Erster Auftritt.

[91] Figaro. Susanne.


FIGARO Susannen umfaßt haltend. Bist du nun zufrieden, Liebchen? Meine neue Mama hat den Doktor wirklich zu überreden gewußt, daß er sie heirathet. Dein bärbeißiger Herr Oheim ist dadurch gezähmt und das letzte Hinderniß unserer Verbindung aus dem Wege geräumt. Mag der Herr Graf schmollen, mag er sich wehren, wie er will. Wir sind vor Nacht noch ein glückliches Paar!

SUSANNE. Wie wunderlich das alles sich gefügt hat; wie so ganz anders, als dieser große Schlaukopf Auf Figaro's Stirn pochend. es sich vorher ausgedacht hatte!

FIGARO sentenziös, mit komischer Feierlichkeit. Kind, der schlaueste von allen Schlauköpfen ist der Zufall. Wir Staatsmänner haben gut Plane schmieden, oder auch Ränke, unter Umständen selbst Lügen; der Zufall nimmt uns lächelnd die Zügel aus der Hand und führt uns wie er will, – uns alle, vom Herrscher und Eroberer an, bis herab zum blinden Bettler, der sich von einem Hunde[91] führen lassen muß. Was aber den Haupt- und Stockblinden angeht, den kleinen, schlimmen, schlauen Liebesgott: bei dem werde ich Hunde- und Führerstelle vertreten und ihn nirgends anders hinleiten, als an die Thür meiner Susanne.

SUSANNE. Ist das nicht auch eine deiner zahlreichen Staats- und Nothlügen?

FIGARO betheuernd. Die reine, die wahre Wahrheit.

SUSANNE. Als ob es eine andere als die wahre Wahrheit gäbe, du Schelm!

FIGARO wie oben. Laß dich belehren, unerfahrenes Wesen! So wie es Thorheiten giebt, welche mit der Zeit zu Weisheitssätzen werden, und Lügen, aus denen große Wahrheiten hervorgehen, so giebt es umgekehrt auch Wahrheiten, die sich im Laufe der Jahre zu dicken, dummen Lügen verwandeln. Zu geschweigen von jenen Wahrheiten, die Niemand auszusprechen wagt und von anderen, die Niemand glaubt, weder derjenige, der sie ausgiebt, noch wer sie einnimmt. Zum Exempel: Du trittst in einen Laden, einzukaufen. Nachahmend. »Mademoiselle, ich versichere, daß dies mein genauester Preis ist«, oder: »Mademoiselle, unser Geschäft hat nur feste Preise.« Das ist eine unwahre Wahrheit, denn nach fünf Minuten Handelns wirft er dir die Waare um die Hälfte nach. – Ein Bittsteller wird von einem großen Herrn entlassen: Wie oben. »Sein Sie überzeugt, daß ich mich Ihrer Verdienste und Ihrer Wünsche stets erinnern werde.« Wiederum eine Wahrheit, an welche weder der seufzende Supplikant, noch der lispelnde Gönner glaubt. – Oder endlich: Ein schmucker Kavalier ersucht ein niedliches Kammerkätzchen um ein stilles Stelldichein, im Garten, bei Mondenschein. Ach, er bittet so schön, so inständig, wo er doch befehlen könnte, der gute gnädige Herr, daß dem armen Kätzchen nichts übrig bleibt, als »Miau«, das heißt Ja, zu sagen. Aber das Kätzchen geht doch nicht, Dringend. nicht wahr: es geht nicht?!

SUSANNE. Gewiß nicht, wenn du es nicht mehr willst. Und sei überzeugt, daß das Wegbleiben mir weniger unangenehm ist, als das Versprechen zu kommen gewesen.

FIGARO. Die wahre Wahrheit?

SUSANNE. Ich kenne nicht so viele Wahrheiten wie ihr[92] Herren Staatsmänner. Für mich giebt es nur eine, und die heißt: Ich werde meinem lieben Mann treu bleiben mein Leben lang.

FIGARO sie umarmend. O du Ausbund, du Ausnahme von allen Weibern, – wenn du Wort hältst, nämlich.


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 91-93.
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Figaros Hochzeit oder Der tolle Tag
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