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[276] Im Kloster Walkenried zeigt man noch einen alten wüsten Boden, den nannte man früher einen Saal. Herzog Christian Ludwig zu Braunschweig hatte nach der Reformation in Walkenried eine gute Klosterschule einrichten lassen, wie zu Pforte, zu Meißen, zu Schleusingen, zu Roßleben und andern Orten andere fromme Fürsten auch getan, und hatte alle Einkünfte des Stiftes Walkenried dazu bestimmt und gesagt, er begehre in seinen Schatz keinen Heller von dem Vermögen der geistlichen Stifter. In dem erwähnten Saale nun spielten einstens die Schüler und hatten ein Zeichen gelegt, wer unter ihnen darüber und am weitesten springen könne. Da war ein Knabe aus dem nahen Städtlein Ellrich dabei, der hieß Damius (wurde hernachmals Superintendent und berühmt), und der blieb auf einmal auf einem gewissen Platz, dahin er beim Springen gekommen, stehen wie gebannt und war nicht davon wegzubringen und wegzureißen. Auch der herzugerufene Rektor vermochte es nicht. Da gedachte der Rektor, es müsse hier ein geheimer Zauber walten, und gebot dem Schüler, umherzublicken, ob er nicht ein Zeichen oder eine Schrift erblicke. Das tut der Knabe, und da nimmt er über sich einen Kreis wahr und an der Ostwand eine griechische Schrift, nach Süden aber angemalte Charaktere, und beschreibt sie, und liest die Schrift, und da wird er wieder frei. Der Rektor machte Anzeige davon, und es soll dann gen Westen in der Mauer am Fenster in einer Blende ein Steintopf voll Brakteaten, jeder so groß als ein Ortstaler (1/3 Taler- oder 1/2 Guldengröße), gefunden worden sein. Später haben noch andere gesucht mit Zauberformeln und Wünschelruten, aber obschon die Wünschelrute geschlagen und es heller Tag gewesen, so wäre ein Schrecken über sie gekommen und gewesen, als wenn ein Wirbelwind zwischen ihnen hindurchbrause und sie bis zur Decke emporziehe. Andere sagen, jener Rektor habe den Schatz heimlich gehoben und solchen Thesaurum ad usum Delphini auf sich transferieret. Noch andere haben wissen wollen, der berühmte Benediktiner und Chymiker Basilius Valentinus, der auf dem Petersberge zu Erfurt lebte und sich im Besitz des Steines der Weisen befand, habe auch im Kloster Walkenried auf eine Zeit gelebt, und jener verborgene Schatz im Zaubersaal, den der Schulrektor gefunden, sei der Stein der Weisen gewesen, welches jedoch aus vielen Gründen billig in Zweifel zu ziehen und ganz ohne Beispiel sein dürfte.
Es geht auch noch die Sage, daß einst auf einer Reise durch den Harz Doktor Martin Luther von Nordhausen, allwo er gepredigt, und vom Erzbischof von Mainz beredet, mit diesem in das Stift[276] zu Walkenried gekommen, da habe der Mönche Arglist den Reformator, dessen Werk und Wirken ihnen gar sehr zuwider, heimlich aus der Welt schaffen wollen und ihn nach einer Falle geführt, die sie bereit hatten für Missetäter. Dies Werk hieß der Marienkuß, hatte den Anschein einer kleinen Kapelle, darinnen brannte vor einem dunkeln Madonnenbilde ein ewiges Licht, das Bild aber war eine eiserne Jungfrau, und trat einer in dieses Kapellchen, so wich der Boden, und er stürzte in eine grauenvolle Tiefe hinab. Schon nahete Lutherus sich dem verräterischen Ort, siehe, da lief sein Hündlein vor ihm her und hinein, tat einen Schrei und verschwand. Da deutete Lutherus mit der einen Hand nach der Falle und mit der andern nach oben und sprach mit ernster voller Stimme nur die zwei Worte: Gott wacht! – und ging, und die Mönche erbebten.
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Deutsches Sagenbuch
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