616. Die Melanchthonsbirnen

[412] Im Superintendenturgarten zu Pegau zwischen Leipzig und Groitzsch steht ein Birnbaum, dessen Früchte sind von ganz besonderem Wohlgeschmack und werden Melanchthonsbirnen genannt, und hat es damit folgende Bewandtnis, wie sie ein Zeitgenosse, M. Andreas Göch, Superintendent daselbst, mit redlicher Hand niedergeschrieben. Diese Birnenart war ursprünglich in Zessen (Zöschen) zwischen Leipzig und Merseburg, wo M. Göch Pfarrer war, zu Hause und hieß alldort die Rewozer (Rewitzer) Birn; der Magister Göch, ein eifriger Obstzüchter, wurde später Superintendent zu Pegau und ließ sich von Zessen Pfropfreiser bringen, um in Pegau ebenfalls diese Birnen zu ziehen. Sie waren von sonderlich schöner Art, auf der einen Seite rot, auf der andern gelb gesprenkelt, saftig und überaus wohlschmeckend, der Pfalzgräfinbirne ähnelnd. Da nun zu einer Zeit Herr Philippus Melanchthon vom Kurfürsten August zu Sachsen zu ihm zu reisen erfordert ward, so führte ersteren sein Weg über Zessen, und er vergnügte sich, den dortigen Pfarrherrn zu besuchen. Dieser fühlte sich durch solchen Besuch hochgeehrt und wartete dem berühmten Mann auch mit seinen trefflichen Birnen auf. Philippus fand diese Birnen so ausgezeichnet, daß er nahe an ein Schock sich schenken ließ und sie dem Kurfürsten und dessen Gemahlin mitbrachte, wo sie auch deren hoher Gast, der Kurfürst von Brandenburg, zu versuchen bekam. Bei dieser Gelegenheit empfahl nun Melanchthon seinem gnädigsten Herrn auch den fleißigen Pfarrherrn zu Zessen, welche Empfehlung einen so trefflichen Erfolg hatte, daß der Kurfürst denselben nicht nur mit stattlicher Begnadigung bedachte, sondern auch seine Kinder in den Fürstenschulen durch Stipendien unterstützte. Dies trug M. Göch dankbar in ein Buch ein und richtete an seine Nachfolger die Bitte, des hart am Hause stehenden Melanchthonbirnbaums – denn so hatte ihn der Pomolog vom Jahre 1560 genannt – zu schonen, zu warten und seine Art nicht ausgehen zu lassen – welches auch treulich befolgt worden ist.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 412.
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