336. Osterburger Pech

[241] Als Kaiser Lothar einstens durch die Altmark reiste, wollte die Stadt Osterburg der Ehre seines Besuches auch gern teilhaft werden, sandte daher Abgeordnete aus ihrer Mitte an den kaiserlichen Herrn und ließ ihn feierlich einladen. Der Kaiser nahm die Einladung an und kam, brachte aber ein überaus zahlreiches Gefolge mit, dessen sich in solcher Zahl das gute Städtlein gar nicht vermutet und versehen hatte. Gleichwohl geschah alles, was nur geschehen konnte, den hohen Gast zu ehren, welcher auch zufrieden war, aber nicht so waren das einige seines Gefolges, die begannen Hader zu suchen bei dem Feste und verhöhnten bei einem Aufzuge insonderheit das löbliche Gewerk der Büttner, das eine große Braupfanne voll Bier dahertrug und einen Reifentanz anstellte. Dieses Handwerk nahm das übel, meinte, auf grobe Klötze gehörten grobe Keile, und hämmerten und pochten auf ihre Gegner nach Büttnerart; so gedieh der Hader zur Keilerei und die Keilerei zum Getümmel und das Getümmel zur Schlacht, in welcher fast alle Einwohner von Osterburg erschlagen und Stadt und Burg zertrümmert wurden. Das war ein teurer Besuch.

Vor hundert Jahren ist es geschehen, daß einem Brauer zu Osterburg seine Bottiche behext waren, so daß ihm kein einziges Gebräu geriet, welches letztere Mißgeschick auch außerhalb Osterburg manchem Brauer noch in neuester Zeit widerfahren soll. Guter Rat war folglich teuer, und gutes Bier war gar nicht zu bezahlen. Der Brauer wandte sich dahin und dorthin um Abhülfe, und endlich erfuhr er, daß in Stendal ein wahrer Hexenmeister wohne, der alles vermöge, und dem kein böser Geist widerstehen könne. Er berief also diesen Wundermann, und selbiger kam, läuterte und weihte auf ganz besondere Weise das Pech und begann unter wunderlichen Zeremonien und Zaubersprüchen die Bottiche auszubrennen. Aber der gute Zauberer mußte etwas versehen haben, oder der Geist, der in den Bottichen saß, mußte stärker sein als die gegen ihn angewendeten Wunderkräfte, denn mit einem Male brannte das Pech die Bottiche an, und die Bottiche brannten das Haus und das Haus brannte die Straße an, und in wenigen Stunden lagen mehr als zwei Dritteile des Städtchens Osterburg in Asche. Osterburg hatte den höchsten und künstlichst gebauten Kirchturm in der ganzen Altmark, auch dieser Turm wurde ein Opfer derselben verderblichen Feuersbrunst. So war durch dieses geweihte Pech aller Hexerei in den Braubottichen auf das kräftigste gesteuert.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 241.
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