122. Vom Loosberg über Aachen

[100] Als der Teufel mit der Wolfsseele arg betrogen worden war, ergrimmte er heftiglich über die Stadt Aachen und fuhr auf Sturmwindsflügeln bis zum Meeresstrande im Niederland, sah da die weißen Dünen im fahlen Lichte schimmern und brütete einen Rachegedanken aus. Mit einer ganzen breiten Düne belud er sich, die hing ihm über die Schultern, wie einem Bauer der Querchsack, und nun ging es mit Teufelsgewalt auf Aachen los; schon war er über die Maas und gelangte an das Soerstal, da erhob sich ein starker Wirbelwind, der schmiß ihm aus der Düne vielen Sand in die Augen, und da hätte der Teufel sich fast verirrt. Da begegnete ihm ein altes Weib, das kam des Wegs von Aachen her, und der Teufel fragte es: Wie weit ist's noch bis Aachen? – Die Alte sah ihren Mann an, erkannte ihn am Pferdefuß, zeigte ihm ihren Schuh und sagte: Schauet, Herr! Die Schuhe zog ich zu Aachen neu an, und jetzt sind sie zerschlissen – so weit habt Ihr noch. Darob ergrimmte der Teufel, denn er war müd und matt und hatte die Schlepperei und den Sand in den Augen satt, und rief: Ins Teufels Namen, liege hier, Lausesand! – Und warf die ganze Düne hin, daß es krachte und stäubte, und hub sich von dannen. Das sind die beiden Berge, der Loos- oder Luisberg und neben ihm, niedriger, St. Salvatorsberg, und in Aachen sagen sie, entweder sei der Loosberg nach dem losen Sinn, mit dem das alte Weib den Teufel betrogen, und weil ein alt Weib loser sein kann wie der Teufel selbst, genannt, oder nach des Teufels Wort und Namengebung.

In Aachen aber ward das Münster herrlich geweiht durch den Papst und Kaiser Karl den Großen, im Beisein vieler Bischöfe und allen Volkes. Auf den einen Sandhügel ließ Karl der Große eine Kapelle und ein Kloster erbauen und weihete sie dem Erlöser, weil die Stadt Aachen von der ihr durch den Bösen drohenden Gefahr erlöst worden, das ist die Kapelle St. Salvator.

Als Aachens Münster geweiht wurde, sollten so viele Bischöfe dasselbe weihen helfen, als das Jahr Tage zählt, es kamen aber deren nur dreihundertunddreiundsechzig zusammen. Da erhoben sich zwei gestorbene Bischöfe aus Maastricht aus ihren Gräbern, dienten mit und legten sich dann wieder nieder zur ewigen Ruhe.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 100.
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