERMANN. Schweigen Sie, Herr Spitz!

SCHMERL. Ja, schweigen Sie!

SPITZ. Vollkommen überzeugt, daß Sie das Fräulein lieben, Herr Baron.

HERMANN. Lieben! Wer sagt Ihnen –?

SPITZ mit einem Seitenblick auf Auguste. Mein psychologischer Blick –

HERMANN. Lieben! lieben! Was verstehen Sie von Liebe? Wie können Sie sich unterfangen, von Liebe zu sprechen? Von diesem mächtigen, unergründlichen, unerklärbaren Gefühl,[68] das wie ein Blitz in unser Herz, in unsere Seele schlägt, uns über uns selbst hinaushebt, einen neuen Menschen aus uns macht, einen Menschen voll Kraft, voll Glück, voll Freude, voll Entzücken, voll Seligkeit – und voll Kummer, voll Schmerz, voll Desparation, voll Erbitterung, voll Zorn, voll Wuth – – wahrhaftig, ich könnte Sie erwürgen, daß Sie von Liebe zu sprechen wagen!

AUGUSTE ergreift ihn unwillkürlich beim Arm. Hermann – – Ich fange an mich vor ihm zu fürchten!

SPITZ. Lassen Sie nur, Fräulein! Das ist die Krisis.

HERMANN auffahrend. Die Krisis? Welche Krisis?

AUGUSTE wie oben. Nur mäßig, lieber Hermann! Sie sind so heftig –

HERMANN wendet sich zu ihr. Nicht gegen Sie, Auguste, nicht gegen Sie!

AUGUSTE. Wirklich nicht?

HERMANN heftig. Zweifeln Sie daran?

AUGUSTE ängstlich. Nein, lieber Hermann – gewiß nicht.

HERMANN. Nicht? Ergreift ihre Hand und drückt sie an sein Herz. Ach, Auguste!

SPITZ zu Beiden. Versteh' ich nun nichts von Liebe?

HERMANN wieder heftig. Nichts verstehen Sie! Läßt Augusten's Hand los. Sie sind frei, mein Fräulein – ganz frei.

AUGUSTE. Frei! Schon wieder frei!

SPITZ. Wenn sie aber nicht frei sein will!

HERMANN. Nicht will?

BLASE tritt dazu. Freilich will sie nicht –

SCHMERL. Keine will's – 's ist wie bei der Mama.

HERMANN. Nicht will! Wie, Auguste? Sprechen Sie –

AMALIE. Praktisch, mein Kind! Nur praktisch!

SCHMERL. Wie die Mama –

HERMANN. Sprechen Sie, Auguste! Nur ein Wort –

AUGUSTE mit niedergeschlagenen Augen. Was soll ich sagen? Sie wollen ja in die weite Welt ziehen –

HERMANN. Sie stoßen mich hinaus!

AUGUSTE. Wer sagt Ihnen das? Sie sollen reisen, aber Sie sollen wiederkommen – nach einem Jahr – als Mann, als neuer Mensch –

HERMANN mit Augusten beschäftigt. Ich will es werden – ich bin es schon!

SCHMERL. Verstanden![69]

BLASE. Herr Spitz! Ist's denn wirklich? Wir sind wieder nothwendig?

SPITZ händereibend. Der Status quo ist hergestellt –

BLASE. Es bleibt beim Alten – Blase – Blase –

SCHMERL. Nein, es geht vorwärts! Das hat man uns zu danken – der Dings da – der Opposition!

Ende.
[70]

Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 67-71.
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