717. Stelzen und die Riesen

[472] Über Eisfeld zum Walde hinauf am Fuß des Bleß liegt ein Dorf, heißt Stelzen; dort war ein Heilbrunn, der heilte Blinde und Lahme; letztere hingen um den Brunnen, dessen Lage, in einer erdfallähnlichen Grotte, von uralten Bäumen umstanden, lebhaft an einen heiligen Hain erinnert, ihre Krücken und Stelzbeine auf, daher kommt des Dorfes Name. Der Brunnen war weit und breit berühmt, aber da sich nun allmählich eine Ortschaft in seiner Nähe angesiedelt hatte, so verblendete der Teufel der Habsucht die Einwohnerschaft, daß sie gedachten, von dem Heilbrunnen Gewinn zu ziehen, und wollten jetzt von den armen Kranken und Heilungbedürftigen, die oft weither gepilgert waren, Geld für das Wasser haben. Da versiegte zwar nicht die Quelle, aber es erlosch ihre Heilkraft, und das Wasser löschte bloß den Durst. Dieser Stelzenbaum ist die Quelle der Itz. In derselben Gegend um Eisfeld, Stelzen, Bachfeld und Burggrub haben vorzeiten gewaltige Riesen gewohnt. Die Sage vom Riesenspielzeug, wie sie so oft begegnet, im Elsaß, bei Blankenburg im Thüringerwald u.a., wiederholt sich getreu auch hier. Die Riesen über Stelzen spielten im Tossental, das eine halbe Stunde entfernt liegt, und kaulten (kegelten) miteinander; die Bahn hatte die Länge von Tossenthal bis Eisfeld. Riesen und Ritter – die Sage vermengt hier beide – warfen vom Schaumberg, darauf die Schaumburg stand, nach Burggrub einander ihre schweren Hämmer und Holzschlägel zu, oder sie bespritzten sich von einer Burg zur andern spaßeshalber mit Wasser, schleuderten einander auch goldne Kugeln zu.

Es ging auch die Sage, im Altar der Kirche zu Stelzen sei ein goldenes Hirschgeweih verborgen. Endlich öffnete man ihn, fand aber bloß ein kleines Trühlein von Kupfer, darin einige Heiligenknöchlein und ein altes vermodertes Blättchen Pergament. In Bachfeld ziehen, besonders zur Weihnachtszeit, Lichter in Prozession durch die ganze Kirche, ja sogar aus ihr heraus, aber niemand kann diejenigen erblicken, welche die Lichter tragen. Die Kirche zu Stelzen war sehr reich, das ganze Holz des mächtigen Bergstockes des Bleß gehört ihr, der Kirche, nicht der Gemeinde; daraus ist viel Prozessierens entstanden. Rechts am Bleß zieht sich eine schöne weite Waldwiese bis in die Ebene herab, die gehörte den Herren von Hanstein und war ein Asyl. Wer sie erreichte, den durften auf ihr weder Büttel noch Werber fassen, noch sonst jemand. In diesem Walde und auch sonst in den forstreichen Gegenden des Meininger Oberlandes geht die Sage von einer nächtlichen Säge, welche ganz allein arbeitet und schon manchen armen Holzarbeiter reich machte. Manche meinen, es seien Zwerge, die sie unsichtbar in Bewegung setzen, doch ist und bleibt solche Säge und ihr Segen ein unergründliches Waldesgeheimnis.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 472.
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