[614] Auf einem hohen waldreichen Gebirge hauste ein mächtiger Berggeist, der gerne die Menschen neckte, die Bösen häufig tückte, und ihnen allerlei schlimmen Schabernack spielte, guten Leuten aber hülfreich war, wenn auch seine Hülfe einen absonderlichen Beischmack hatte, und allerlei Schrecken oder Angst vorherging, ehe die Hülfe eintrat. So[614] schritt einst ein armer Händler mit vielen Glaswaren, die er in einer auf dem Gebirge gelegenen Glashütte zum Weiterverkauf eingehandelt hatte, von den Bergen zu Tale, und berechnete, wie jenes Milchmädchen in der Fabel, den Gewinn, den er aus seinen Gläsern ziehen wollte. So viel aus den Kolben und Retorten, die ein Apotheker bestellt hatte, der das Doppelte des Einkaufpreises bezahlen sollte, so viel an den runden Lichtkugeln für die Werkstätten der Schuhmacher, so viel an Wein- und Wasserflaschen, wie die Gastwirte bedürfen, und da kam ein hübsches Gewinnsümmchen heraus; auch war der Glaser klüger, wie jenes Milchmädchen, er hüpfte nicht bei dem Gedanken an seinen Gewinn in die Höhe, sondern achtete auf seinen Weg, der ziemlich steil und uneben war, und auf seine Last, die nicht leicht war.
Unsichtbar begleitete den Glasmann der Berggeist, und hörte dessen im Selbstgespräche laut ausgesprochene Gedanken; da nun der Mann auf etwas mehr Gewinn sann, als ihm eigentlich gebührte, so war der Geist gleich darauf bedacht, ihm einen Possen zu spielen und einen Schrecken in die Glieder zu jagen. Er verwandelte sich eine Strecke voraus in einen sichtbaren alten, glatt abgesägten Baumstrunk unterhalb einer recht steilen Wegstelle, die man mit Recht eine Kniebreche nennen konnte, in einen Strunk, der so recht einladend zum Ausruhen dicht am Wege stand. Der Glasmann wandelte vorsichtig an der steilen Stelle nieder, und es wurde ihm dieses Abwärtssteigen mit seiner Last ungleich beschwerlicher, als wenn er bergan hätte steigen müssen, daher tat ihm not, ein wenig auszuruhen, und da erblickte er den alten Baumsturzel, und setzte sich samt seiner Glaskraxe darauf. In diesem Augenblicke verschwand der in den Strunk verwandelte Berggeist, und der Glasmann stürzte hart zu Boden samt seiner Last, und letztere zerklirrte in tausend Scherben. Nicht ein Stück blieb ganz.
»Ach Gott! Ach Gott!« schrie der Glashändler und geriet ganz außer sich. Welch ein Schrecken, welch ein Verlust! Der Mann gebehrdete sich, als ob er sich das Leben nehmen wollte. Anderes Glas holen konnte er nicht, denn er hatte kein Geld mehr, und auf Borg gaben sie ihm nichts in der Glashütte, und sein sauer verdientes bißchen Geld, das er in neuen Glaswaren angelegt hatte – hier lag es in Scherben.
Da ritt ein junger Gesell auf einem Esel pfeifend und[615] singend vom Gebirge nieder, der stieß auf den jammernden Mann, und fragte ihn, warum er so weine und klage? Dem erzählte nun jener das ihm widerfahrene Unheil und der Wanderer fragte ihn, wie hoch er seinen Verlust und Schaden anschlüge?
»Ach, acht bis neun Taler zuversichtlich samt dem, was ich an der zerbrochenen Ware hätte verdienen können!« rechnete jener seufzend aus.
»Ich möchte dir gern helfen, armer Tropf«, sprach der Eselreiter, »aber ich habe selbst kein Geld. Doch weißt du was, da drunten im Tale wohnt ein Müller, der ist ein Schalk, und zugleich ein Gastwirt, er mißt daß den Kunden die Augen übergehen, und ebenso unchristlich mißt und schnürt er auch, wenn jemand bei ihm einkehrt. Er ist die Habsucht und Gewinnsucht selbst, und zur Strafe soll der dir dein Glas ersetzen.«
»Wie wäre das möglich, daß ein geiziger und habsüchtiger Mann dies von freien Stücken täte?« fragte der Glashändler, indem er neben dem Reitenden weiter schritt, und gefällig da, wo es steil hinabging dessen Esel am Zaume führte.
»Von freien Stücken?« fragte mit höhnischem Lächeln der Reisende. »Nein, mein guter Geselle! Von freien Stücken tut es der Müller nicht, des bin ich sicher. Aber er muß es dennoch tun. Wir wollen ihm meinen Esel verkaufen, der ist unter Brüdern seine zehn bis zwölf Taler wert, wenn er nun für neun Taler den Esel bekommt, so schlägt er freudig auf den Handel ein und gibt uns noch obendrein freie Zeche.«
»Ja – aber – lieber Herr« – fragte der Glasmann kleinlaut: »– Ihr wollt doch nicht – Euern Esel – mir zu Liebe –? –«
»Dem Müller verkaufen?« ergänzte der Reiter. »Ei warum denn nicht, mein guter Geselle? Darauf kommt es mir nicht an; ich weiß noch mehr Esel.«
Der Glasmann gab sich nicht sogleich dem Glauben an das in Aussicht gestellte Glück hin. Es schien ihm ganz unglaublich, daß ein Mensch, der, wie er selbst gesagt, kein Geld hatte, zu seinen Gunsten sich eines schätzbaren Esels berauben werde – er wußte freilich nicht, daß der Eselbesitzer kein anderer war, als der neckische Berggeist, der ihn erst zu Fall gebracht und seinen Schaden verursacht hatte.[616]
Bald war die Mühle erreicht, der Müller stand schon in der Türe und freute sich, die Fremden kommen zu sehen, auch blickte er mit Wohlgefallen auf den stattlichen, äußerst gut genährten Esel hin. So glatt und kräftig, wie dieser, sahen die Esel in seiner Mühle keineswegs aus. Die Gäste ließen sich Brot und Wurst und Bier geben, ein Wort gab das andere, der Glaser erzählte sein Unglück und der Müller wollte sich vor Schadenfreude tot darüber lachen; er lachte, daß er sich seinen kugelrunden Bauch halten mußte, und daß er förmlich stäubte.
Das verdroß und ärgerte den Glasmann über alle Maßen, doch bedeutete ihn ein Blick des Reisenden, sich ganz ruhig zu verhalten.
Als der Müller genug gelacht hatte, yahte der draußen vor der Türe angebundene Esel des Fremden, worauf der Müller das Gespräch alsbald auf diesen lenkte. »Ein hübscher Kerl, fürwahr, Euer Esel! Wie alt?«
»Vier Jahre!« – »Wie teuer?« – »Nicht feil!«
»Schade! Ich hätt ihn brauchen können; vorige Woche ist mir einer krepiert.«
»Werdet ihn zu gut gefüttert haben, Müller!« – stichelte der Fremde.
»Oho – justement das Gegenteil!« verschnappte sich der Müller.
»So? Da sollte mich mein Esel dauern, wenn er in Eure Hände käme. Mein Esel ist gewohnt, gut zu essen.«
»Ja doch!« verbesserte sich der Müller. »Bei mir soll es ihm auch nicht fehlen. Ich wollte nur sagen, daß der meine nicht mehr fressen wollte, und deshalb drauf ging. Ich geb Euch sieben Taler.«
»Oho! Weiter fehlte mir nichts!« spottete der Eselbesitzer. »Wo denkt Ihr hin, Müller? Solch ein prachtvoller Esel und sieben Taler? Pfui! Nicht um zwölf Taler ist er mir feil.«
Im Müller erwachte eine wahre Eselhabsucht. »Acht Taler geb ich!« rief er, fuhr in die Tasche und klingelte mit hartem Gelde.
»Gebt elfe, und der Handel ist gemacht!«
»Nein! Neun!« schrie der Müller. »Das ist mein letztes Wort.« –
»Und mein letztes ist zehn, dabei bleibt es, und freie Zeche!« sprach der Eselbesitzer.
Der Müller kraute sich hinter den Ohren, wollte noch[617] abdingen, aber der Fremde blieb unerschütterlich.
»Freie Zeche und zehn Taler, nicht einen Groschen, nicht einen Pfennig, nicht einen Heller weniger!«
»Ihr seid ein Mann von Stein!« klagte der Müller. –
»O ja, sagt doch lieber von einem ganzen Gebirge!« höhnte der Fremde.
Der Müller mußte den Esel haben, und zählte ächzend und krächzend zehn Taler auf den Tisch, aber keinesweges in harten Talern, sondern in eitel Groschen und verschimmelten dünnen Zweigroschenstücken, sogenannten Blechkappen, an denen Mehl und Grünspan hingen. Vergnügt strich der Fremde, nachdem es einigemal überzählt war, das Geld ein, tat es in ein ledernes Beutelchen, und legte dasselbe in die Hand seines Begleiters, als der Müller voller Freude bereits hinaus gerannt war, seinen Esel in den Stall zu führen. Der Glasmann war ganz überrascht über die Gabe – wollte danken, aber der Fremde sprach: »Spar allen Dank. Neun Taler war ich dir schuldig, den zehnten nimm für deinen Schreck. Jetzt gehe in den Stall und schaue, was der Müller treibt, und fahre wohl! Wenn der Müller fragt, wo ich hin sei, so sage ihm nur, ich sei über die Höhe.«
Der hoch erfreute Glasmann nahm seine Scherben-Kraxe auf den Rücken, und verfügte sich über den Hof nach dem Stalle, wo der neugekaufte Esel bereits abgezäumt an der Krippe stand; mit eigener Hand hatte der Müller diesem frische Heide untergestreut, und trug jetzt ein großes Bündel duftiges zartes Gebirgsheu im Arme, das er dem Esel in der Krippe ausbreitete.
Wie wunderte sich aber der Glasmann, und wie heftig erschrak der Müller, als der Esel den letzteren mit einem unaussprechlichen Blicke ansah, mit dem Kopfe schüttelte und mit den langen Ohren bedenklich wackelte, heißen Odem ausstieß, und endlich das breite Maul auftat, und mit tiefer Stimme sprach: »Du juder Mensch, juder Müller – es tut mir leid, aber ich esse kein Hahaheu! Ich esse nur Gebibobackenes und Gebribrobratenes!« –
Voll Entsetzen stürzte der Müller aus dem Stalle, rannte den Glasmann an der Türe fast über den Haufen, und schrie:
»Der Teufel ist im Stalle! Wo ist der nichtsnutze Kerl, der mir einen Spuk verkaufte?«
»Der ist über die Höhe!« rief der Glasmann, und lachte jetzt so sehr, als vorhin der Müller über ihn gelacht hatte.[618]
Der Müller rief alle seine Leute zusammen, und schrie immerfort vom redenden Esel, denn da er nicht weit in der Welt herum gekommen war, er auch nicht zu den Genossen einer jüngeren Zeitperiode zählte, so war es ihm etwas ganz Unerhörtes, einen Esel reden zu hören; seine Leute aber glaubten, er sei übergeschnappt. Jetzt führte er sie alle nach dem Stalle, den Esel zu zeigen, aber siehe, an dessen Stelle hing eine Schütte Stroh an der Halfter vor der Eselskrippe, und der Müller versicherte nun hoch und teuer, daß er selbst ein geschlagener Esel sei.
Der Glasmann aber ging seine Wege, segnete den Berggeist und gönnte von Herzen dem schadenfrohen Müller den eigenen Schaden und Ärger.
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