758. Der Liebenbach

[497] Nicht gar weit vom Meißnerberge liegt die Stadt Spangenberg, die hat ihren Namen von einem Berg, auf welchem eine Menge kleiner runder Steine gefunden werden, die alle von Natur ein Zeichen wie eine Spange auf sich haben. Ihr Trinkwasser erhält sie von einem Berge gegenüber. Einst wohnten, bevor die Stadt dieses trefflichen Wassers sich erfreute, zwei Liebende zu Spangenberg, deren gehoffter Verbindung die Eltern beiderseits streng entgegen waren. Da sie aber gar nicht voneinander ließen, so gab man ihnen auf, sie sollten ganz allein jene gute Quelle nach der Stadt leiten, dann sollte ihre Hochzeit sein. Sie begannen nun, die Liebenden, die schwere Arbeit, sie gruben den Bach, sie müheten sich lange Zeit, sie wurden alt darüber, aber sie liebten sich treulich fort und fort, und endlich gelang das große und schwere Werk, da war es vollbracht, und sie hatten nicht weniger als vierzig Jahre gegraben, und da war ein Glückwünschen um sie her, und wurden mit Kränzen geschmückt, mit Hochzeitkränzen; und da blickten sie einander an, und weinten, und sanken einander in die Arme, und[497] sanken tot zur Erde nieder. Darum heißt jener Bach, den sie mit treuen Händen gegraben, der Liebenbach.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 497-498.
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