124. Kaiser Karl kehrt heim

[101] Im Dome zu Aachen steht ein Stuhl, der ist elfenbeinern, daran ist uraltes Bildwerk zu erschauen, und das ist der Stuhl Kaiser Karl des Großen. Als zu einer Zeit der starke Held auszog in das Heidenland, die Heiden zum Christentum zu bekehren, schied er sich von seinem Ehegemahl und gab seiner Hausfrauen auf, seiner in Züchten zu harren zehen Jahre lang, käme er dann nicht zurück, so wäre sein Tod gewiß. Werde er aber ihr einen Boten senden mit seinem Ringelein, das er ihr wies, dann solle sie dem alles vertrauen und tun, was er ihr entbieten ließ.

Neun Jahre und viele Monden darüber stritt und siegte Kaiser Karl im Ungarlande gegen die Heiden, und daheim hielten sie ihn für tot, und weil das Land keinen Zuchtherrn hatte, erhob sich um Aachen und gegen den Rhein eitel Raub und Mord und Brand, und traten die Räte zu der Herrin, Karls Gemahlin, und lagen ihr an, einen andern Herrn und König zu erkiesen, damit das Land nicht zugrunde gehe. Lange weigerte sich die Frau, weil ihr noch kein Wahrzeichen gesendet war, aber endlich, da die Herren und Räte allzumal heftig in sie drangen, ließ sie es zu, daß ihre Vermählung mit einem reichen König anberaumt wurde, und kam die Zeit heran, daß nur noch drei Tage waren vor der Hochzeit, welche festlich begangen werden sollte. Da sendete Gott der Herr einen seiner Boten ins Lager nach dem Ungarland, der sagte Kaiser Karl an, was sich daheim begebe, und sprach zu ihm: Rüste dich und reite heim, binnen dreien Tagen ist Hochzeit! – Wie soll ich reiten, fragte Karolus, in dreien Tagen hundert Tagereisen weit und darüber? – Reite, und Gott wird mit dir sein! sprach der himmlische Bote, und da gewann der Kaiser ein gutes Roß, damit ritt er an einem Tag aus Bulgarien bis gen Raab, und am andern Tag von Raab bis gen Passau. Dort gewann er ein frisches Roß und kam gen Aachen vor das Burgtor, und Gott war mit ihm. Ganz Aachen war schon ein Sang und ein Schall von eitel Hochzeitglanz und Klang, denn andern Tages sollte die Hochzeit sein, und die Trauung früh im Dom. Da ging Kaiser Karl bei guter Zeit, da es noch Nacht war, in den Dom, setzte sich auf seinen elfenbeinernen Stuhl und legte sein großes Schwert quer über seine Kniee, saß allda ganz ruhig wie ein Steinbild und ruhete von seinem weiten Ritt. Da kam zuerst der Mesner in den Dom, der trug die Bücher vor und beschickte die Altäre und steckte Kerzen auf, und mit einem Male sah er auf dem Königsstuhle einen greisen Mann sitzen, in ernster Stille und mit blankem Schwert, da kam ihm ein Grauen an, und ging und sagte es den Domherren an. Die wollten solche Mär nicht glauben, denn auf dem Stuhle durfte niemand sitzen, er wäre denn König, kamen daher mit Licht, und der Kühnste unter ihnen nahte dem Stuhle unerschrocken. Aber als er den Mann darauf sitzen sah so still und wie steinern, entfiel der Leuchter seiner Hand, und er zitterte und entwich aus der Kirche und sagte dem Bischof von dem Ereignis. Der Bischof nahm sogleich zwei[101] Kerzenträger der Kirche, ließ die vorangehen mit brennenden Kerzen und folgte ihnen hin zum Kaiserstuhle. Da sah er den Greisen sitzen und hub bänglich an zu sprechen: Sag an, wer bist du Mann, und durch wessen Gewalt unterfängst du dich, diesen Stuhl zu behaupten? Weißt du nicht, daß dies der Sessel ist unsers Herrn und Kaisers? – Darauf erwiderte der Kaiser: Wie du sagst, so ist es, da ich noch König Karl hieß, war ich euch allen wohlbekannt, da durfte keiner diesen Stuhl mir wehren! – Und erhob sich und stand vor dem Bischof in seiner stattlichen Größe, eines Kopfes höher als der größte Mann, und der Bischof rief frohlockend aus: Seid gottwillkommen, mein königlicher Herr! Segen sei mit Eurer Wiederkunft. – Da läuteten von selbst alle Glocken, des erschraken die Hochzeitgäste und zogen eilend von dannen, und der Bischof bat für die Königin und sagte, daß sie gedrungen worden sei, da verzieh ihr Karolus gerne und gab ihr seine Huld zu erkennen, denn er liebte sie unabänderlich und konnte nimmer von ihr lassen.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 101-102.
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